Fleet Foxes - Shore

Anti / Indigo
VÖ: 22.09.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Vom Ende und vom Anfang

"I remember hoping I'd remember nothing / Now I only hope I'm holding onto something." Obwohl ein berühmtes Sprichtwort etwas anderes behauptet: Unverhofft kommt gar nicht so oft. Oder? Meistens geht ja doch alles seinen üblichen Gang, nur hier und da geschieht mal etwas aus der Reihe. Unverhofft dürfte gern öfter kommen! Wahr ist aber auch, dass man sich in düsteren Zeiten an jedem noch so kleinen Lichtblick festhält, an jedem Zeichen dafür, dass alles vielleicht doch irgendwie (wieder) gut wird. Aktuelles Beispiel: Gerade mal 24 Stunden lagen zwischen der Ankündigung von Fleet Foxes' neuem Album "Shore" und der eigentlichen Veröffentlichung, aber alleine die Aussicht auf dieses neue Werk sorgte bei vielen schon für pure Glücksgefühle.

Mehr noch: "Shore", das gemeinsam mit einem gleichnamigen Kurzfilm von Kersti Jan Werdal erschienen ist, kam zum genau richtigen Zeitpunkt und dient als Hoffnungsschimmer: Nicht nur, dass der anstehende Herbst die Tage kürzer und kälter werden lässt, auch die Welt scheint coronabedingt nach wie vor in einer komischen, unsicheren Gedankenwelt gefangen zu sein. Da kommen die 15 neuen Songs von Robin Pecknold & Co. gerade recht. Jene, denen das 2017 veröffentlichte "Crack-up" zu verkopft war, werden hier ihre Freude haben: Viel lockerer und freier klingen Fleet Foxes hier, und ja, auch hoffnungsvoller. Öffnete sich der in sich gekehrte Vorgänger erst gegen Ende, geht das vierte Studioalbum diesen Weg Richtung Sonnenaufgang unbeirrt weiter. Wie haben schon die Briten von Editors völlig richtig festgestellt? An end has a start. Und so wirkt "Shore" auch" – als sei das erste Kapitel der Band aus Seattle abgeschlossen und man nun bereit für das nächste. Auf zu neuen Ufern, im wahrsten Sinne des Wortes.

Aber weil jeder Neuanfang auch erstmal Zeit zum Anlaufen braucht, holt sich das Quintett tatkräftige Unterstützung an Bord: Im Opener "Wading in waist-high water" ist Pecknold selbst nur im Hintergrund zu hören. Die Leadstimme kommt von Uwade Akhere, die diese an die Gemütlichkeit des selbstbetitelten Debüts erinnernde Perle erfolgreich anführen darf. Erst im zweiten Song kommt Pecknold deutlich hörbar zu Wort und schmeichelt dabei nicht nur dem Trommelfell, sondern berührt sofort das Herz: "Sunblind" huldigt mit Kevin Morby am Gast-Mikro so einigen verstorbenen Helden und entführt gleichzeitig in die eigenen prägenden Jahre, als man die Musik für sich entdeckte: "For Richard Swift, for John and Bill / For every gift lifted far before its will / Judee and Smith / For Berman, too / I've met the myth hanging heavy over you / I loved you long / You rose to go", verabschiedet er sich da und findet im Refrain trotz all der Traurigkeit und Melancholie doch auch wieder genug Antrieb fürs Weitermachen. "So I dream, dream" – am Ende treffen wir uns eben alle im Schlaf wieder.

Es folgt mit "Can I believe you" ein weiteres Highlight gleich in der ersten Albumhälfte, und haben wir uns zu Beginn dieser Rezension noch über die Häufigkeit von Überraschungen ausgelassen, gibt es hier glatt die nächste. 2019 hatte Pecknold über seinen Instagram-Account nämlich um Fan-Aufnahmen der Background-Harmonien gebeten, die hier zu einem wunderschönen Chor zusammengeführt wurden und für mitunter den größten Gänsehaut-Moment des Albums sorgen. Gruppenarbeit, die Spaß macht? Kaum zu glauben. Bei so viel Herzklopfen braucht es zwischendurch eine kleine Pause, die Songs wie das tröstende "I'm not my season" oder auch "Thymia" mit seiner spürbaren Naturverbundenheit liebevoll untermalen. Dem gegenüber steht das üppige "Maestranza", das beide Arme weit ausstreckt und zur Umarmung bereit ist: "Now that a light is on / Now that the water runs / And the heartless are nearly gone / No time to get it wrong", ruft Pecknold da aus und signalisiert grünes Licht für alle, die aller Widerstände zum Trotz noch nicht aufgegeben haben: Wir schaffen das.

