Leto - Wider

Rookie / Indigo
VÖ: 09.10.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Egal!

Jetzt mal im Ernst: Ist doch alles scheiße! Kaum traust Du Dich als deutschsprachige Punkband ein paar Millimenter hinter dem Ofen hervor, schon prasseln die Referenzen wie geschliffene Beile – oder lautmalerisch auf Bairisch schöner: gschliffane Hackl! – auf Dich hernieder. Hier Turbostaat, da Captain Planet, dort Love A, und hat da nicht auch irgendwer was von Matula gesagt? Und ja: Genau in die Richtung geht das, was Leto so verzapfen. Post-Punk. Aus Hamburg. Vermengt mit Indie, Emo, Hardcore und was sich gerade noch so finden hat lassen im siffigen Proberaum. So weit, so ausrechenbar. Kann man dann auch trefflich drüber abkotzen, wie die so genannte Szene schön im eigenen Saft schmort und alle paar Jahre eine neue Band mit gleichem Sound ausspuckt, die wir nächsten Monat schon längst wieder vergessen haben. Kann man auch dufte finden, und irgendwas vom superklugen Post-Punk aus Hamburg salbadern. Oder halt mal sehen, was man Letos Zweitling "Wider" so im Infight abringen kann.

Tja, und dann zappelt der Zweitling der Band mitsamt seinem kurz angebundenen Titel "Wider" los, und man steht so da und merkt schnell, dass jedwede vermeintlich souveräne Pose gegenüber diesen Songs direkt in die Tonne wandern wann. Zwar ganz bestimmt nicht, weil Leto hier ein Yota Neues in die sattsam bekannte Soundlandschaft bringen, vielleicht aber, weil der Vierer sich seiner Vorbilder bewusst ist und Jörkk Mechenbier kurzerhand in "Kammerflimmern" das Mikro übergibt. Vielleicht auch, weil die Band sperriges Wortgut wie "Bolzenschussgerät" schlüssig in ihren Vortrag verbaut. Ganz sicher aber, weil Leto auf ihrem zweitem Album zehn Mal in aller Ruhe zielen und entsprechend treffsicher unterwegs sind. Ganz egal, worum es gehen mag: So ziemlich alles, was in diesen gut 31 Minuten angefasst wird, es gelingt.

Das beginnt, wenn der Opener "Klaue" mit forschem Beat und nervöser Gitarre die ganze Chose eröffnet, sich stets eingängig as fuck gibt, einen großartigen Refrain ausbreitet und am Ende sogar noch für einen veritablen Ausbruch Platz findet. "Keine Reaktion" verneigt sich zwischenzeitlich vor dem gemächlicheren, stoischeren, fresendelferischen Schaffen von Turbostaat, ohne die eigene Identität gänzlich aufzugeben und verhandelt en passant den überall grassierenden Selbstoptimierungswahn: "Morgen Wellness und in der Masse verflachen." "Kammerflimmern" lässt dann nicht nur wie erwähnt Jörkk Mechenbier zu Wort kommen, sondern hätte es – kein Witz – auch auf einem Love-A-Album zu einem der besseren Songs geschafft. Weil es da zuckt und kracht und lebt und ausbricht und doch alles kompakt bleibt und in genau 156 Sekunden fertig erzählt ist. Musikalischen Trost bietet schließlich "Auen und Orchideen", das sich mit Fug und Recht als sonnigster Moment von "Wider" bezeichnen darf.

Und wenn schließlich "Rotenburg" in all seiner Kantigkeit loszuckelt, vermutet man erst mal ein fieses Stückchen Post-Punk, ehe man ein wahrhaftes Kleinod serviert bekommt, das sich in kratzbürstige Kleider hüllt, aber im Refrain doch der Liebe zur hymnenhaften Melodie freien Lauf lässt. Ein Highlight, wenn man unbedingt so will. Viel wichtiger als einzelne Songs hervorzuheben, ist allerdings die Tatsache, dass "Wider" als Ganzes funktioniert. Dass Szenen, Vorbilder und allerlei Vorurteile und Schubladenurteile hier genau deshalb völlig belanglos sind. "Wider" nimmt alle Zuschreibungen, rotzt ihnen im Brustton der Überzeugung ein "egal!" entgegen und steht viel lieber für sich. Und das ganz hervorragend.

(Martin Smeets)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Klaue
  • Keine Reaktion
  • Kammerflimmern
  • Rotenburg

Tracklist

  1. Klaue
  2. Schatten
  3. Keine Reaktion
  4. Kammerflimmern
  5. Katzenwäsche
  6. Auen und Orchideen
  7. Blau
  8. Rotenburg
  9. Treibsand
  10. Terabyte
Gesamtspielzeit: 31:42 min

Im Forum kommentieren

Glufke

2023-11-17 09:37:36

Neues Album "Leben und tot" seit heute draußen. Bisher konnte mich die Band nicht so überzeugen, da fehlten mir immer etwas Eigenständigkeit und bessere Texte. Songs wie "Wandsbek im Regen" klingen ja allein schon vom Namen wieder sehr nach Turbostaat und Love A. Besser als das letzte Album von Love A wird es aber bestimmt sein.

