Thurston Moore - By the fire

Daydream Library / Cargo
VÖ: 25.09.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Who you gonna call?

Manche Leute sagen, es gibt keine Gespenster, und andere glauben an Sonic Youth. Der Geist der New Yorker Legenden ist auch neun Jahre nach ihrer Auflösung 2011 so allgegenwärtig wie in den drei Dekaden ihres Bestehens. In jeder unkonventionell gestimmten Gitarre, in jeder Feedback-Wolke, in den Zeilen von Musik-Kritiken wie dieser hier, die immer noch nicht loslassen können. Da kann sich Lee Ranaldo noch so sehr an seine Americana-Akzente kuscheln oder Kim Gordon ihren Techno-Experimenten verfallen – beide entkommen sie dem Schatten ihrer Vergangenheit nicht. Thurston Moore wollte nie weglaufen. Klar, auch er beschritt solo so manchen neuen Pfad, doch reichten Alben wie "The best day" oder "Rock n roll consciousness" der Seele der Ex-Band stets die Hand. Der große Diplomat hegt keinen Groll und bemüht sich, das Früher mit dem Heute in Einklang zu bringen – auf seiner siebten Solo-Platte vielleicht so intensiv wie noch nie.

Auf 82 dicht gefüllten Minuten zieht "By the fire" ein Resümee über alles, was Moore in den letzten 25 Jahren so getrieben hat. Gut, sagen wir fast alles, da das Album die waghalsigsten Verrenkungen zugunsten seiner Zugänglichkeit außen vorlässt. Schon die ersten leicht windschiefen Saitenanschläge fühlen sich wie Zuhause an, auch wenn das Opener-Doppel auf gewohnt hohem Niveau ein klein wenig enttäuscht. "Hashish" rauscht mit der entspannten Dringlichkeit der späten Sonic Youth, bedient sich aber etwas zu großzügig am "A thousand leaves"-Song "Sunday". Im grungigen "Cantaloupe" bricht im Anschluss die aggressive Härte von Chelsea Light Moving durch. Zweitgitarrist James Sedwards fügt mit seinem Hardrock-Solo ein neues Element hinzu, das sich jedoch nicht ganz ölgeschmiert ins routinierte Getriebe einfügen will. Doch die Thurston Moore Group spielt sich gerade erst warm.

Eine Person darf bei einer solchen musikalischen Zeitreise natürlich nicht fehlen und das ist Steve Shelley. Der heimliche Held von Sonic Youth, der den freidrehenden Genies seiner drei Frontleute immer schon die nötige Struktur gab, ersetzt in "Breath" den eigentlichen Drummer Jem Doulton – und klopft damit das Fundament für eines der größten Highlights. Unter Anleitung von My-Bloody-Valentine-Bassistin Deb Googe pendelt der Track meisterhaft zwischen melodisch-schönen Passagen und Swans-ähnlichem Geschredder bis zum unvermeidlichen Noise-Zusammenbruch. Generell begeistert "By the fire" jedes Mal, wenn eines seiner Stücke die Zehn-Minuten-Marke überschreitet. So liefert "Siren" das jüngste Beispiel für die pure Magie, die der 62-Jährige mit unaufgeregter Geste aus seinen Saiten tropfen lässt. Hat die Musikgeschichte technisch versiertere und flexiblere Gitarristen als Thurston Moore gesehen? Sicherlich, aber nur wenige klingen so unverwechselbar und absolut niemand versteht die natürliche Dynamik von Wohlklang und Krach so tiefgreifend.

Kompaktere, schlagzeuglose Songs wie "Calligraphy" oder das akustische "Dreamers work", das auch ohne Streicher wunderbar auf "Demolished thoughts" gepasst hätte, lockern die dicken Rauchwolken von "By the fire" an den richtigen Stellen auf. Seinem Titel entsprechend hält das Album einen recht gemütlichen Grundton, doch oft genug zischen die Flammen lodernd aus dem Kamin heraus: Sei es in der Krautrock-Hypnose des unbequemen "They believe in love (when they look at you)" oder dem weißen Rauschen des Abschlusssturms "Venus". Und dann gibt es noch ein Monument namens "Locomotives". Wer noch immer nicht an die narrative Wirkmacht von Klang glaubt, lasse sich von diesen 17 Minuten bekehren. Moore schichtet bekannte Versatzstücke zu etwas Neuem zusammen, wiederholt keinen Part und lässt die Musik ihre ganz eigene Geschichte verfolgen. Von ein paar Startschwierigkeiten abgesehen steckt der große Diplomat also mal wieder den Großteil des aktuellen Indie-Rocks in die Tasche, ohne auch nur einen Hauch von Mühe, Pathos oder Pose – er hört einfach nur zu. Die Geister der Vergangenheit haben schließlich noch so einiges zu erzählen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Breath
  • Siren
  • Locomotives

Tracklist

  1. Hashish
  2. Cantaloupe
  3. Breath
  4. Siren
  5. Calligraphy
  6. Locomotives
  7. Dreamers work
  8. They believe in love (when they look at you
  9. Venus
Gesamtspielzeit: 82:23 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2020-10-01 13:59:22

Gefällt mir alles schon mal sehr gut. Auch "Locomotives". Herrlich umhermäandernd.

The MACHINA of God

2020-09-30 18:55:35

So. Erster Durchgang läuft. Bin gespannt.

oldschool

2020-09-30 18:54:40

Bin auch bei einer 7.
Nur ein Song geht bei mir gar nicht - und das ist eines Eurer Highlights: Locomotives

narrative Wirkmacht von Klang?
Ich höre bestenfalls den Klang, leider nicht im positiven Sinne. Man kann auch Lärm sagen, aber leider nicht in der Art, wie ich Ihn von Thurston Moore zu schätzen weiss.

Mit dem rest der Songs bin ich aber voll bei euch

Armin

2020-09-29 19:47:39- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Mr Oh so

2020-09-29 13:46:17

Hui, schon wieder was Neues!

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