
Melt Yourself Down - 100% yes
Decca / UniversalVÖ: 27.03.2020
Sax pistols
Es scheint, als würde alles, was Shabaka Hutchings anfasst, zu Gold werden. "The Comet Is Coming" , Sons of Kemet und seine Formation mit den Ancestors gehören zum spannendsten, was gegenwärtiger Jazz zu bieten hat. Auch Melt Yourself Down gehen aus diesem Dunstkreis hervor. Shabaka Hutchings ist zwar nicht mehr Teil von Melt Yourself Down, fehlt aber nicht. Was die Band von anderen Vertretern der Londoner Jazz-Szene aber unterscheidet, ist das gekonnte Verbinden scheinbar gegensätzlicher Genres – der musikalische Fusion-Begriff wird hier entschieden erweitert –, während sie dabei catchier agieren als die Kollegen. Sie sprengen die Schubladen Jazz, Punk und Funk auf eigentümlichste Weise, indem sie die Kernelemente der respektierlichen Genres auseinandernehmen, mit nordafrikanischen Komponenten koppeln und neu zusammensetzen. Im Zentrum stehen dabei Grooves, die mal post-punkig direkt nach vorne gehen, manchmal aber auch funkige Go-Go-Beat Verehrung sind. Dazu kommen Kushal Gayas politische Lyrics, die sich unter anderem mit den Wunden des britischen Kolonialismus in Indien auseinandersetzen. Und vielleicht am markantesten: die präzisen Staccato-Saxofon-Riffs von Pete Wareham, die den Afrobeat-Meister Fela Kuti wiederauferstehen lassen. Erstaunlicherweise klingt die Band dabei modern, viel moderner und frischer, als die Retro-Verweise nahelegen.
"Boot and spleen" eröffnet das Album auf exemplarische Weise. Ein brutal tighter Groove wird von Sax-Riffs angetrieben, der Song ist dabei so dermaßen tanzbar, dass einem die Spucke wegbleibt und der Schweiß fließt. Melt Yourself Down beweisen, dass Jazz poppig und anspruchsvoll zugleich sein kann, ohne steril oder leblos klingen zu müssen. "Chop chop" ist mit der grummelnden Basslinie ein astreiner Post-Punk-Track im Jazz-Gewand, und auch auf anderen Stücken ist die Punk-Attitüde unverkennbar. So erinnert Gayas Gesang in "It is what it is" eher an Iggy Pop, nur dass dieser über nigerianischen Funk seine Worte spuckt. Die Singles "Crocodile" und "Every single day" zeigen, dass sich politische Message mit euphorischer Pop-Sensibilität zusammendenken lässt. Sozialkritische Textpassagen über Drogenmissbrauch und Social Media werden von galoppierenden, gewaltigen Bassläufen und eingängigen Sax-Riffs untermauert. So heißt es: "I’m a series of clicks and likes / We never disagree" und "Like a crocodile looking for something to kill, inside you." Im titelgebenden Closer mündet ihre Vision in einer fast siebenminütigen Afrobeat-Zeremonie, die sich energiegeladen und hoffnungsvoll von flirrenden Synths und Saxofon-Solos getragen immer tiefer in den hypnotischen Groove hineinschraubt und ganz klar verlautbart: Wir sind nicht zu stoppen, "100% yes to life".
Melt Yourself Down verdeutlichen eindrucksvoll, dass Genre-Schubladen sinnlos sind und dass sich widersprüchlichste Impulse in tanzbarster Sommermusik ausdrücken lassen. Den kritisierten sozialen und politischen Misständen wird hier lebensbejahende Bewegungsfreude entgegengesetzt. Wer braucht schon ein Workout, wenn man zu diesem pan-globalen Opus politisch motiviert abzappeln kann.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Crocodile
- Every single day
- 100% yes
Tracklist
- Boot and spleen
- This is the squeeze
- Born in the manor
- Every single day
- It is what it is
- From the mouth
- Crocodile
- Don't think twice
- Chop chop
- 100% yes
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Earl Grey
2023-02-21 22:35:45
Wie kann ein solcher Song hier keine Resonanz hervorrufen?
Melt Yourself Down - Crocodile
Armin
2020-06-03 19:37:18- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Melt Yourself Down - 100% yes (2 Beiträge / Letzter am 21.02.2023 - 22:35 Uhr)