
Fenne Lily - Breach
Dead Oceans / CargoVÖ: 18.09.2020
Pflaster für alle
Fenne Lilys Debüt "On hold" erschien genau zur richtigen Zeit, weil für diese Art von Musik jede Zeit die richtige ist. Manche wunderten sich, wie die blutjunge Britin mit ihren unscheinbar gezupften Folk-Miniaturen schon vor Veröffentlichung der ersten Platte millionenfache Streams und Klicks aufweisen konnte. Die Antwort ist eigentlich ganz simpel: weil diese sanft sprudelnden akustischen Trostquellen eine universale Sprache sprechen. Lily schreibt in ihrer emotionalen Zugänglichkeit massentaugliche Songs, die aber unbedingt alleine und in Ruhe gehört werden wollen. Ihr zweites Album "Breach" kommt also mit einem noch besseren Timing als ohnehin schon, da Isolation und Trostbedürfnis in diesem unheilvollen Jahr 2020 Sonderrollen spielen. Zwar hat sie die elektronischen Akzente des Vorgängers hier durch ein paar dezente, von Steve Albini unterstützte Rock-Gesten ersetzt, doch an Empathie und Subtilität ging dabei nichts verloren.
Dass "Breach" Biss hat, beweist schon die Single "Alapathy". Piano und Drums pulsieren mit einem nervösen, aber bestimmten Momentum, die schrammelige E-Gitarre erfährt ein paar mittelschwere Noise-Zuckungen. Lilys tiefe Stimme klingt so warm und wohlmeinend wie immer, doch giftet sie hier gegen die misslungene Medikation ihrer psychischen Erkrankungen. Für den Großteil der Platte steht allerdings eher ein Stück wie "Elliott" stellvertretend, das mit Streichern und Fahrradklingeln sein folkiges Sehnsuchtsskelett umschmeichelt. "Seicht", "kitschig" oder "selbstmitleidig" könnte der Berufszyniker diese einfachen, melancholischen Kompositionen nennen, die schlichte Schönheit vor musikalische Ambitionen stellen. Doch wer emotional noch nicht völlig abgestorben ist, findet in den Gedanken und Geschichten der 23-Jährigen alters- wie geschlechtsübergreifende Bezugspunkte und einen verständnisvollen Resonanzraum des eigenen Seelenlebens.
Ähnlich wie ihre stilistische Kollegin Phoebe Bridgers schmückt Lily die im Kern reduzierten Songs gerne mit üppigeren Arrangements aus. Dies geschieht merklich opulenter als noch auf "On hold", jedoch keinesfalls weniger organisch. Kein Instrument wirkt wie angepappt, die Melodien und Harmonien wachsen natürlich in die Höhe wie Efeu an einer Häuserwand. Vor allem "Berlin" und "Birthday" türmen sich mit grandiosen klimaktischen Steigerungen auf, lassen ihre Streicher und Gitarren ums Licht konkurrieren. Mit "Solipsism" bekommt auch die zweite Hälfte der Platte ihren Rocksong: Ein besonders motivierter Bass erzeugt mit Feedback-Rauschen und einer gelegentlich aufblitzenden Orgel einen hypnotischen Groove, der ein wenig an psychedelischen Britpop erinnert. Lily stellt diese raren Ausbrüche allerdings nicht zur Schau, sondern integriert sie unaufdringlich in den Albumfluss.
"Zu unaufdringlich", ließe sich hier anbringen, möchte man auf hohem Niveau etwas zum Meckern haben. Lily schwimmt eher etwas im Strom mit, anstatt sich von den anderen ebenfalls sehr guten Singer-Songwriterinnen ihrer Generation abzuheben, die es auf beiden Seiten des Atlantiks zuhauf gibt. Doch warum sollte man ein Album zwanghaft mit der Außenwelt vergleichen, wenn es sich vor genau dieser hermetisch abriegeln möchte? Die aus Dorset stammende Künstlerin reißt mit "Breach" ein knapp 40-minütiges Luftloch. Hier kann sie sich mit der Vergangenheitsabrechnung "I used to hate my body but now I just hate you" ein Bad der Selbstreinigung eingießen, während ein fragiles Meisterstück wie "Someone else's trees" auch die Seelen aller anderen pflastert. Fenne Lily vermag also weiterhin Songs für ein weitläufiges Publikum zu schreiben, die sich anfühlen, als hätte man sie ganz für sich alleine. Ein solcher lärmgeschützter Hort der Intimität ist auch außerhalb von globalen Krisen und Pandemien pures Gold wert.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Alapathy
- Berlin
- Birthday
- Someone else's trees
Tracklist
- To be a woman pt. 1
- Alapathy
- Berlin
- Elliott
- I, Nietzsche
- Birthday
- Blood moon
- Solipsism
- I used to hate my body but now I just hate you
- '98
- Someone else's trees
- Laundry and jetlag
Im Forum kommentieren
8hor0
2020-09-22 17:37:48
berlin bleibt lange im ohr :) <3
eric
2020-09-22 15:25:10
Ja, das mag ich auch. :)
Cayit
2020-09-19 10:24:37
Album ist Sehr Gut geworden.
Höre sie zum ersten mal, auch das erste Album gefällt.
Armin
2020-09-15 21:19:33- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Armin
2020-05-06 12:12:50- Newsbeitrag
FENNE LILY - Neuvorstellung
Dead Oceans - VÖ: tba
Die 23-jährige Singer/Songwriterin aus Bristol FENNE LILY veröffentlicht mit ihrer neuen Standalone-Single „To Be a Woman Pt. 2“ einen weiteren Song aus ihrem hoffentlich demnächst erscheinenden Album auf Dead Oceans! Es ist ein Lied über Unruhe, dem Drang zum Neubeginn und das Wissen, dass man sich in der falschen Gesellschaft befindet. „It’s raw and furious, coming from a place of frustration and pain born from a loss of control and a breach of trust. It’s both a retaliation against subordination and a reclamation of power.“ Im Oktober wird die Britin für eine Tour nach Deutschland kommen.
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