The Chicks - Gaslighter

Sony
VÖ: 17.07.2020
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Neues Zelt, alter Zirkus

Na, wenn das mal kein irrer Zufall ist: Da rebellieren in den USA gerade die Leute auf den Straßen, weil sie sich nach einer ewig andauernden Unterdrückung der farbigen Bevölkerung endlich mal dachten, dass man dagegen doch auch mal den Aufstand proben könnte – und just in dieser Zeit fällt dem einen oder anderen Künstler auf, dass man das eigene Handeln auch mal hinterfragen könnte. Ein Wahnsinn! Und so ist das Damen-Trio, welches ehemals als Dixie Chicks vor allem in ihrer Heimat nicht nur als außerordentlich berühmt, sondern zeitweise gar als berüchtigt galt, mittlerweile nur noch als The Chicks unterwegs. Denen wurde nämlich, ebenso wie so manch anderem, nach gerade mal jahrzehntelangem Fingerzeig nun doch bewusst, dass ihr ehemaliger Bandname ganz schön problematisch war. Aber immerhin stellen sie sich dabei nicht so doof an wie ein gewisses anderes Country-Trio.

Nun wollen wir aber auch nicht so fies sein, sondern die letztendliche Namensänderung als ersten Schritt auf dem Weg zur Besserung begrüßen. Nur: Allzu viel ändert sich bei den Damen aus Texas sonst gar nicht. Deren achtes Studioalbum "Gaslighter" – das erste nach 14 Jahren Pause – ist genauso eine Ansammlung harmloser, oft auch überglatter Country-Pop-Nummern wie bisher gewohnt. Mit dem Rezept sind sie die erfolgreichste Band ihres Genres in den USA, daran änderte auch der Boykott nichts, der sie nach kritischen Äußerungen am damals amtierenden Präsidenten George W. Bush für gut ein Jahrzehnt quasi von der Bildfläche verschwinden ließ. Das muss man sich heute mal vorstellen, wo Kritik am orangefarbenen Dicken im Weißen Haus nicht nur geduldet wird, sondern sogar bitter notwendig ist. Aber gut, andere Zeiten und so. Mittlerweile hat man dem Trio verziehen, auf Tour waren sie ebenfalls schon und mit "Gaslighter" wollen sie auch in den Charts zeigen, wer hier die größere Girl Power vorzuweisen hat.

Das Problem dabei: Mittlerweile sind die Genre-Grenzen gerade im Pop gut verwischt und die Hörerschaft dadurch auch recht anspruchsvoll geworden. Und talentierte Mädels gibt es eben auch fast wie Sand am Meer. The Chicks haben zwar ähnlich wie andere erfolgreiche Bands einen waschechten Star in ihrer Mitte – die 45-jährige Natalie Maines –, auf "Gaslighter" aber nur wenige wirkliche Hits, die diesem Star auch gerecht werden. Die meisten der zwölf neuen Songs tönen schon recht gut verdaulich aus den Boxen und tun um Gottes Willen auch nicht weh – aber im Jahr 2020 reicht das eigentlich nicht mehr aus. Da hilft auch die Unterstützung von Jack Antonoff nur bedingt, der hier am Produzenten-Pult sitzen durfte und in den letzten Jahren bereits ein ums andere Mal zeigte, dass er ein äußerst gutes Händchen für tolle Melodien hat. Es fehlt der Biss, der Geschmack, der Tritt in den Arsch. So viele Jahre nach dem letzten Album und mit der einen oder anderen persönlichen Krise auf dem Erfahrungskonto erwartet man da mehr als ein paar kratzbürstige Texte gegen verhasste Ex-Männer. Kurzum: "Gaslighter" könnte viel sein. Und ist es leider nicht.

Dabei sind da durchaus ein paar wirklich schöne Perlen vertreten. Der rotzfreche Schenkelklopfer "Texas man" etwa besticht nicht nur durch den kleinen Gastaufritt von Annie Clark alias St. Vincent an der Elektrischen, sondern vor allem durch seine verflixte Ohrwurm-Qualität. Chad Smith, seines Zeichens Drummer bei den Red Hot Chili Peppers, veredelt hier gleich mehrere Stücke, so auch die Retro-Soul-Nummer "For her", bei der Maines das volle Potenzial ihrer Stimme unter Beweis stellen darf. Mit einer zumindest halbwegs coolen Attitüde kommt "Tights on my boat" daher, das mit Akustik-Charme alle außer den Ex-Gatten ans Lagerfeuer einlädt, ehe "Young man" glatt zu Tränen rührt, den Spagat zwischen Rührseligkeit und Ruhe aber mit links bewältigt.

Ansonsten plätschert "Gaslighter" stellenweise leider oft zu sehr dahin, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Vielleicht hat es auch etwas mit einer generellen gesellschaftlichen Problematik zu tun: Country ist in Europa schlicht nie so sehr daheim wie in den USA und sorgt damit sicher auch nicht für die große Berührung, die er eigentlich zum Entfalten braucht. Ein Stück wie der Titeltrack oder auch "Sleep at night" bleiben damit oberflächliche Randerscheinungen, typische Radiosongs, wie man sie tagtäglich am laufenden Band zu hören bekommt. "My best friend's weddings" sucht die Romantik, liefert aber nicht die überzeugenden Argumente, "Hope it's something good" liefert dafür die Hoffnung, sucht aber vor lauter Esoterik scheinbar nichts weiter außer einem guten Schlafplatz fürs nächste Nickerchen. Alles also ein bisschen wie immer bei The Chicks, trotz Namensänderung. Aber vielleicht kommt der Biss dann im nächsten Schritt.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Texas man
  • For her
  • Tights on my boat

Tracklist

  1. Gaslighter
  2. Sleep at night
  3. Texas man
  4. Everybody loves you
  5. For her
  6. March march
  7. My best friend's weddings
  8. Tights on my boat
  9. Julianna calm down
  10. Young man
  11. Hope it's something good
  12. Set me free
Gesamtspielzeit: 47:01 min

Im Forum kommentieren

captain kidd

2020-07-25 18:51:31

Leider nicht ganz so stark wie die letzten beiden Alben. Da wurde viel verschenkt...

Armin

2020-07-24 21:10:36- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

captain kidd

2020-07-07 19:54:49

Dritte Single ist leider etwa langweilig. Glaube aber trotzdem weiter an das Album.

Armin

2020-06-27 15:01:26- Newsbeitrag

captain kidd

2020-05-02 19:57:28

Der zweite Vorab-Track ist auch super. Das wird was mit dem Album.

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