The Fall Of Troy - Mukiltearth

Big Scary Monsters
VÖ: 08.08.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Eine Band im Zeitraffer

Es gibt auch gute Nachrichten im Jahr 2020: The Fall Of Troy sind immer noch da. Für eine zwischenzeitlich aufgelöste Band ist das keineswegs selbstverständlich, zumal ihr Postcore, der sich seit fast 20 Jahren vor jeglichen Außeneinflüssen verschließt, so gar nicht in den musikalischen Zeitgeist passen will. Thomas Erak und seine Jungs kümmerte das zum Glück nicht, als sie 2016 der Welt das kompakte Reunion-Album "OK" schenkten und den Ausrutscher "In the unlikely event" vergessen machten. Vier Jahre später steht nun der Nachfolger an, der ein ganz besonderes Konzept mit sich trägt. Auf zwei Hälften vereint "Mukiltearth" – benannt nach der Heimatstadt Mukilteo – die ersten und die letzten Songs, die Erak, Tim Ward und Andrew Forsman zusammen schrieben. Stücke, die das damals noch als The 30 Years War auftretende Trio mit jugendlichem Elan komponierte, treffen auf die vernarbten Lebensdokumente frustrierter erwachsener Männer. "First love and last loss, sunrise and sunset, the beginning and the end", sollen auf der Platte kollidieren, wie es The Fall Of Troy selbst beschreiben. Doch weil sie sich über all die Jahre stilistisch so treu geblieben sind – und die alten Songs natürlich neu aufgenommen wurden –, verschmelzen beide Teile zu einem homogenen Ganzen mit gelungener Spannungskurve.

"Time stands still" lautet passenderweise das zentrale Motto von "Chain wallet, Nike shoes", dem allerersten Track, der aus der gemeinsamen Feder entsprang. Drei Minuten lang rifft sich die Band durch eine Symbiose von Melancholie und Härte, um schließlich ein stimmungsvolles Instrumental-Finale zu zelebrieren. Wer The Fall Of Troy kennt, wird den Inhalt von "Mukiltearth" ziemlich genau vorhersagen können, doch zeichnet sich gerade die erste Albumhälfte durch eine relative Einfachheit aus. Trotz eines konstant hohen Tempos, präzise getakteter Drums und verschachtelter Gitarren bleiben die eigenen Finger ebenso wie die Hörersynapsen weitgehend unverknotet. "The tears of green eyed angels" lässt seine gesunde Portion Pathos auch nicht von Screamo-Attacken unterbinden, während sich der Emo-Rock von "Mirrors are more fun than television" ins Hoheitsgebiet von Jimmy Eat World und The Weakerthans begibt. Zugegeben, Eraks immer schon recht dünne Stimme stößt hier gelegentlich an ihre Grenzen, doch wen juckt's bei all der Spielfreude und Versiertheit? The Fall Of Troy verstehen es hervorragend, das Ungestüme ihrer Gründungszeit zu konservieren und mit ihrer heutigen technischen Hochklasse auszuschmücken.

Die 15 Jahre später entstandenen Songs, die den zweiten Part von "Mukiltearth" ausmachen, heben sich nicht wesentlich von ihren Vorgängern ab, schleppen aber mit schmerzverzerrtem Gesicht ein Päckchen kokelnder Wut auf dem Rücken. Das Trio ist angepisst, vielleicht von sich selbst, vielleicht von der Welt, wahrscheinlich einfach von allem. Die vergleichsweise kurzen Stücke "Counting sheet" und "Borborygmi" umschließen das besonders gallige "Roundhouse" und bilden damit einen dreizackigen Giftbrocken, der zwischen Gezeter und Dissonanzen auch ein paar melodische Luftlöcher lässt. An das große Postcore-Triumvirat aus "Manipulator", "Doppelgänger" und dem selbstbetitelten Debüt reicht das zwar alles nicht heran, doch The Fall Of Troy untermauern wie schon auf "OK", dass sie noch lange nicht in die Irrelevanz abgerutscht sind. Mit entsprechendem Selbstbewusstsein nennen sie den tollen Closer "We are the future", wühlen darin erst die Erde um und schweben dann in einem hymnischen Abschlusschor empor. Freilich ist die Zukunft der Band auf mehreren Ebenen ungewiss: Ur-Bassist Ward ist nach dem Songwriting zu "Mukiltearth" schon wieder ausgestiegen und was die Corona-Pandemie für langfristige Auswirkungen auf solche kleine bis mittelgroße Acts hat, bleibt abzuwarten. Doch mit Krisen und daraus resultierenden Neuanfängen kennt man sich in Mukilteo, Washington ja inzwischen bestens aus.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The tears of green eyed angels
  • Roundhouse
  • We are the future

Tracklist

  1. A tribute to Orville Wilcox
  2. Chain wallet, Nike shoes
  3. The tears of green eyed angels
  4. Mirrors are more fun than television
  5. The day the strength of men failed
  6. Knife fight at the Mormon church
  7. Counting sheet
  8. Roundhouse
  9. Borborygmi
  10. We are the future
Gesamtspielzeit: 39:26 min

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J.R

2022-12-15 19:35:04

interessant. Das mit der Vorgänger Band wusste ich gar nicht. Mal abchecken. Danke.

bei mir kämen weder straight jacked noch inside out auf irgendeine best of Playlist. Aber gut.

Affengitarre

2022-12-15 15:55:19

Achja, „Inside Out“ käme wohl auch noch auf die imaginäre Best Of. :D

Affengitarre

2022-12-15 15:52:40

Ja, die ersten sechs Songs kommen noch von Eraks Vorgängerband The Thirty Years War, hier zum Vergleich:



Ich glaube auch nicht daran, dass Thomas Erak den Posten am Mikrofon aufgibt, aber wie gesagt, schön wäre es. Und die alten Sachen höre ich immer noch ziemlich gerne, selbst wenn es nicht mehr so oft läuft wie früher.

Im Endeffekt die Erste, Doppelganger und die Ghostship Demos.

Stimmt schon. Trotzdem hatte „Manipulator“ noch einige tolle Sachen und selbst „In The Unlikely Event“ hatte noch „Straight-Jacked Keelhauled“.

J.R

2022-12-15 15:26:08

Ich glaube nicht, dass das jemals passieren wird. Ich glaube aber auch nicht, dass da noch viel kommen wird. Meines Wissens wurde ja schon mukiltearth ziemlich viel auf alte Ideen aus der Schublade zurückgegriffen.

Insgesamt ist das neben Trophy Scars wohl die Lieblingsband aus den sehr jungen Jahren, die am schlechtesten gealtert ist. Nicht nur die neueren Sachen auch viele ältere Sachen, selbst auf Manipulator.

Im Endeffekt die Erste, Doppelganger und die Ghostship Demos. Da hatte die Band bereits (fast) alles gesagt.

chain wallet, nike shoes. Da kommen nochmal Doppelganger Vibes auf.

Affengitarre

2022-12-15 12:00:37

Instrumental ist das alles schon ganz cool, der schreckliche Gesang zieht das Album allerdings ziemlich runter. Bei „OK“ gab es ja noch die Instrumentalversion, die für mich ohne Gesang dann doch zu steril und technisch war, das wäre hier dann auch nicht wirklich eine Lösung. Ich hoffe einfach, dass Erak zukünftig nur noch Gitarre spielt und für den Gesang jemand passenderes angestellt wird.

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