Hannah Georgas - All that emotion

Arts & Crafts / Brassland
VÖ: 04.09.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Im Rückspiegel

Empörte Indie-Nasen können durchschnaufen: Aaron Dessner hat seine Credibility wieder. Nach der Zusammenarbeit mit der bösen Charts-Frau Taylor Swift haut der The-National-Mann im Sommer 2020 ein weiteres von ihm produziertes Werk raus, nämlich das vierte Album der Kanadierin Hannah Georgas. Die kennt zumindest hierzulande keine Sau, hat noch nie eine Stadiontour ausverkauft und tauchte bislang auch auf keiner Forbes-Liste auf. Indie genug? Wer so albernes Schubladendenken bereits überwunden hat, kann vielleicht anerkennen, dass hier erneut eine fähige Singer-Songwriterin gemeinsam mit einem ebenso kompetenten Produzenten ein äußerst stimmiges, auf sie zugeschnittenes Soundbild entworfen hat. Im Fall von Georgas ist das eine subtile, detailreiche Auslegung von Electro-Pop, die mit ihrer nervösen Percussion sowie den Gitarren- und Piano-Loops vor allem an The Nationals "Sleep well beast" erinnert. Doch die Arrangements spielen hier nicht die Hauptrolle, sie eröffnen schlicht den Raum, den die Erzählerin mit ihren Geschichten füllt. "All that emotion" hält, was es im Titel und dem Cover-Foto aus dem Familienalbum verspricht, und initiiert eine von der eigenen Vergangenheit inspirierte Reise über vielfach verschlungene Gefühlspfade.

Die Klaviatur der komplexen Emotionen spielt sich stellenweise in einem einzelnen Song ab. Georgas versteht es wunderbar, die schattigen Seitengassen ihres Innenlebens mit heller, optimistischer Musik zu kontrastieren. Pulsierende Drums treiben den Opener "That emotion" voran, ein warmer Synthie-Schleier und eine wundervolle Gesangsmelodie legen sich darüber und alle können sie nicht verbergen, dass es im Kern des Tracks um Einsamkeit geht. In "Easy" beklagt die Protagonistin den Verlust ihrer Worte, während um sie herum ein mechanisches Vogelkonzert stottert. Das spätere "Habits" deutet gar etwas Achtziger-Radio-Pathos an, um mit einer manipulativen Liebesbeziehung abzurechnen. Nur in seltenen Momenten dürfen Ton und Text gleichzeitig die Partyhüte aufsetzen. Etwa in "Dreams", einem kleinen Dancepop-Hit mit Synthbass-Dynamo, in dem Georgas Hoffnung aus einer Begegnung schöpft: "Didn't know what I wanted / Until I wanted you." Die gleichermaßen verletzliche wie kraftvolle Stimme der 37-Jährigen schenkt den losen Erinnerungen und Stimmungen ihren roten Faden. Sie gibt den Kompositionen auch dann Konturen, wenn diese an der äußersten Oberfläche etwas weichgezeichnet erscheinen.

Nicht, dass die Musik sonst keine Tiefe hätte – im Gegenteil offenbart sich gerade mit Kopfhörern die Vielschichtigkeit von Dessners Produktion. Man achte nur darauf, wie die Gitarrenanschläge von "Someone I don't know" mit dem Beat verschmelzen, oder was alles an Piano-Motiven, rhythmischen Verschiebungen und Störgeräuschen im Highlight "Change" passiert. Auch der "Punching bag" ist reich gefüllt mit perkussiven Flüster-Vocals und angetäuschtem Fuzz. Georgas lässt sich von all dem Hochbetrieb um sie herum nicht unterdrücken, sondern nutzt ihn zum eigenen Vorteil. "Pray it away" setzt sich mit den Erwartungen einer konservativen Familie auseinander, die Unsicherheit blitzt in erratischen Synths und Drum-Patterns auf: "Will you still love me even though I'm not what you thought?" Gitarren heulen über dem sanften Herzschlag von "Same mistakes", das am deutlichsten mit den Narben der Kindheit ringt: "I grew up in a family of wolves." Doch die erwachsene Hannah klopft ihrem jüngeren Ich auf die Schulter, weil sie weiß, dass der Schmerz kein nachhaltiger sein wird: "None of this matters, but it hurts like hell." Vielleicht stößt nicht jeder Song auf "All that emotion" ähnlich tief ins Herz, doch mit all ihrer Empathie und Eleganz macht die Platte das locker wett. Zumindest ein Teil der Aufmerksamkeit für die andere Dessner-Kollaborateurin dieses Sommers dürfte gerne nach Kanada gehen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • That emotion
  • Pray it away
  • Same mistakes
  • Change

Tracklist

  1. That emotion
  2. Easy
  3. Dreams
  4. Pray it away
  5. Someone I don't know
  6. Punching bag
  7. Same mistakes
  8. Just a phase
  9. Habits
  10. Change
  11. Cruel
Gesamtspielzeit: 40:50 min

Im Forum kommentieren

greenice24

2020-11-26 16:34:32

Bin erst vor ein paar Wochen auf sie über einen Podcast gestoßen. Das Album ist ein echter Grower und in der Zwischenzeit auf Dauer-Rotation. Ruhig und trotzdem irgendwie beschwingt. Seltene Kombi und schwer hinzubekommen.

VfBFan

2020-09-18 21:25:05

Da bin ich mal gespannt. Mit dem Konzert dieses Frühjahr wars ja nix.

Armin

2020-09-15 21:18:56- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

musie

2020-09-11 22:43:27

Das neue Album ist da. Finde sie grossartig, seit ich sie vor einem Jahr als Opener für The National und danach mit ihnen auf der Bühne gesehen habe. Ein bisschen zwischen den Stühlen, nicht immer ganz eingängig, aber sehr sehr gut.

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