
Pvris - Use me
WarnerVÖ: 28.08.2020
Von Geisterhand
Die dunklen Seiten des Lebens sind Lynn Gunn nicht unbekannt: Die Wahlkalifornierin und Sängerin des in Boston beheimateten Alternative-Rock-Trios Pvris hatte mit Depressionen zu kämpfen, hegt eine (un-)heimliche Vorliebe für Friedhöfe und brettert im Video mit dem Leichenwagen zur Transgender-Party im Schwarzlicht. Aber was die 26-Jährige, die mit vollem Namen Lyndsey Gunnulfsen heißt, während der Aufnahmen zu "Use me" entdeckte, jagte ihr doch einen Schauer über den Rücken: ein mysteriöser weißer Handabdruck auf ihrem Gitarrenkoffer, den die Bandkollegen versicherten, nicht angerührt zu haben – und sonst war niemand im Studio gewesen. Kein Grund, das Instrument in der Ecke vergammeln zu lassen, aber irgendwie sinnbildlich für das dritte Pvris-Album nach "White noise" und "All we know of Heaven, all we need of hell". Das vertreibt die Geister von Beziehungen, Stimmproblemen und sonstigen Heimsuchungen nämlich mit zusehends elektronischeren Mitteln und ohne große Pop-Berührungsängste.
Ein deutlicher Schritt weg also von dem, was Pvris zuvor als eine Art Emo-Version von Metric im existenziellen Dornenstrauch qualifizierte – und hin zu der Entwicklung, die Paramore auf "After laughter" nahmen, ehe sich Hayley Williams vorläufig selbstständig machte. Gemeinsame Auftritte mit Halsey passen da ins Anforderungsprofil von Gunnulfsens renoviertem Selbstverständnis als auch musikalisch federführende Frontfrau, und "Gimme a minute" lässt einem titelgemäß nicht allzu viel Zeit, sich zwischen Brutzel-Sequenzen, zerstückelten Riffs und vorlauten Zerr-Vocals zurechtzufinden – was bei aller Kühle im Sound auf Anhieb prächtig funktioniert. "Dead weight" dreht noch eine Spur weiter auf, platzt förmlich vor ächzendem Rhythmusgerüst und bassigem Grollen. Wogender Refrain und angerissene Gitarre, die ob der Befreiung aus ihrem spukigen Behältnis frenetisch aufjault, folgen auf dem Tanzfuße – so tight wie möglich, so krawallig wie nötig und ein Hit zum Durchdrehen. So knackig und gut waren Pvris selten bis nie.
Zwar hat "Use me" diesem Volltreffer in der Folge nichts Ebenbürtiges mehr hinzuzusetzen, bleibt aber trotzdem immer für einen kraftstrotzenden Ausbruch gut. Etwa in "Good to be alive", das unversehens von der kleinlauten Miniatur zum Groove-Monster wird und plärrende Leads und holzharte Beats vor sich hertreibt. Und offenbar haben Pvris an diesem heißkalten Wechselspiel aus Schmallippigkeit und großkariertem Klotzen so viel Freude, dass sie ab dem Dreierpack aus den identisch angelegten Singles "Death of me", "Hallucinations" und "Old wounds" allmählich beginnen, dieser Formelhaftigkeit auf den Leim zu gehen. Variabler machen es die betont zurückgenommene Akustikballade "Loveless" und das Titelstück mit reizvollen Sollbruchstellen zwischen Synthie-Rauschen und abgebremstem Tempo, und hat man sich einmal damit arrangiert, dass auch das Neue irgendwann alt werden wird, erweisen sich auch die bösen Geister dieses kurzweiligen Albums letztendlich als harmlos. Vorausgesetzt, sie grabschen nicht alles an.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gimme a minute
- Dead weight
- Good to be alive
Tracklist
- Gimme a minute
- Dead weight
- Stay gold
- Good to be alive
- Death of me
- Hallucinations
- Old wounds
- Loveless
- January rain
- Use me
- Wish you well
Im Forum kommentieren
Armin
2020-08-16 21:01:52- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Pvris - Evergreen (1 Beiträge / Letzter am 24.07.2023 - 20:20 Uhr)
- Pvris - Use me (1 Beiträge / Letzter am 16.08.2020 - 21:01 Uhr)