Deftones - Ohms
Reprise / WarnerVÖ: 25.09.2020
Den Schritt zum Vagen
Brian Eno sah in My Bloody Valentines "Soon" einen neuen Standard im Pop und nannte das Stück "the vaguest music ever to have been a hit." Schließlich ging es den Shoegazern vorrangig um Textur und Sound, um ein Gefühl und weniger darum, eine nachvollziehbare Hook im Langzeitgedächtnis mit möglichst viel Nachdruck zu implantieren. Deftones machen, wenn man so will, "the vaguest music ever to have been called metal." Die Kalifornier haben alles, was eine Hartwurstkapelle auszeichnet, die ursprünglich mal im Nu-Metal-Sumpf entstand: grollende Bässe, teils tiefergestimmte Gitarren und das Spiel zwischen Laut und Leise, zwischen Gesang und Gebrüll. Und doch fühlten und fühlen sich Deftones nie wirklich wie vergleichbare Metalbands an. Auch in ihren aggressivsten Passagen funktioniert ihre Musik mindestens genauso gut als Ambient. Ihr neuntes Album "Ohms" lehnt sich einmal mehr in genau diese Richtung.
Im Nachhinein steht das etwas kritischer aufgenommene "Gore" wie ein unentschlossenes Werk zwischen Song- und Albumorientierung da. 2020 verzichtet das Quintett beinahe gänzlich auf jegliches Hitpotenzial, sondern lässt die zehn Stücke wie einen Soundteppich auf den Hörer herab. Vergleiche zu Tools ähnlich funktionierendem "Fear inoculum" kommen in den Sinn, auch wenn die Zehn-Minuten-Marke auf "Ohms" bei weitem keine Rolle spielt. Ein typisch dynamisches Stück wie das grandiose "Radiant city" schafft es zwar, neben Chino Morenos Geschrei durch den Telefonhörer einen überraschend klaren und melodischen Refrain zu stellen. Es ist jedoch zugleich das Bindeglied zwischen den nachfolgenden, besonneneren "Headless" und der psychotischen Hölle davor.
"This link is dead" gibt sich nämlich als Bruder im Geiste von "When girls telephone boys" vom selbstbetitelten Album, einem der intensivsten Deftones-Momente überhaupt. Die Paranoia erzeugt bereits das Horror-Intro, bevor Moreno "That shit means nothing" mit einer Extraportion Galle in die Welt rausspuckt. Harmonische Antäuschungen unterdrückt die Band kurzerhand stets mit heftigsten Soundwänden. Es ist ein Ausnahmesong auf "Ohms", ohne dass er fehl am Platz wirkt. Geht man von hier aus weiter zurück, findet man als größtmöglichen Kontrast das sphärische Outro des biblisch angehauchten "Pompeji", dessen Synths glatt von Nick Cave & The Bad Seeds' "Ghosteen" geliehen sein könnten. Vielleicht um dem Ausbruch umso mehr Wirkung zu verschaffen. Zuvor bringt das komplexe und entsprechend passend betitelte "The spell of mathematics" sogar Fingerschnippen und Handclaps zur rhythmischen Verstärkung unter.
Natürlich ist "Ohms" keine Neuerfindung, sondern eine weitere Feinjustierung des Deftones-Sounds. Der Opener "Genesis" bietet einen würdigen Einstieg, der die Parameter zwischen angedeuteten Refrains und Umschalten auf Attacke einstellt. "Climbing out of the ashes / Turning time inside out / We're miles beyond the sound." Was auch immer das bedeuten soll, es bleibt vage – und passt damit zum Gefühl, dass diese Platte vermittelt. Das Eintauchen zählt. Das Schluckauf-Riff von "Urantia" erinnert zwar kurz an klassischen Metal, diese Abfahrt lassen die fünf Männer aus Sacramento jedoch schnell links liegen. "Error" möchte sich derweil nicht zwischen Schweben und Sprengen entscheiden und verbindet beides in meisterhafter Weise.
