The Jayhawks - XOXO

Sham / ThirtyTigers / Membran
VÖ: 10.07.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Auf der Suche nach der gemeinsamen Zeit

Es lässt sich auf verschiedenen Ebenen als Statement lesen, wenn eine Band wie The Jayhawks nach über dreißig Jahren des Bestehens ihren Arbeitsprozess noch einmal völlig umkrempelt, die Fenster öffnet und sich frischen Wind um die Nase wehen lässt. Denn als sich das Quartett 2019 im ländlichen Minnesota ins Studio begab, entstand so etwas wie ein Marktplatz der Ideen im Kleinen, ohne Quoten und ohne Egos, aber mit allerhand Songskizzen, an denen in unvorhergesehenem Ausmaß gemeinsam weitergesponnen wurde. So erzählt es Gary Louris, der noch in den 90ern auf Großtaten wie "Hollywood town hall" oder "Tomorrow the green grass" mit Mark Olson ein grandioses Tandem bildete – die Beatles und Big Star hatten ja vorgemacht, wie man sich wechselseitig verstärkt und waren demnach nicht nur musikalische Einflüsse. Olson ist seit einigen Jahren nicht mehr dabei, dafür blieben die feinen Gesangsharmonien stets ein Markenzeichen der Band. Und auf "XOXO" tauschen nun eben Louris, Marc Perlman, Tim O'Reagan und Karen Grotberg permanent Melodien und Gedanken aus, wechseln immer wieder die Instrumente und schaffen doch ein Album aus einem Guss, dessen zwölf alternative Pop-Kleinode vieldeutig funkeln.

Dabei verschleiert der beschwingte Einstieg zunächst die düsteren Themen, die das Album untergründig durchziehen. Die Single "This forgotten town" bedient sich klassischer Country-Tropen vom abgelegenen Kaff voller schräger Gestalten, um sich am Ende als schlichter Abgesang auf amerikanische Mythen zu entpuppen: "In the land of milk and honey / That's where I laid my claim / But everyday that I lost money / It brought me closer to the grave." Und das anschließende "Dogtown days" fährt gleich damit fort, heiter rockend Illusionen zu zerschlagen, während sein ansteckender Refrain auch aus der Feder Robert Pollards stammen könnte. Nach der kulturpessimistisch gefärbten Kritik am flackernden Stroboskop der Gegenwart, wie sie "Paging Mr. Proust" vor vier Jahren formulierte, wagt auch "XOXO" immer wieder den gesellschaftlichen Ausblick, meist ohne allzu explizit zu werden. Wenn der traurige Honky-Tonk von "Living in a bubble" die Echokammern der News-Stationen zu einem Bild existentieller Isolation verdichtet, dann ist jedoch auch seine politische Dringlichkeit offensichtlich: "My trusty cell phone is always in reach / Hear the hum of the highway / Pretend it's the waves of the beach." Etwas schablonenhaft arbeitet sich danach "Homecoming" am Klimawandel ab, mehr Eindruck hinterlässt das rätselhafte "Illuminate": Zerbrechliche Vocals und sanfte Akkordfolgen kaschieren Bilder voller Gewalt und Desorientierung, was den Song wie eine unbehagliche Halluzination wirken lässt. Wo beginnt die Wirklichkeit?

Einen roten Faden des Albums bildet die Sehnsucht nach zwischenmenschlichen Stützen, einem Ausweg aus dem atomisierten Dasein, einem einfachen Miteinander. Der Titel lässt sich in seiner Chatsprache vielleicht noch ironisch lesen, sehr bald aber wird klar, dass die Songs auf "XOXO" die Ironie vielmehr zu überwinden suchen. "Society pages" zeichnet eine queere Romanze mit groben Pinselstrichen, lässt viel Interpretationsspielraum und klingt in seiner schwebend-aufregenden Ungewissheit ein wenig nach den verführerischen Pop-Harmonien des späteren Elliott Smith. Und auch "Bitter pill" und das träumerische Falsett in "Looking up your number" treten mit menschlicher Geste auf den anderen zu, wissen schmerzlich und doch hoffnungsvoll um die gegenseitige Verwundbarkeit und die eigene Bedürftigkeit. Thematisch und musikalisch leben The Jayhawks davon, wie mühelos sie Widersprüche ineinander klingen lassen, wie beiläufig und unaufgeregt sie großartige Melodien aneinanderreihen. Man kann nicht umhin, die kollektive Arbeit an den Songs als Blaupause für ihre textlichen Motive zu lesen. Vielleicht beschreibt es Grotberg im schwermütigen, aber nie desolaten "Across the field" am besten. Nachdem die einstigen Wünsche verblasst sind, bleiben eine wunderschöne Slidegitarre und die Frage "How to go from here?". Ihre Antwort scheint einfach und zugleich wie das Resultat langer Reflektionen: "I watch you fall and I feel for you."

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • This forgotten town
  • Living in a bubble
  • Society pages
  • Illuminate

Tracklist

  1. This forgotten town
  2. Dogtown days
  3. Living in a bubble
  4. Ruby
  5. Homecoming
  6. Society pages
  7. Illuminate
  8. Bitter pill
  9. Across my field
  10. Little victories
  11. Down to the farm
  12. Looking up your number
Gesamtspielzeit: 46:06 min

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Telecaster

2021-02-18 00:18:46

Krasser Spätzünder. Gehört, etwas enttäuscht gewesen. Gekauft, aus Pflicht/Gewohnheit/Hoffnung, dass sie doch noch was wird - wieder nix.
Gestern aufgelegt - ein Hit nach dem anderen. Wohl ne Stimmungssache bei mir.

Armin

2020-07-01 19:36:05- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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