Ohmme - Fantasize your ghost

Joyful Noise / Cargo
VÖ: 05.06.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

May we sing with us

Was macht es mit einem Menschen, ständig in Bewegung zu sein? Wie verändern sich sein Zeit- und Raumgefühl, sein Heimatbegriff, sein Selbstempfinden, wenn er konstant mit Fremdheit konfrontiert wird? Ohmme können von diesen Fragen nicht nur eines, sondern zehn Lieder singen. Das zweite Album des Chicagoer Duos namens "Fantasize your ghost" entstand komplett beim ausgiebigen Touren und versucht, die Rastlosigkeit zu konservieren. Nicht, dass das Schaffen von Macie Stewart und Sima Cunningham je von Stillstand geprägt war. Einen solchen lässt schon die Avantgarde-Szene nicht zu, aus der die beiden entstammen, und auch ihr publikumsfreundlicheres Portfolio listet so unterschiedliche Künstler wie Jeff Tweedy oder Chance The Rapper als Kollaborationspartner. Ihr Debüt "Parts" zeigte schließlich die eigene musikalische Vision: laute Gitarren, die sich am klassischen Indierock, dem Noise, dem Riot-Grrrl-Punk orientieren, verschmolzen mit exzentrischen Art-Pop-Melodien. Hier setzt auch der Nachfolger an, tariert die Pole noch feiner aus und öffnet sich weiteren Einflüssen. Ohmmes elegante Musik gibt sich nie ganz dem Krach oder Exzess hin, sucht aber genauso wenig den Weg zum einfachen Popsong.

Ein verdrecktes Riff flirrt durch den Opener "Flood my gut", dessen athletische Refrain-Harmonien an Dirty Projectors oder Sparks erinnern – Grunge im Ballsaal, aber so minimalistisch und schüchtern vorgetragen, dass es nie aufgesetzt wirkt. In "The limit" knurrt der Bass angepisst gegen melodische Verästelungen an, die in alle möglichen Richtungen wuchern, aber trotzdem im Gehörgang Wurzeln schlagen. Der Synergie von Stewart und Cunningham scheint ihr ständiges Beieinander förderlich gewesen zu sein. Wie sich ihre Stimmen im fast ununterbrochenen Duett aneinanderschmiegen oder wie ihre Gitarren aufeinander reagieren, zeugt von einem tiefen spirituellen Verständnis und einer Unmittelbarkeit, die sich auch auf den Hörer überträgt. Das polternde "Selling candy" kanalisiert diesen Live-Spirit am direktesten, indem es die Sechssaitigen im Feedback wüten lässt, ohne sie mit unnötigen Komplexitäten zu belasten. Wenn Ohmme hier nostalgisch von den suburbanen Sommern ihrer Kindheit singen, unterstreichen sie weiterhin, dass ihre Musik kunstvoll, aber nicht künstlich ist. So wirkt auch der surrealistische Wüstentrip im Psychedelic-Blues von "Ghost" eher humorvoll als bedeutungsschwanger: "You had a notion to keep killing time / But your clock is a wreck and you've already died."

Das Herzstück der Platte heißt "Spell it out". Es geht um einen gleichgültigen Partner, um Geschirrberge und Staubflächen, die symbolisch für die vernachlässigte Beziehung stehen. Stoische Gitarren und zitternde Streicher erzeugen eine Spannung, die nur in der kurzen Klimax aufgelöst wird: "What ever happened to you wanting to be there?" Die zweite Hälfte von "Fantasize your ghost" findet ein neues Selbstbewusstsein in der Reduktion und Verengung. Im großartigen "3 2 4 3" spielt Drummer Matt Carroll einen Krautrock-artigen Rhythmus, während die zwei Frauen ihren Trance-Tanz auf dem Bierdeckel durchführen. Erst "Sturgeon moon" dreht frei von jeder Struktur, verabschiedet sich dabei gleichzeitig von jedwedem Anspruch auf Schönklang zugunsten einer improvisierten No-Wave-Ödnis – ungefähr so müssen Sonic Youth in den Ohren derer klingen, die nie etwas anderes als Charts-Radio gehört haben. Wie im absoluten Kontrast dazu funkelt der Closer "After all" als Sixties-Pop-Perle, der Höhepunkt des Albums in Sachen Harmonie und Melodieführung. Doch hinter dem akustischen Idyll steckt Erschöpfung: "Don't bark, I'll be coming back and need no one to know / I'll just be up the street dying to be alone." Ohmme haben den Fluch der ständigen Bewegung in eine künstlerisch ähnlich ruhelose Form gegossen, um schließlich vor allem eine Sache zu offenbaren: die Sehnsucht nach dem Ankommen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Spell it out
  • 3 2 4 3
  • After all

Tracklist

  1. Flood your gut
  2. Selling candy
  3. Ghost
  4. The limit
  5. Spell it out
  6. Twitch
  7. 3 2 4 3
  8. Some kind of calm
  9. Sturgeon moon
  10. After all
Gesamtspielzeit: 39:32 min

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Armin

2020-06-17 20:12:51- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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