Alicia Keys - Alicia

RCA / Sony
VÖ: 18.09.2020
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ich vs. Ed

Wenn Musiker*innen ihre Memoiren veröffentlichen, lassen sich Wetten darauf abschließen, dass dies nur in Begleitung ihres "persönlichsten" oder "intimsten" Albums geschieht. Alicia Keys' siebte Platte – die zusammen mit ihrem Buch "More myself: A journey" im März 2020 erscheinen sollte und wegen Ihr-wisst-schon-was ein halbes Jahr nach hinten geschoben wurde – trägt erwartungsgemäß genau solche Floskeln mit sich. Es überrascht genauso wenig, dass "Alicia" seine Versprechungen nur teilweise erfüllen kann. Einerseits hält Keys sich und der amerikanischen Gesellschaft durchaus den Spiegel vor und wählt in ihren stilistisch vielfältigen, eigensinnigen Kompositionen nicht immer den Weg des geringsten Widerstands. Doch leider zieht sie ihr Ding nicht konsequent durch, weswegen sie im Vergleich zum fast durchweg starken "Here" wieder einen kleinen Rückschritt macht.

Mehr Intro als Opener, setzt "Truth without love" unter schönen Harmonien zum angriffslustigen Wortschwall an: gefällig, aber auch zu diffus, um nachhaltig Wirkung zu erzielen. Diese Vagheit wird dem ganzen Album zum Verhängnis, wenn Keys es zu vielen, zu unterschiedlichen Ohren recht machen will und im schlimmsten Fall bei komplett persönlichkeitslosem Charts-Futter landet. Dem unentschuldbar grausamen "Underdog" hört man die Beteiligung des unentschuldbar grausamen Belanglosigkeitsbarden Ed Sheeran in jeder klebrig angeschlagenen Gitarrensaite an. Der Bombast-Pop von "Love looks better" gestaltet sich mit seiner halbherzigen EDM-Hook kaum weniger schlimm und klischeehafte Zeilen wie "All I ever wanted was a dollar and a chance" machen es auch nicht gerade besser. Komplettiert wird die Kann-weg-Seite von "Alicia" von den egalen R'n'B-Balladen "Show me love" und "You save me", in denen aber zumindest die markante Stimme der 39-Jährigen etwas mehr zur Geltung kommt.

Da die Tiefpunkte aber höchstens ein Drittel dieser 54 Minuten ausmachen, zeigt der Daumen unterm Strich nach oben. Keys wagt sich des Öfteren aus ihrer Komfortzone heraus und hat hörbaren Spaß dabei, ihren Trademark-Sound zu unterlaufen. "Time machine" bohrt mit Sitar und Bass in den Tiefen psychedelischen Retro-Funks und klingt wie nichts anderes in ihrem Œuvre. Gemeinsam mit dem tansanischen Künstler Diamond Platnumz feiert "Wasted energy" eine dubbige Strandparty, während der melodisch umwerfende Lagerfeuer-Soul von "Gramercy Park" Gospel- und Folk-Einflüsse verwebt. Mit Xylophon-ähnlichen Synths und einem verspulten Killer-Part der Rapperin Tierra Whack steht "Me x 7" für einen minimalistischen und unangepassten Pop-Entwurf. Selbst das an Achtziger-Radio erinnernde "Authors of forever" bringt seine textliche Naivität so aufrichtig und luftig rüber, dass man dem Stück seinen ungebrochenen Optimismus voll abkauft.

Gerade in der Subtilität beweist die New Yorkerin ihr Talent als äußerst fähige Songwriterin. Wie sie sich zusammen mit Khalid in den melodischen Windungen von "So done" verläuft, gelingt ebenso gut wie der nächtliche Großstadtschimmer des von Sampha unterstützten "3 hour drive". Besonders heilsam erwärmt "Jill Scott" den Brustkorb, eine süße, organische Würdigung der gleichnamigen – und hier auch mitwirkenden – Neo-Soul-Sängerin. Am tiefsten ins Herz sticht allerdings das auf Piano, Streicher und Stimme reduzierte "Perfect way to die", das von rassistischer Polizeigewalt aus der Sicht einer trauernden Mutter erzählt: erstklassiges Storytelling, das Gesellschaftskritik mit einem intimen Einzelschicksal verbindet. Der ähnlich arrangierte Closer hätte eine vergleichbare Wirkung erzielen können, sein Empowerment übersehener Arbeiter*innen weckt aber ein paar unangenehme Balkonklatsch-Assoziationen. Immerhin ist sich Keys der Nichtigkeit ihres symbolischen Schulterklopfers für diese oft unterbezahlten Menschen ein bisschen selbst bewusst: "I don't know if this helps." Wird's nicht, Alicia, aber Du hast es ja wie immer gut gemeint. Und Deine Mucke geht auch immer noch voll in Ordnung.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Me x 7 (feat. Tierra Whack)
  • Gramercy Park
  • Jill Scott (feat. Jill Scott)
  • Perfect way to die

Tracklist

  1. Truth without love
  2. Time machine
  3. Authors of forever
  4. Wasted energy (feat. Diamond Platnumz)
  5. Underdog
  6. 3 hour drive (feat. Sampha)
  7. Me x 7 (feat. Tierra Whack)
  8. Show me love (feat. Miguel)
  9. So done (feat. Khalid)
  10. Gramercy Park
  11. Love looks better
  12. You save me (feat. Snoh Aalegra)
  13. Jill Scott (feat. Jill Scott)
  14. Perfect way to die
  15. Good job
Gesamtspielzeit: 54:40 min

Im Forum kommentieren

Kojiro

2020-09-29 20:34:52

Deckt sich so ziemlich weitgehend mit dem, was ich bereits geschrieben habe.

Armin

2020-09-29 19:47:14- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?


Kojiro

2020-09-20 10:15:50

Sehe ich genauso. Verstehe nicht, wieso sie sich nicht häufiger auf ihre Stärken konzentriert. Jill Scott beispielweise steht ihr ganz ausgezeichnet. Richtig schön. Dann gibt´s aber auch einige Nummern, die einfach auf-Teufel-komm-raus nach Chart klingen, obwohl sie das überhaupt nicht nötig hätte.

Grizzly Adams

2020-09-18 17:25:27

Ich finde Alicia Keys dann am stärksten, wenn sie den jazzigen Vibe hervorholt oder/und Stimme und Piano dennSong bestimmen. Sie ist einfach eine tolle Sängerin. Das merkt man aber vor allem in den reduzierten Songs. Da packt sie mich fast immer. Der erste Eindruck des neuen Albums bestätigt mich da. Muss aber noch ein paar Runden drehen. Vllt gewinnen die bisher blassen Stücke dann mehr Aufmerksamkeit.

Kojiro

2020-09-18 17:19:07

Abwechslungsreich, viel Licht, aber leider auch viel Schatten.

Authors Of Forever
Wasted Energy
3 Hour Drive
Me x 7
Gramercy Park
Jill Scott
Perfect Way To Die

bislang am besten. Me x 7 und Jill Scott (Minnie Riperton Vibes) mag ich bisher am liebsten. Leider auch viel Schrott daneben...

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