Lomelda - Hannah

Double Double Whammy / H'Art
VÖ: 04.09.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Nur geträumt

Gegen Schnellschüsse ist oftmals nichts einzuwenden. So mancher musikalische Klassiker entstand in einer spontanen, mitunter versoffenen Session. Das Direkte, Unverkrampfte hat einiges für sich. Das dachte sich auch Hannah Read bei ihrem Projekt Lomelda anlässlich ihres Albums "M for empathy." Dieses wurde innerhalb eines Wochenendes in der damaligen Heimat Texas eingespielt und dessen direkten Drive spürte man bei jedem Song. Doch manchmal besteht das Bedürfnis nach zweiten Handgriffen, nach Feinarbeit. Für ihr neues Album, benannt nach der Frontfrau, nahm sich Read mit ihren Musikerkollegen mehr Zeit. Das Ganze wurde sogar dreimal aufgenommen, erst dann war Read zufrieden. Und dennoch wirkt "Hannah" unmittelbar und spontan, wie aus dem Leben gegriffen, der folkinformierte Indie ist nämlich alles andere als überproduziert, wirkt immer erfrischend natürlich.

Das basale Spiel der Akustikgitarre im Opener "Kisses" gibt dann auch den Weg vor, wird begleitet von einem fast schüchternen Gesang, der jedoch zum Refrain aus der Deckung kommt und sich zu leidender Größe aufschwingt. Dies ist dann auch eine der Grundtugenden der Platte. Aus spartanischen, manchmal dennoch unaufgeräumten Arrangements erwächst melodische Schönheit, die sich emotional zuspitzt. Auch in "Hannah sun" verweilt der Gesang lange in matter Schicksalsergebenheit, steuert dann aber fein ausformulierte Spannungspeaks an. Lebendiger, fast tatendurstig ist die Gangart von "Wonder". Gitarre und Schlagzeug gehen agil nach vorne, Auch Reads Gesang vermittelt Aktivität, wobei das alles - großes Charme-Plu - ein wenig ungeordnet vonstattengeht. Es ist nicht nur hier auffällig, dass gerade die Gitarren zwar der Ordnung von Akkorden und Melodien folgen, jedoch immer wieder kleine Ausbrüche und Schlenker in ihrem Spiel aufweisen.

Die Lyrics behandeln oft das Vergebliche, die Desillusionierung. Skizzenhaft und fragmentarisch angelegt, konkretisieren sie sich ab und an zu Bildern der Trostlosigkeit: "Probably just a dream / I called a vision." Und auch ein resignativer Spott ist Read nicht fremd: "Big shot / There's no excuse / You blew it all / Where were you?" Im dazugehörigen Song herrscht dann auch eine Trägheit, die sowohl vom Nachlassen der Anspannung, als auch von einer Agonie kündet.

Das nervliche Leiden bei gleichzeitigem Funktionieren der Motorik wird nirgendwo so eindringlich deutlich wie im instrumentalen "Both mode". Die geradlinig gespielte Akustikgitarre geht munter voran, doch drumherum herrscht Kakophonie und Dissonanz, so manch gequältes Seufzen entfährt diesem Stück, welches sich noch nicht mal auf ein funktionierendes Schlagzeug verlassen kann. Doch das Gefangensein in Melancholie bis hin zur Depression findet immer melodische Auswege, am Eindringlichsten in "Tommy dread". Hier spielen sich Lomelda in Richtung Erlösung, die Melodieführung gipfelt in einem einzelnen, lang gehaltenen Ton Reads, der die emotionale Spitze von "Hannah" darstellt. Endlich Ausweg und Befreiung. Doch es gehört eben auch zu dieser Platte, dass der Melancholie mit einem traurigen Absang in "Hannah please" das allerletzte Wort bleibt. Und so scheint der gehobene Aufwand bei den Aufnahmen von "Hannah" vor allem in eins geflossen zu sein: emotionale Nuancierung.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Kisses
  • Wonder
  • Both mode
  • Tommy dread

Tracklist

  1. Kisses
  2. Hannah sun
  3. Sing for stranger
  4. Wonder
  5. Polyurethane
  6. Reach
  7. It's Lomelda
  8. Stranger sat by me
  9. It's infinite
  10. Hannah happiest
  11. Both mode
  12. Big shot
  13. Tommy dread
  14. Hannah please
Gesamtspielzeit: 40:06 min

Im Forum kommentieren

maxlivno

2020-12-17 18:40:35

Der Emily Sprague Vergleich ist mir auch sofort in den Kopf geschossen. Musikalisch finde ich persönlich Florist aber deutlich besser. Was diesen generellen Sound angeht bin ich bei saihttam, solange es gut gemacht ist, kann es gerne jedes Jahr 50 Alben in diesem Sound geben (ok vielleicht nicht 50, aber ihr wisst was ich mein ^^)

Skinner

2020-12-17 16:15:21

Mist, zu spät entdeckt für den Jahrespoll...

Hannah Sun hätte es durchaus in die Top 5 Songs schaffen können. Das ganze Album eventuell auch.

saihttam

2020-11-23 17:24:41

Der Vergleich zu Florist ist offensichtlich, zumal ja auch beide aktuelle Alben nach deren richtigen Vornamen benannt sind. Und ja, es gab in letzter Zeit viel Musik in der Art. Ich muss dennoch sagen, dass ich das hier sehr mag. Die Songs wirken sehr persönlich und intim. Dazu einige lärmige Ausbrüche in den richtigen Momenten. Das packt mich halt eigentlich immer. Und wenn die vermittelten Emotionen passen, ist mir eigentlich auch egal, ob das schon hundert mal dagewesen ist oder nicht.

humbert humbert

2020-09-13 12:45:01

Ich habe genau das gleiche gedacht wie Alice. Und dann das gleiche wie cargo (wobei ich’s gar nicht so schlecht finde)

Alice

2020-09-12 22:56:06

Geht es nur mir so oder sieht sie aus und klingt wie Emily Sprague (Florist)?

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