A Certain Ratio - ACR loco

Mute / PIAS / Rough Trade
VÖ: 25.09.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Väter der Klamotten

"Die gleiche Energie wie Joy Division, aber die cooleren Klamotten." So Ende der Siebziger Tony Wilson, der Chef von Factory Records, über seine Schützlinge A Certain Ratio. Irgendwie tragisch, wenn es ausgerechnet ein solches Zitat ist, das am stärksten aus rund 40 Jahren Musikerkarriere hängenbleibt. Ian Curtis war Fan und die Band gilt als prägender Einfluss für Strömungen von Funk-Pop über Rave-Rock bis Disco-Punk. Ein Hit blieb den Mancunians allerdings stets verwehrt – was ihrer stilistischen Vielseitigkeit aber vermutlich nur geschadet hätte. Nicht einmal das Post-Punk-Revival hatten A Certain Ratio nötig: Sie waren lieber die wunde Stelle, die Indie-Kunstschüler, Balearic-Dance-Fusionisten oder die Macher des DFA-Labels daran erinnerte, wer ihren Sound anno Frack erfunden hatte. Wenigstens eine honorige Position.

Ihr Schattendasein nehmen A Certain Ratio gelassen: Gitarrist Martin Moscrop kuratierte den Soundtrack zum Factory-Biopic "24 hour party people", Sänger und Bassist Jez Kerr denkt amüsiert an die frühen Auftritte mit Talking Heads zurück, die David Byrne auf den Trichter mit dem Tribal-Funk brachten, und Drummer Donald Johnson würde bis heute zusammen mit dem früheren Magazine- und Nick-Cave-Bassisten Barry Adamson das coolste schwarze Rhythmus-Duo noch vor Sly & Robbie abgeben, wenn nur jemand mal darauf gekommen wäre. Ebenfalls eine prima Idee: "ACR loco", das elfte Studioalbum und das erste seit "Mind made up" von 2008, mit dem anschmiegsamen, New-Order-artigen Groover "Always in love" anzukündigen und mit der von jazzigem Gebläse durchzogenen Psych-Pop-Schnurre "Friends around us" zu eröffnen.

Ein betont aufgeräumter Einstieg – doch nicht, dass dem Trio plötzlich der Funk fehlen würde. Im Gegenteil: A Certain Ratio langen mitten hinein und bringen bei "Bouncy bouncy" oder "Supafreak" alles unter, was im Genre gut und teuer ist. Reintoastende MCs und quirlige Maultrommel-Keyboards treffen auf hyperaktive Percussion und fidele Saxofone, dazu addiert Denise Johnson erhebenden Soul – einer ihrer letzten Auftritte, bevor die ehemalige Primal-Scream-Vokalistin zwei Monate vor Release von "ACR loco" plötzlich verstarb. Oft gehen diese Tracks inhaltlich zwar nicht über "Let the rhythm take you, free your mind" oder "Brothers and sisters, we are family" hinaus – doch wer Mitte der Neunziger an britischer Lad-Tanzmusik wie K-Klass oder The Shamen nicht ganz unschuldig war, darf sich nun mal auch auf diese berufen. Pumpt.

Generell ist es ein Vergnügen, wie sich A Certain Ratio als umsichtige Gründerväter auf ihre eigenen Spuren begeben: Das zackige Kuhglocken-Phonk "Yo yo gi" stattet The Raptures "House of jealous lovers" einen zappeligen Besuch ab, "Berlin" steigt bassig in New-Wave-Abgründe hinab, in denen die Harmonie von Q Lazzarus' "Goodbye horses" wartet. Und der reichlich angetüterte "Taxi guy" gönnt sich eine Line Acid und grüßt alle, die schon 1981 auf "To each ..." nicht mit lateinamerikanischen Rhythmen klarkamen – als würde Ramon Zenker seine grundverschiedenen Projekte Bellini und Hardfloor in den Mashup-Schwitzkasten nehmen. Zum Schluss wird dieses tolle, aus allen Nähten platzende Album also doch noch ganz schön crazy, und wer weiß: Vielleicht enthält es sogar einen Hit? Auf den käme es nach 40 Jahren schließlich auch nicht mehr an.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Bouncy bouncy
  • Yo yo gi
  • Always in love
  • Berlin

Tracklist

  1. Friends around us
  2. Bouncy bouncy
  3. Yo yo gi
  4. Supafreak
  5. Always in love
  6. Family
  7. Get a grip
  8. Berlin
  9. What's wrong
  10. Taxi guy
Gesamtspielzeit: 50:04 min

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Lateralis84skleinerBruder

2020-09-30 07:46:10

Muss erst einmal „To each...“ hören. Die liegt auf meinem Stapel der Schande

Armin

2020-09-29 19:45:53- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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