Drummer Abe Cunningham bemerkte derweil höchstselbst anlässlich des Closers und Titeltracks, dass Stephen Carpenters fetter Gitarrensound hier so massiv sei, dass sein Schlagzeugspiel trotz großer Anstrengung im Mix kaum dagegen ankommt. Schon auf "Gore" ein Diskussionsthema, ist die Produktion auch auf "Ohms" häufig flächig. Während Sergio Vegas Bass seine Momente bekommt, ist Cunningham zwar meist präsenter als im angesprochenen Titeltrack, jedoch selten im Scheinwerferlicht. Diesmal passt die Herangehensweise in der Produktion jedoch deutlich besser, denn während bei "Gore" die Grundaggression gebremst wurde, sind diese Songs von Vornherein darauf ausgelegt, zu hypnotisieren, zu umgarnen. Der nächste Verwandte ist daher auch das unglaublich geschlossene, weitläufige "Koi no yokan", das zurecht als spätes Highlight der Diskografie gilt. Insofern darf man die letzten Worte von "Ohms" für sich sprechen lassen: "Time won't change this / This promise we made / And time won't change this / We shall remain."
Highlights & Tracklist
Highlights
- Genesis
- Error
- This link is dead
- Radiant city
Tracklist
- Genesis
- Ceremony
- Urantia
- Error
- The spell of mathematics
- Pompeji
- This link is dead
- Radiant city
- Headless
- Ohms
Im Forum kommentieren
Affengitarre
2023-11-16 15:05:16
So wirklich warm werde ich mit dem Album irgenwie doch nicht. Die Stimmung und der Sound sind schon cool, aber die meisten Songs finde ich nicht ganz so spannend. Die "Gore" hat definitiv ihre Schwächen, aber da gibt es Sachen wie den Opener, "Geometric Headdress" und das Abschlusstrio. Hier rauschen viele Songs für mich nur ganz gut durch. Immer noch gut und in der richtigen Stimmung funktioniert das auch einwandfrei, aber doch eher eins ihrer schwächeren Alben für mich.
Akim
2021-05-03 21:42:13
Was soll eine stabile Platte für ein Qualitätskriterium sein? Völlig nichtssagend. Das Album ist zu gleichförmig um in irgendeiner Weise mitzureißen. Vieles ist ganz nett aber das sind nicht die Deftones, die in der Vergangenheit für Begeisterungsstürme gesorgt haben. Hab das Album kurz nach Release 5-6x gehört und seit dem nie wieder.
Zum Vergleich Adrenaline vs. Gore
Sicher hat man sich nach Adrenaline immer mehr gesteigert und auch die Produktion war später besser. Allerdings ist es auch dieses rohe, ungeschliffene was ich an Adrenaline so schätze. Und gerade was Produktion angeht stinkt doch Gore ziemlich ab. Während auf der Adrenaline Klassiker wie "Bored", "7 Words" oder "Fireal" vertreten sind, sucht man die auf "Gore" mit der Lupe. Ein paar gute Songs ja aber nichts was heraussticht. Im Allgemeinen gefällt mir der Weg den man zuletzt eingeschlagen hat nicht sonderlich. Das letzte richtig starke Album war für mich Koi No Yokan.
Galakthorroe
2021-05-03 21:12:58
@hubschrauberpilot
...als alter Lofi-Fetischist der ich bin ist der Sound der Scheibe für mich schon fast überproduziert bzw. total mainstreamig und das mit dem schwachen Songs sehe ich total anders...Geschmackssache eben
hubschrauberpilot
2021-05-03 19:56:38
Klassiker? Schwacher Sound, schwache Songs. Ok, ist das Debut, und man hat damals schon gemerkt: aus der Band wird mal was.
Galakthorroe
2021-05-03 19:23:57
Adrenaline ist mMn ein Klassiker, wenn nicht sogar Meilenstein aber eben alles Geschmackssache!
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