24minus7

2021-10-01 18:09:25

OMG, ist das schlecht/mies...

Armin

2021-02-11 18:35:29- Newsbeitrag

Leto über „Auen und Orchideen“:

Der Song „Auen und Orchideen“ stellt sich im Verlauf des Albums „Wider“ (VÖ 09.10.20) als kleine Oase der Positivität heraus und bricht eine eher destruktive und nachdenkliche Stimmung für eine kurze Zeit auf.



Ebenfalls als eine Oase kann man die Beziehung zwischen Sänger Jannes und dessen Bruder Tjark bezeichnen, die im Song metaphorisch thematisiert wird. Und wenn man schon mal einen positiv konnotierten Song aus dem Hause Leto erwischt, macht es in dieser unsicheren Zeit gleich doppelt Sinn, eben diesen als Single auszuwählen. Der Corona-Zeit geschuldet und der fehlenden Möglichkeit, neues Videomaterial mit der Band zu drehen, hat sich Videoproduzent Julius Dettmer fernab vom eigentlichen Inhalt vorgenommen, die Grundstimmung von „Auen und Orchideen“ einzufangen. Den wiederkehrenden Ausruf „Zusammen“ als Grundlage, hat er sich durch sein Archiv gefressen und aus über zehn Jahren gemeinsamer Arbeit mit der Band ein Video gebastelt, das viele zurzeit verloren geglaubte Aspekte des Miteinanders zeigt. Umarmungen, Spaß, Live – ZUSAMMEN. Auf dass das Video einmal kurz schwelgen lässt.

Auf dass wir bald wieder so was erleben dürfen. Umarmungen, Spaß, Live – ZUSAMMEN!



Artist: Leto

VÖ: 11.02.2022

Songtitel: Auen und Orchideen

Spielzeit: 3:48

Album: Wider (VÖ 09.10.2020)

Text & Musik: Jannes von Richthofen

ISRC: DEFS42002148

Label: Rookie Records (LC 15296)

Vertrieb: Indigo/The Orchard

Verlag: Edition Rookie Publishing / mmp mute.music.publishing

MartinS

2020-10-08 17:26:15

@Pivo:
Volle Zustimmung zum letzten Absatz. Die Idee fände ich auch mal ziemlich cool.
Bei Leto habe ich immerhin mal den Kollegen Meyer gefragt, ob ich mit meiner Begeisterung hier nicht komplett im Wald steh..

Zum Rest:
Da ich bei der Frage nach dem Album der Woche nicht mitrede, kann ich dir das tatsächlich nicht bestätigen, kann aber dein "Feeling" schon nachvollziehen. Nach kurzem Überfliegen empfehle ich dir einen Blick in die bisherigen AdW sagen wir bis Anfang 2019, um dieses Feeling loszuwerden: So viel ist das nicht, oder?


Pivo

2020-10-08 10:08:16

@Wilson

Es ist ein Album einer deutschen Band. Da kann selbst Publikumsliebling Matt Berninger daher kommen, dagegen ist kein Kraut gewachsen. Es waren in den letzten Monaten schon oft AdWs von deutschen Gruppen, die nie relevant wurden. Es ist ein weiterer Moment in denen ich gerne PT als das AutoMotorSport der Musikseiten sehe. Kann man es beobachten: Bei den deutschen "Autofachzeitschriften" gewinnt zu 99% immer der Deutsche (Audi, VW, etc.) Da kann der Japaner oder Koreaner noch so gut und um die Hälfte günstiger sein, der darf einfach nicht besser sein in der Bewertung.
Vom Prinzip her ist es quasi dasselbe. Lustigerweise wird der Kritiker selbst dies nicht bestätigen. Das ist wiederum dasselbe wie wenn der Blitzer auf einer völlig harmlosen Straße steht und im Endeffekt immer damit argumentiert wird, dass es sicherheitsrelevant ist und nicht nur wegen dem Geld.
Aber das ist das Problem mit subjektiven Kritiken. Der eine mag es, der andere hasst es. Ich denke, dass es auch innerhalb der PT-Redaktion manchmal starke Schwankungen gibt. Wenn jemand deutschen WasauchimmerRockPunk mag, der mag dann vielleicht auch dieses Werk. Wenn jemand Rap bevorzugt, wird es schwieriger ein Rockalbum objektiv zu bewerten. Spannend wäre es tatsächlich mehrere kurze Rezis von verschiedenen Kritikern zu lesen, dann könnte man sich ein objektives Urteil bilden. Wenn auch der PT-Rap-Experte ein ProgMetall-Album hoch bewertet hat das natürlich viel mehr Wirkung als die Kritik des Fanboys einer bestimmten Richtung oder gar Band.

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