Spätestens in der zweiten Hälfte von "Shore" wird klar, dass Fleet Foxes mit diesem Neuanfang trotzdem auch versuchen wollen, die jeweiligen Anhänger des ersten und letzten Albums miteinander zu vereinen. "Young man's game", das eigener Aussage zufolge von John Prine – ja, dem "John" aus "Sunblind" – inspiriert wurde, schlägt eine Brücke zwischen den beiden Lagern, während "Cradling mother, cradling woman" sie einfach an den Händen schnappt und mitzieht. Mit der Hilfe von Grizzly Bears Christopher Bear und Daniel Rossen gibt es hier zudem auch das melodisch ausgeklügelste Stück des Albums: ein knallbuntes Potpourri aus allen Instrumenten, die das Studio zur Verfügung hatte. Klangwelten, die bis ins kleinste Eck erforscht werden. Eine Band, die sich auch auf dem vierten Album neu findet und für Überraschungen gut ist. Da wären wir dann wieder. "Alles hat ein Ende, das weiß jeder", stand in der Rezension zum letzten Album. Wenn auf "Shore" jenes Ende mit dem Titeltrack gekommen ist und man der Sonne am Horizont beim Untergehen zuschaut, gesellt sich zu der Traurigkeit auch ein bisschen Frohsinn, denn: Auch diesmal wird die Sonne wieder aufgehen, ein neuer Tag beginnen, ein neuer Anfang möglich sein.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sunblind
  • Can I believe you
  • Maestranza
  • Cradling mother, cradling woman
  • Shore

Tracklist

  1. Wading in waist-high water
  2. Sunblind
  3. Can I believe you
  4. Jara
  5. Featherweight
  6. A long way past the past
  7. For a week or two
  8. Maestranza
  9. Young man's game
  10. I'm not my season
  11. Quiet air / Gioia
  12. Going-to-the-sun Road
  13. Thymia
  14. Cradling mother, cradling woman
  15. Shore
Gesamtspielzeit: 54:38 min

Im Forum kommentieren

saihttam

2021-11-24 11:36:04

Ich verstehe den Preis auch nicht so ganz. Bin gerade mal die verschiedenen Kategorien durchgegangen und es ist schon der Wahnsinn, für was da alles Preise ausgegeben werde. Und dabei interessiert mich eigentlich nur eine Kategorie wirklich und zwar die des Best Alternative Albums.

Gomes21

2021-11-24 10:05:50

Keine Frage , tolles Album, mein liebstes der Band und eines meiner liebsten der letzten 5 Jahre. Dazu noch so hübsch verpackt (Vinyl); gesamterfahrung, hat alle lobeshymnen verdient.

Habe mich nur gefragt: was für eine Art Auszeichnung ist der Grammy? Was „belohnt“ er und wen?

SoundMax

2021-11-24 09:56:31

Freut mich für die Herrschaften! Höre das Album noch immer regelmäßig, und mit Featherweight hat es einen Top-3 Song der Diskographie.

saihttam

2021-11-23 23:17:50

hui, es muss ja nicht gleich so pampig sein. ;)

Teilweise kommen mir die Grammy-Nominierungen auch ziemlich wahllos vor. In diesem Falle würde ich es aber uneingeschränkt unterschreiben, dass es verdient ist. Auch wenn das natürlich ein höchst subjektives Kriterium ist.

Yersinia

2021-11-23 20:48:11

Dumme Frage, dumme Antwort.

Woher soll man das wissen? Die hören die Alben? Die lesen Plattentests.de? Who knows. Ich denke es wird eine Kombination aus einigen Faktoren sein. Kritiken, Musik, Publikum etc.

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