Imperial Triumphant - Alphaville

Century Media / Sony
VÖ: 31.07.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Einmal Hölle durch den Fleischwolf, bitte

"Genau. Ich hätte gerne eine große Portion. Gerne richtig scharf. Es wäre nett, wenn Sie mir zu dem Progressive-Avantgarde-Jazz-Blackened-Technical-Death-Metal noch Orchester, Blaskapelle und für das Auge zum Garnieren noch ein paar Jean-Luc Godard- und Fritz Lang-Referenzen reichen könnten. Und servieren Sie es doch auf einem Art-Deco-Teller, so schmeckt es mir am besten. Das wäre lieb, danke Ihnen."

"Wie Sie meinen, kommt sofort." Kurz darauf im Weggehen murmelt der Kellner: "Diese Scheiß New Yorker."

Imperial Triumphant vertonen auf jedem Album neu konsequent das, was in ihren Ohren ihre Heimatstadt New York ausmacht. Was dabei herauskommt, ist eine verstörende Tour durch die Hölle, die einen zu Orten führt, die Touristen nicht sehen wollen, die sich nur der hartgesottenste einheimische Fanatiker extremer Schwermetallkunst zumuten kann. Ist die Musik arrogant, überbordernd, theatralisch, letztlich zu viel des Guten? Auf jeden Fall. Sind es dennoch gut gemachte Klänge, die in ihrer Vision unübertroffen und einzigartig sind? Ja, das auch.

"Alphaville" beginnt mit einem sphärisch anschwellenden Orchester – so filmisch, wie der Titel suggeriert –, steigert sich zu einer Kakophonie, bevor der Opener in verstörende Raserei verfällt und mit seinem dissonanten Riffing und Blast-Beat-Geballer alles in Schutt und Asche legt. Brain-Fuck-Gitarren und komplexe Rhythmen werden von einem äußerst präsenten Bass kontrapunktiert, der seinen ganz eigenen Schlängelweg unter der Stadt dieser Horror-Szenerie wählt. Die Growls auf dem gesamten Album klingen dabei oftmals eher nach Tom Waits als nach dem klischeehaften Gegrunze von Sängern anderer Todesblech-Truppen. Der Opener endet mit der Verschränkung der orchestrierten Opulenz vom Anfang und der Raserei. "Excelsior" kommt als Jazz-Song im Metal-Gewand daher, prügelt dabei gnadenlos alles weg, was im Weg steht. Der wahnsinnig gewordene Bass klingt wie aus einem Song der Norweger von Virus entlehnt, nur auf Acid gespielt. Wenn die Riffs auf einmal fast schon thrashig klingen, wundert man sich über nichts mehr.

Auch "City swine" klingt nach derangiertem, verstörten Jazz, der von einer technisch versierten Death-Metal-Band gespielt wird. In der Mitte des Tracks steht dann aber ein Interlude, in dem Thomas Haake von Meshuggah Taiko-Drums spielt. Dass darauf als Hommage tonnenschweres Djent-Riffing folgt, erscheint nur konsequent. Doch auch diese Hommage wird zerhäckselt und erweitert, indem ein Piano über die Komposition improvisiert, als hätte man aus Versehen Gorguts und Keith Jarrett gleichzeitig angemacht – nur, dass die beiden miteinander gekonnt (dis)harmonieren. Im Intro von "Transmission to mercury" leitet uns das Duett von Piano und Posaune zu dem nächsten urbanen Schreckensort. Diesmal ist es eine Black-Metal-Orgie, zu der sich später eine Blaskapelle gesellt, um mitzumischen. Widerwillige Stimmen erheben sich zu unheilvollem Geheul, das klingt, als würden Tiere hingerichtet werden. Kraftlos ergeben sich die Übeltäter, ziehen sich zurück, und der Lärm verklingt. Die beiden letzten Tracks bestehen aus einem Voivod- und einem The-Residents-Cover. Die Einzelteile der Original-Stücke wurden durch den Fleischwolf gedreht und in neue, weniger leicht verdauliche Happen verarbeitet. Ein leichter Abgang bleibt dem ausgelaugten Hörer versagt.

(Benedikt Stamm)

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Highlights & Tracklist

Highlights

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Tracklist

  1. Rotted futures
  2. Excelsior
  3. City swine
  4. Atomic age
  5. Transmission to mercury
  6. Alphaville
  7. The greater good
  8. Experiment (Voivod cover)
  9. Happy home (The Residents cover)
Gesamtspielzeit: 59:25 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2023-07-05 17:03:11

Da spielt ja wirklich Thomas Haake mit. :O

NeoMath

2022-04-01 12:27:32

Grandiose Band, der defi viel mehr Beachtung zukommen sollte.
Mindestens die letzten 3 (inkl der Inceste EP) sind Pflicht für Hörer, die gerne auch mal abseits generischer Pfade unterwegs sind.

Eye_Llama

2022-03-30 19:46:58

Das Album klingt so als ob man eine OP ohne Betäubung dafür aber mit einem Glas Wein auskostet. Herrlich! King Crimson goes Black Metal.

kiste

2022-03-30 15:13:52

Die Videos dazu sollte man auch nicht vergessen!

Kamm

2022-03-26 14:59:17

Gerade noch Mal gehört. Mehr Aufmerksamkeit für diese einzigartige Band, bitte!

Es passiert mir nicht oft beim Hören von Musik, dass ich währenddessen spontan in Gelächter ausbreche. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, wieso. Im Versuch einer emotionalen Einordnung handelt es sich um eine Mischung aus Überwältigung, Verunsicherung (davon ganz viel), aber auch Ergriffenheit, wenn mein Hirn dann zwischendurch doch mal mitkommt.

Eine großartige Rezension übrigens; Tom Waits als Referenz im Gesang passt überraschend gut, und wie schön, dass jemand mal Virus nennt, eine weitere unbedingt empfehlenswerte Band für Liebhaber des etwas abseitigeren Stoffes.

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