Owen - The avalanche

Big Scary Monsters / Al!ve
VÖ: 19.06.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Wie es sein sollte

Mal so unter uns früheren Emo-Rock-Kids: Es gab doch echt kaum was Besseres, als sich zu den Klängen unserer Helden etwas schlechter zu fühlen, als es uns eigentlich ging. Gemeinsam mit Sunny Day Real Estate träumten wir von fernen Ländern, die wir niemals besuchen würden. Mit Mineral brüllten wir uns Frust von der Seele, den ein einfaches Gespräch oft viel müheloser beseitigt hätte. Und Mike Kinsella sei Dank gab es gleich mehrere Ventile für die eigene Traurigkeit. Schöner leiden? Manchmal schon. Was ein Glück im sprichwörtlichen Unglück also, dass Kinsella mit seinen diversen Projekten nach wie vor dafür sorgt, dass es uns etwas wärmer im Brustbereich wird. Unvergessen, wie insbesondere die zwischen den Jahren 2001 bis 2004 ersten drei Owen-Alben Taschentuch, Trostpflaster und Tritt in den Arsch zugleich waren. "Places to go"? "The ghost of what should've been"? "She's a thief"? Drei Fragen, eine Antwort: Ja. Immer wieder.

Dass Kinsella mit Owen nie wieder diese extreme Intensität der Anfangsjahre erreichen würde, ist vielleicht auch dem eigenen Erwachsenwerden geschuldet. Trotzdem ging ein bisschen das Herz auf, als da plötzlich das neue Owen-Werk "The avalanche" in den Maileingang flatterte. Warum eigentlich auch nicht? Kinsellas Stimme ist die eines Freundes, seine Melodien sanfte Streicheleinheiten. Und auch das zehnte Studioalbum holt alte Anhänger genau da ab, wo sie seit fast zwei Jahrzehnten Arm in Arm in vertrauter Verbundenheit schwelgen – während neue Bekannte zumindest eine Ahnung davon bekommen dürften, wie das damals war in der kleinen Emo-Rock-Runde. Kinsella macht es ihnen denkbar einfach: Wenn "A new muse" als Opener losrollt, hat das einerseits was von friedlichem Protest, andererseits etwas von aufkeimender, kämpferischer Hoffnung. Und schon sind wir alle vereint.

Mit dem früheren Demo-Charakter der Schlafzimmer-Aufnahmen hat das alles freilich nicht mehr viel zu tun, aber auch der mittlerweile 43-Jährige hatte irgendwann ein Anrecht aufs Erwachsenendasein. Kinsella ist verheiratet und Vater zweier Kinder, die tiefe Traurigkeit hat er, so wünscht man es ihm zumindest, überwunden. Als "Dad-Rock" kommentierte eine Publikation das 2019 halbwegs zynisch, als American Football mit ihrem dritten Album "LP3" die 17 Jahre lange Pause zwischen Debüt und Zweitling endgültig hinter sich ließen, und lag trotz des frech anmutenden Begriffs auch nicht ganz falsch. "The avalanche" klingt stellenweise bequem, es geht oft auf Nummer sicher, große Experimente geht hier niemand ein. Manchmal braucht man aber genau diese Sicherheit. Wenn Kinsella in "Dead for days" Einblick in sein Seelenleben gibt, wie andere Menschen es nur in ihren Tagebüchern unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit tun, hat das in seiner Traurigkeit auch etwas Tröstliches. "This is where my rock bottom is / It's a short fall from grace."

An anderer Stelle ist es gar nicht unbedingt der Sänger selbst, der für die tiefste Berührung sorgt. Ein Stück wie "I should've known" etwa ist eine Gruppen-Glanztat, jedes Detail ist hier an der richtigen Stelle platziert und sorgt für den bestmöglichen Effekt, insbesondere die Streichersektion schafft trotz aller Zurückhaltung eine Meisterleistung. "Headphoned" oder auch "On with the show" erinnern abermals an das Comeback von American Football und liefern nicht nur kleine Lichtblicke, sondern regelrecht große, aufregende Momente auf einem sonst größtenteils unaufgeregten Album voller Zärtlichkeiten. Nur allzu gern lässt man sich vom harmonischen "Wanting and willing" auf der Zielgeraden einlullen, ehe das abschließende "I go, ego" ein letztes Aufbäumen zumindest andeutet, aber nicht komplett vollzieht. Muss es auch nicht. Wir alle wissen längst, was Mike Kinsella uns damit sagen wollte.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • A new muse
  • On with the show
  • Headphoned

Tracklist

  1. A new muse
  2. Dead for days
  3. On with the show
  4. The contours
  5. I should've known
  6. Mom and dead
  7. Headphoned
  8. Wanting and willing
  9. I go, ego
Gesamtspielzeit: 44:54 min

Im Forum kommentieren

Vive

2020-06-22 07:31:48

gute review, seh ich genauso

Kai

2020-06-18 14:43:39

Ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten mal im Stereo Wonderland auf nem Konzert war.

freu mich drauf

Voyage 34

2020-06-18 13:51:21

Konnte mit den älteren Alben ehrlichgesagt nicht so viel anfangen. American Football dagegen liebe ich. Hier werde ich zumindest noch mal ein Ohr riskieren

Armin

2020-06-17 20:13:08- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2020-06-17 11:24:36- Newsbeitrag

American Football-Sänger & Gitarrist Mike Kinsella veröffentlicht am kommenden Freitag, den 19. Juni 2020 mit "The Avalanche" ein neues Album mit seinem langjährigen Soloprojekt OWEN auf Big Scary Monsters. Im April 2021 wird er mit den neuen Songs im Gepäck auf Europatour kommen.

"The Avalanche" ist ein weiterer Meilenstein des langjährigen Soloprojektes des American Football-Sängers Mike Kinsella, das mit Hilfe des Produzenten Sean Carey (Bon Iver, Peter Gabriel) und Engineer Zach Hanson (The Tallest Man On Earth, Waxahatchee) aufgenommen wurde. Für April 2021 kündigt der Sänger nun seine Europa-Tour zu seinem neuen Album an, das am Freitag erscheint - darunter auch zwei Konzerte in Deutschland!



21.04.2021 - Leeds (UK), Brudnell Social Club
22.04.2021 - Glasgow (UK), The Hug and Pint
23.04.2021 - Birmingham (UK), Actress & Bishop
24.04.2021 - London (UK), Union Chapel
25.05.2021 - Amsterdam (NL), Melkweg
27.04.2021 - Köln, Stereo Wonderland
28.04.2021 - Berlin, Badehaus
30.04.2021 - Moskau (RU), Punk Fiction
01.05.2021 - St. Petersburg (RU), The Place Club

VVK-Start am Freitag um 10 Uhr: https://bit.ly/3hvenJz

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