Jaga Jazzist - Pyramid
Brainfeeder / Ninja Tune / Rough TradeVÖ: 07.08.2020
Stein auf Stein
Jazz. Manch einem stellen sich beim Lesen dieses Wortes schon die Nackenhaare auf, erwartet man übermäßig verkopftes Musikprofessorentum, das außerhalb des Papiers nur zu Stirnrunzeln statt Genuss führt. Dass dieses Vorurteil Quatsch ist, bewies die Geschichte eigentlich schon zur Genüge – doch wer immer noch nicht überzeugt ist, kann es ja nochmal mit Jaga Jazzist versuchen. Seit über 25 Jahren vermengt das norwegische Kollektiv in seinem Jazz-Fusion-Sound Elemente aus Prog, Post-Rock und Electronica, ohne seiner Ambition und instrumentalen Klasse je die Hörbarkeit zu opfern. Für das siebte Album "Pyramid" machten sie die Lockerheit bereits im Entstehungsprozess zum zentralen Motto. Nur zwei Wochen dauerten dessen Komposition und Aufnahme, für die sich der Achter in ein abgelegenes Studio in Schweden verzog und einfach drauf loszockte. Zugegeben, gerade im Angesicht aktueller Innovateure wie 75 Dollar Bill, lässt sich durchaus der Vorwurf einer etwas zu bequemen Komfortzone anbringen, an deren Einreißen Jaga Jazzist kein allzu großes Interesse haben. Doch wen stört's bei dem entspannten, einnehmenden und keinesfalls unterkomplexen Flow, den die Band hier im Zusammenspiel entwickelt?
Die Platte beginnt mit einer Würdigung des japanischen Electro-Pioniers Isao Tomita. In dem nach ihm benannten Opener gleitet das Saxofon von Bandleader Lars Horntveth zunächst über eine Ambient-artige Synth-Wolke, ehe ein sanfter Rhythmus einsetzt. Vom kräftigen Bass angetrieben, verzahnen sich die restlichen Instrumente ineinander und kratzen die meditative Qualität des Tracks nicht einmal an, wenn sie zum Ende hin ein paar Prog-Rock-Gesten andeuten. Der Fluss ist dynamisch, aber subtil und homogen: Jaga Jazzist bewegen sich stets vorwärts, ohne jedoch auf die offensichtlichen Höhepunkte hinzuarbeiten. Kein unnötig aufmüpfiges Solo stört die kollektiven Abläufe dieser sich selbst befeuernden Maschine. Die kurze Aufnahmezeit von "Pyramid" beeindruckt, weil es trotz der relaxten Atmosphäre nie wie ziellose Improvisation wirkt, sondern so präzise konstruiert wie die titelgebenden altägyptischen Bauwerke. Auch "Spiral era" schichtet Steine aufeinander, die auf den ersten Blick gar nicht zusammenpassen können: Polyrhythmik, spacige Synths und wortlose Geister-Vocals verschmelzen mit funkigen Gitarrenlicks zu einem gleichzeitig bedrohlichen wie einladenden Enigma. Erwähnenswert sei an dieser Stelle noch der Remix des norwegischen DJs Prins Thomas, welcher den unter der Vielschichtigkeit des Songs begrabenen Groove ans Tageslicht befördert.
Neben Tomita setzt die Band auch einer anderen Legende ihr Denkmal, indem sie "The Shrine", dem bekannten Nachtclub des nigerianischen Jazz-Großmeisters Fela Kuti, ein Stück widmen. Wieder beginnt Horntveth alleine, wieder bleibt er es nicht lange: Von Afrobeat inspirierte Rhythmen und Bläsersätze durchbrechen schnell die anfängliche Schwerelosigkeit. Es ist ein besonders verspieltes und dicht verflochtenes Gewebe melodischer und perkussiver Fäden, das kaum eine Leerstelle lässt und, wie eigentlich jeder der vier Tracks auf der Platte, eine cineastische Qualität aufweist. Das finale "Apex" könnte dementsprechend wunderbar den Soundtrack für einen Retro-Science-Fiction-Film bilden. Mit stoischer Motorik und von verhallten Gitarren flankiert, rasen die Moroder-Synths erst durch die Cyberpunk-Großstadt und fahren dann straight ins All. So nah waren Jaga Jazzist der Disco noch nie, wodurch sie zwei Dinge unterstreichen. Erstens sind sie trotz fehlenden Radikalitätsanspruchs noch lange nicht im künstlerischen Stillstand angekommen – anders wären sie auch wohl kaum auf Flying Lotus' Brainfeeder-Label gelandet. Zweitens, und noch viel wichtiger, verweigert "Pyramid" erneut den Zeugenstand für ein oft zu Unrecht auf der Anklagebank sitzendes Genre. Jazz kann so viel mehr als Anstrengung und Kopfsache sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The Shrine
- Apex
Tracklist
- Tomita
- Spiral era
- The Shrine
- Apex
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Given To The Rising
2020-08-30 15:54:16
"Ich Fahrwasser zur neuen Motorpsycho in Pyramid reingehört"
Ach ja, die Autopräfektur.
velvet cacoon
2020-08-30 15:18:59
Hier auch, grossartig!
Ich habe die Band vor zig Jahren mal gehört und für okay befnden und jetzt wiederentdeckt.
Ich Fahrwasser zur neuen Motorpsycho in Pyramid reingehört und wieder reingehört und wieder und jetzt klappt das hervorragend.
Gebe dem Ganzen jetzt mal eine 8/10.Toll.
fuzzmyass
2020-08-24 12:17:30
Ich finde das Album ganz großartig und besser als die beiden Vorgänger... 9/10 von mir
kingbritt
2020-08-24 12:01:56
Gerade Marvin Tyezkowski‘s Rezi studiert, wohlwollend. Schön an der Musik im Allgemeinen ist individuelle Empfindung und Sichtweise. Meinungen sind da Wichtig um den Horizont zu öffnen. Wie auch hier. Ein von mir vermisstes Solo hier und da sieht Marvin als "Kein unnötig aufmüpfiges Solo stört die kollektiven Abläufe“. Richtig, das kam mir auch in den Sinn, allerdings Jazz ist Solo, Jazz lebt von der Soloimprovisation. Nicht desto Trotz gefällt mir Marvins Sichtweise und finde es ok. Ist auch kein direktes JazzAlbum, eher Progressive Nu-Jazz-Electronica.
Mit Moroder-Synths ist mich zwar klar was gemeint ist, aber als Begriff eher fremd.
Armin
2020-08-23 20:19:39- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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