Westerman - Your hero is not dead

PIAS / Rough Trade
VÖ: 05.06.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Neongrau

Als der Londoner Will Westerman, der bloß unter seinem Nachnamen auftritt, vor rund zwei Jahren die Single "Confirmation" veröffentlichte, fühlte sich das ein wenig so an, als sei man in das Pop-Wunder eines leicht verschobenen Paralleluniversums eingeweiht worden. Neonglänzende Synthies schimmern neben glitzernden Gitarren, deren jazzige Akkordfolgen unkonventionell und doch vertraut klingen, über allem liegt eine träumerische Entrücktheit. "Confirmation" klingt – so paradox sich das anhört – wie eine aus den Achtzigern genährte Nostalgie für die Zukunft. Westerman singt mit sanfter Stimme über die Frustrationen des künstlerischen Schaffensprozesses und entfaltet aus einem abstrakten Thema eine der eingängigsten Hooks der letzten Jahre: "Don't you wonder why / Confirmation's easier / When you don't think so much about it." Kurz: "Confirmation" ist schiere Pop-Brillanz, was die Erwartungen an das Debütalbum des Spätzwanzigers nicht gerade schmälert.

Entsprechend lange hat sich Westerman Zeit gelassen – auch, um die ästhetische Zäsur weiter wirken zu lassen, aus der "Confirmation" einst entstanden ist. Zuvor präsentierte er sich nämlich hauptsächlich als Folk-Songwriter, der sich der Intimität Nick Drakes und der schlichten Menschlichkeit Neil Youngs verbunden fühlte. Wie die Singles in der Zwischenzeit, die sich teils leicht verändert auf diesem Album wiederfinden, erkundet nun auch "Your hero is not dead" die Möglichkeit, den Songs mit elektronischen Texturen in einer vielschichtigen Produktion mehr Tiefe zu verleihen. Der Opener "Drawbridge" fungiert als atmosphärischer Einstieg: Westerman variiert geisterhaft den Albumtitel im Chor mit sich selbst, bevor sich ein spannungsgeladenes Instrumental entspinnt, in dem Klavier und Akustikgitarre die Führung übernehmen.

Im Laufe des Albums kristallisiert sich die mühelose Überblendung analoger und digitaler Klangwelten als ein Leitmotiv heraus. Westermans Gespür für direkte und doch verschlungene Melodien verführt, zugleich gleiten seine Songs häufig in einen ungreifbaren, seltsam virtuellen Raum, der an Arthur Russells verhallte Experimente gemahnt und in dem sie bedrohlich einsam erscheinen: das postmoderne Subjekt in seinem Käfig der Freiheit. Während der fröhliche Beginn von "Think I'll stay" irgendwann von dunkel wabernden Synthies kontrastiert wird und die Lyrics zwischen desillusioniertem Sarkasmus und entwaffnender Einfachheit pendeln, hebt Westerman zum nächsten großen Pop-Refrain an: "I don't know how I got here / But now that I am I think I'll stay." Verloren und doch genügsam – wenn es eine Empfindung gibt, die "Your hero is not dead" im Besonderen kennzeichnet, ist es eine diffuse und ambivalente Melancholie. Die Gitarrenfiguren des von Echos umwehten "Big nothing glow" erinnern entsprechend ein wenig an die schonungslose Introspektion Frank Oceans, so auch die zunächst skizzenhaft anmutende Struktur einiger Songs, die sich jedoch Stück für Stück als notwendig erweist und zu einer dringlichen Perspektive heranwächst: "But for the moment I found rooftop bars look better from the ground."

"Your hero is not dead" ist ein Album mit eigenwilligem Sound und subtilem Songwriting geworden, das seine Eleganz schrittweise offenbart, Zwiespalt und Zweifel nicht abzukürzen und aufzulösen sucht, sondern zu seinem Gegenstand macht. Wenn in der Ruhe von "Blue Comanche", dessen betörende Naturschönheit sich langsam immer weiter auffächert, die ätherische Entfremdung behutsam in eine Utopie verwandelt wird, dann spannt sich auch ein Bogen über Westermans Songwriting. Hinter dem enigmatisch schimmernden, eminent gegenwärtigen Sound steht der überzeitliche und selbsterklärte Wunsch, Musik in erster Linie als Gespräch zu begreifen. Auch über die härteste aller Grenzen hinweg: Den abschließenden Titeltrack schrieb Westerman, als er von Mark Hollis' Tod erfuhr. So endet das Album mit den Worten, mit denen es begann: "From dark into bliss / Your hero is not dead." Manchmal bricht sich Neon in Pastell.

(Viktor Fritzenkötter)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Big nothing glow
  • Waiting on design
  • Blue Comanche
  • Confirmation

Tracklist

  1. Drawbridge
  2. The line
  3. Big nothing glow
  4. Waiting on design
  5. Think I'll stay
  6. Dream appropriate
  7. Easy money
  8. Blue Comanche
  9. Confirmation
  10. Paper dogs
  11. Float over
  12. Your hero is not dead
Gesamtspielzeit: 39:43 min

Im Forum kommentieren

smrr

2020-06-18 10:10:26

Mit der Bullion-Produktion hat er sich einen großen Gefallen getan, sehr sympathisches Album. Wie um Himmels Willen konnte aber "The Line" nicht bei den Highlights landen?

Armin

2020-06-17 20:13:59- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum