Gazpacho - Fireworker

Kscope / Edel
VÖ: 18.09.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Basic instinct

Das Biest ist in uns. Nach Thomas Andersen, Keyboarder der norwegischen Prog-Institution Gazpacho, hat jeder Mensch einen animalischen, instinktgetriebenen Kern, den "Fireworker". Das ist seit Freuds Es keine Neuigkeit mehr, doch gehen Andersen und seine Bandkollegen so weit, dass sie jenem "Fireworker" den dominanten Teil der menschlichen Persönlichkeit zuschreiben. Das Bewusstsein kann nur die Handlungen des Animalischen relativieren und moderieren, es zu unterdrücken, bringt nur Qual. Schöne Aussichten, wenn dies zuträfe. Erstaunlicherweise ist das zugehörige Gazpacho-Album gar nicht derart wild und ungehemmt. Vielmehr beweisen die sechs Mitglieder der Band, dass sie auch nach über 20 Jahren immer noch die Meister der gedämpften, ruhigen Passage sind, auch wenn es stellenweise mal etwas rockiger wird.

Dass zum Auftakt in "Space cowboy" ein diffuser Synth-Nebel rhythmische Leerstellen besetzt, ein Klavier sich zaghaft vorantastet oder der Gesang von Jan-Henrik Ohme einem instrumentalen Hauch von nichts gegenübertritt, gehört mehr zu den Glanzpunkten des Stücks als die brachialen Gitarren oder die Wagner-Chöre. Gazpacho fügen aber letztgenannte Elemente schlüssig ein, es entsteht ein Wechselspiel aus epischer Wucht und fragiler Introspektive. Doch sind es vor allem die ruhigen Parts, die durch ihre vielschichtige und transparente Ausgestaltung viele Anknüpfpunkte bieten. Immer, wenn sich diese Platte dem Allmählichen, dem mitunter Kontemplativen zuwendet, erreicht sie eine atmosphärische Dichte, die unheimlich tief geht.

Dass in dieses Sinnieren aber auch ein brachiales Riff einfallen kann, aus Gedankenschweifen kantiges Pathos wird, bereichert die Stimmung dieses Albums noch ungemein. Das als zarte Klavierballade startende "Hourglass" trägt das Potenzial einer gewaltigen Entladung in sich, wird melodisch aber ganz behutsam in Richtung himmlische Sphären geschickt. Auch hier setzen kraftvolle Chöre ein, die Schlachtfeld und Eden gleichermaßen repräsentieren. Und trotzdem sind die gelungensten Passagen diejenigen, die sich bescheiden und gefühlvoll zart zeigen. Das Titelstück flirtet mit Saiteninstrumenten vom indischen Subkontinent, ein fast poppiges Keyboard und klassische Rock-Riffs gesellen sich hinzu. Dabei erstaunt, dass trotz eher flottem Tempo eine gewisse Getragenheit dominiert, bewerkstelligt durch Ohmes fast feierlichen Gesang.

Grabestiefe Klaviertöne sind hingegen das Entrée für "Antique", diese hellen sich jedoch in zaghafte Verspieltheit auf. Und wieder fällt auf, mit welch unverkrampfter Ruhe der Gesang das eigentlich dunkle Stück elegant ausleuchtet. Auch in diesem Fall verzücken vor allem die zurückhaltenden, mit großer kompositorischer Konzentration ausgeführten Parts, auch wenn die wuchtigen Elemente mitreißen. Das abschließende "Sapien" führt wie der ähnlich ausladende Opener noch einmal vor Augen, mit welchem Selbstbewusstsein Gazpacho die langen Wege gehen. Wenn eine Viertelstunde zur gewissenhaften Entfaltung der Musik nötig ist, ist das halt so. In dieser Zeit kann sich der / die Hörer*In in wabernden Keyboardflächen, fragilen Streicherfiguren, aber eben auch in zupackender Rockigkeit verlieren. Ein Album, das sich Zeit nimmt, bei dem aber kein Ton verschwendet ist. Ein Biest in vollkommener Ausgestaltung.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Space cowboy
  • Sapien

Tracklist

  1. Space cowboy
  2. Hourglass
  3. Fireworker
  4. Antique
  5. Sapien
Gesamtspielzeit: 50:25 min

Im Forum kommentieren

Gomes21

2020-12-29 20:32:12

Konnte mich noch nicht durchringen das ALbum anzuschmeißen obwohl ich die Band eigentlich sehr schätze. Bin wohl doch viel prog-müder als ich dachte

Der Wanderjunge Fridolin

2020-12-29 17:53:00

Endlich mal jemand, der das Album zu würdigen weiß : D

Pivo

2020-12-29 15:00:45

Nach drei Monaten bin ich nun endlich beim "Fireworker" angekommen. Space Cowboy war am Anfang so gar nicht meins, ist aber inzwischen zum Höhepunkt des Albums gereift. Die Zwischenstücke sitzen und mit Sapien wird die Geschichte am Ende richtig rund. Es ist ein großartiges Werk und kann mühelos mit den Großtaten Night und Demon in einem Atemzug genannt werden.

Mein finales Urteil ist nun die 9/10.

Aber die fast dreimonatige Einarbeitungszeit ist schon heftig. Ich muss aber auch gestehen, dass ich nicht jede Woche zehn Alben höre, daher dauert es bei mir immer etwas länger....

Pivo

2020-10-07 15:30:07

Wie gut wird den "Sapien" bitte wenn man es öfter anhört... Sehr, sehr guter Song... So langsam kommt das Album bei mir immer mehr an. Wird noch größer....

Fenogas

2020-09-30 12:31:49

Einem Gazpacho Album etwas anderes als eine 7 zu geben würde das Raum Zeit Gefüge durcheinander bringen.

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