Gudrun Mittermeier - Seeheim
Trikont / IndigoVÖ: 29.05.2020
Unter Bayern
Der Alias ging, das Gesicht kam. Was früher als Somersault solider, unaufgeregter und vor allem unauffälliger englischsprachiger Pop war, ist bei Gudrun Mittermeier völlig anders. 2016 brachte sie das Album "Mitternach" unter ihrem eigenem Namen heraus, kleidete sich in mystische Klanggewänder und sang: auf Bayerisch. Jo, sagamal! Vergleiche zu Kate Bush oder Tori Amos lagen auf dem Tisch – und gar nicht mal unberechtigt. Nur der Rezensent, der hat es aus mittlerweile unerfindlichen Gründen bei 6/10 gehört und damit gab es seinerzeit keine Rezension. