Juse Ju - Millennium

Juse Ju / Groove Attack
VÖ: 19.06.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Unschuld vom Lande

Wer erinnert sich noch an "Zwei" von Eins Zwo? Als Anfang der Nullerjahre das zweite Album der Crew um Dendemann und DJ Rabauke veröffentlicht wurde, lief die erste Single "Discjockeys" auf MTV hoch und runter: "Eins Zwo, Eins Zwo, drei, vier / Ich frage: 'Leute wo seid Ihr?'" Und da waren wir, mit unseren Baggy-Hosen, Osiris-Schuhen und Sir-Benni-Miles-Jacken. Unsere Helden kamen aus Hamburg, Heidelberg und Stuttgart. Wir wollten Teil einer Jugendbewegung sein. Es war eine heile Welt. Doch plötzlich kamen ein paar Berliner Acts dazu und versauten unseren HipHop im wahrsten Wortsinne. Es war, als hätte es gerade erst begonnen, da war es auch schon wieder vorbei. Ähnlich erlebte es wohl auch Juse Ju. Im Titelstück seines neuen Albums "Millennium" erklärt er: "Nach der Party kommt der Kater, es ist 2003 / ... / Rap ist tot, geil, ich will Teil davon sein."

Er zeichnet zum easy groovenden Beat seinen Weg vom jungen Battle-Rapper bis zu seinem ersten Album im MediaMarkt-Regal nach, erwähnt und sampelt Weggefährten wie Fatoni, Maeckes, Kamp, Tua, Bartek und Mädness. Letzterer unterstützt ihn auch in "MTV's Most Wanted". "Mach Dir ganz, ganz viel Gedanken, ob auch cool ist, was Du tust", beschreiben die beiden ihr damaliges Streben, während der Song insbesondere in der Hook einen tollen Sog entwickelt. Doch nicht nur die Beziehung zur Musik, auch das Zwischenmenschliche kommt auf "Millennium" nicht zu kurz. Zu einem von Pianotönen unterfütterten Stevie-B-Gedächtnis-Beat erzählt Juse Ju in "Sayonara" davon, wie der erste seiner engsten Kumpels Vater wurde und wie sich dadurch alles veränderte. Welcher heutige Mittdreißiger hat das nicht genauso erlebt? "Claras Vermächtnis" beschreibt dagegen detailreich eine toxische Liebesbeziehung: "Du machst mich kaputt, ich mach Dich kaputt / Ich finde, das klingt wie ein fairer Deal." Der Bass brummt, die Kicks drücken ordentlich nach vorne.

Verliebt ist der Rapper auch in "TNT", diesmal in Anne. Sie hilft ihm dabei, seine Zivi-Zeit in der Psychiatrie zu überstehen. Die Musik dingelt mysteriös vor sich hin, bis Juse Ju im Refrain zur Gitarre greift und singt. Das ist neu und gefällt durchaus. Auch in der Klaviernummer "Model in Tokio" setzt er im Kehrvers auf Gesang statt Rap, wobei hier Nikita Gorbunov und Mia Juni das Mikrofon besetzen. "Wärst Du in Tokio nicht schön?", denkt er sich. Bei seinem einzigen Catwalk-Auftritt verdient er umgerechnet genau 83,14 Euro – doch keine Karriereoption, egal. In "Edgelord" wird's ungleich wütender. Da cruist der Rapper gemeinsam mit Waving-The-Guns-Frontmann Milli Dance durch die Hood und ballert gegen Hater aller Art, von Sexisten bis Antisemiten. In "Ich hasse Autos" richtet er seine Antipathie stattdessen gegen Dingliches. Der Beat rückt mit schwerem Gerät an. Gemeinsam mit Bonzi Stolle und Panik Panzer zeigt Juse Ju wie handlungsfähige Verkehrspolitik geht: "Parkst Du Deinen AMG / Direkt am Badesee / Löst sich wie von Geisterhand seine Handbremse / Und er kann geradewegs baden gehen."

Zurück zu "Zwei" von Eins Zwo. Dort fand sich damals auch ein Track namens "Unschuld vom Lande". Dendemann beschreibt darin, wie er nach Jahren wieder zurück nach Hause kommt. "Sag mir woher Du kommst und wer Du bist", heißt dort die zentrale Zeile. Und als würde Juse Ju dieser Bitte direkt Folge leisten, legt er mit "Millennium" ein Album vor, das ganz nah an seiner Biografie entlang rudert. Selbst dann, wenn es richtig schmerzhaft wird. Herzzerreißend berichtet der junge Mann aus Kirchheim unter Teck zum Beispiel in "Unter der Sonne" – dem stärksten Stück der Platte – von seinem Onkel Alex. Dieser ist für ihn "der coolste Dude unter der Sonne". Schließlich verstirbt er an Lungenkrebs. Juse Ju schildert so lebensnah, so maximal offen und ehrlich, so unversaut. Nicht nur an dieser Stelle, sondern auf dem gesamten Album. Genau diese Unschuld verleiht "Millennium" seine Kraft und hebt es von vielen Alben seiner Rap-Kollegen ab, auch weil es niemals plump wird, selbst wenn es tragisch zugeht.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sayonara
  • TNT
  • Unter der Sonne

Tracklist

  1. Kranich Kick
  2. Millennium
  3. Sayonara
  4. Claras Verhältnis
  5. Edgelord (feat. Milli Dance)
  6. TNT
  7. Ich hasse Autos (feat. Bonzi Stolle & Panik Panzer)
  8. MTV's Most Wanted (feat. Mädness)
  9. Model in Tokio (feat. Nikita Gorbunov & Mia Juni)
  10. Unter der Sonne
Gesamtspielzeit: 33:45 min

Im Forum kommentieren

Jack the real Wiesel

2020-06-30 06:47:51

Thema gibt es irgendwie zwei Mal hier im Forum.


Bin ein großer Fan seit der ersten Stunde. Das Album ist wie gewohnt Juse und bietet jetzt keine große Abwechslung oder erfindet sich groß neu. Macht aber nichts. Sind alles coole Nummern drauf.

Armin

2020-06-24 12:08:41- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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