Happyness - Floatr
Infinit Suds / Rough TradeVÖ: 01.05.2020
Die Befreiung
Veränderungen nerven manchmal. Aber wenn sich nie etwas ändert, bleibt alles einfach immer, wie es war. Klingt furchtbar. Gerade, wenn es um Musik geht. Die Londoner Indie-Rocker von Happyness charakterisieren die letzten Jahre als "die besten und schlechtesten" ihres Lebens. Nachdem Benji Compston ausgestiegen war, um sich auf sein Soloprojekt Jelly Boy zu konzentrieren, entschieden sich Jon EE Allan und Ash Kenazi, als Duo weiterzumachen. Und insbesondere bei Kenazi wandelte sich auch persönlich einiges. Nach seinem Coming-Out tritt der Schlagzeuger nunmehr als Drag Queen im rosa Ballkleid auf. Kein Wunder wirkt "Floatr" so befreit.
Auch im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern: "Weird little birthday" erschien rau und euphorisch, "Write in" schlug ruhigere Töne an und blieb auch lyrisch in sich gekehrter. Beide Alben waren großartig, aber blieben im jeweiligen Kosmos weitestgehend statisch. Das wird erst dann offenbar, wenn man "Floatr" entgegenstellt. Selbstverständlich vernachlässigt die Band auch weiter nicht die schönen Gitarrenmelodien, die den Sound von Happyness seit jeher charakterisieren. Neu jedoch sind der Hang zum Crunge, die deutlich selbstbewusstere Percussion, die kraftvollen Basslinien und die im Detail noch wirreren Texte: "A vegetable is counting the days / But it’s all a spectrum invading the space", heißt es zum Beispiel im verspielten "Vegetable" – das zudem einen grandiosen musikalischen Ausbruch parat hält. Das muss man alles erstmal entziffern können. In dem Song geht es darum, wieder aufzustehen, egal wie oft man auch gescheitert ist. Diese locker-flockige Kryptik, die Lyrik und Sound gleichermaßen versprühen, ist es, was "Floatr" so spannend macht.
Genau deswegen ist auch "What isn't nurture?" so interessant. Der Song schallt mit kreischendem Gitarrenfeedback heran, um dann doch ganz behutsam weiter zu intonieren. Die Slide-Gitarre gießt einen Eimer Romantik ins Geschehen und Allan klingt im Chorus wie Elliott Smith. Genauso in "Undone", das den Duktus des erwähnten Singer-Songwirters wieder ganz frech übernimmt, dabei aber Zeilen zum Besten gibt, die das tragische Element um ein schamlos witziges erweitern. In "When I'm far away (from you)" spielt ein wundervolles Piano die Hauptrolle und kreiert einen Titel zwischen verträumtem Kinder- und aufgewecktem Schlaflied. "Milk float" hingegen überlässt dem Schlagzeug die Bühne. Die Trommeln treiben den Gesang zwischen konfusen Soundfetzen immer weiter an, bremsen aber noch rechtzeitig vor der Implosion. Am Ende steht der überlange und mithin wahnsinnig facettenreiche Closer "Seeing eye dog". Happyness lassen die Gitarren munter oszillieren und erzählen die Geschichte vom Wörtchen "wenn" neu: "Freedom / It’s a great slapping handshake / With the weight that I could have lost / The fantasy pill" – man hätte, könnte, sollte, würde. Aber halt nö.
Nicht nur passend dazu ist das Hauptmotiv von "Floatr" das Treibenlassen, siehe Titel. Aber nicht in dem Sinne, sich einfach kampflos zu ergeben. Stattdessen geht es darum, die alltägliche Langweile zu überstehen. Die zahlreichen Tempiwechsel zeichnen das stetige Wiederaufbäumen nach, skizzieren sich entlang von Niederschmetterndem wie Erhebendem. Als Referenzwerk sei hier auch "You're not as _____ as you think" von Sorority Noise genannt, das sich mit einer ähnlich gelagerten Energie zur Wehr setzt, wenngleich der Zugang bei Happyness jederzeit mit einem Augenzwinkern erfolgt. Und doch steht am Ende beider Platten derselbe Erkenntnisgewinn: Manchmal hilft es, Dinge zu zerreißen und von vorne zu beginnen. Veränderungen nerven manchmal. Aber sie befreien.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Milk float
- Vegetable
- What isn't nurture?
- Seeing eye dog
Tracklist
- Title track
- Milk float
- When I'm far away (from you)
- Vegetable
- What isn't nurture?
- Bothsidesing
- Undone
- Anvil bitch
- Ouch (Yup)
- (I kissed the smile on your face)
- Seeing eye dog
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dreckskerl
2021-10-24 16:54:59
Was für ein wunderschönes Album.
Indierock at its best.
Für Freunde von: Pavement, Dinos, R.E.M., Shins, Built to spill, Wheat, Wilco...
kingbritt
2020-08-12 15:09:58
. . . so jetzt hat es geklappt. Nach dem Fauxpas mit „Hum“ nun das Konträr-Programm zu Noise-Gitarrenwänden aus Stahl.
Feiner klassischer Indie der subtileren Art, mit schön kniffliger teils unorthodoxer Gitarrenarbeit und wohlwollenden Arrangements, Seelenbalsam, ja, eine Wohltat für die Ohren. Kommen aus London. Hätte eher an Südsaaten-Combo gedacht. Viele schöne Melodien, mein Hightlight „Vegatale“, „Bothsidesing“ und "Ouch (yup)“ und dem Closer „seeing eye dog“ der irgendwie gerade sehr gut zu den heißen Hundstagen passt.
Ja, starkes Album. Bin dabei.
kingbritt
2020-08-12 13:17:03
Hum
https://www.plattentests.de/forum.php?topic=19596&seite=1?topic=19596&seite=1#neuester
kingbritt
2020-08-12 13:13:33
. . . manchmal muss auch geschreddert werden. ^^
dreckskerl
2020-08-12 12:54:59
:-)
Happyness auf Hum? eher großer Vertipper :-).
Aber wunderbar, wenn du dadurch etwas gefunden hast, was du so magst.
Ich hab reingehört und mag es nicht, sind für mich in jedem Song quasi die gleichen, eher düsteren Meddlgitarrensounds, kommt bei mir emotional nicht an.
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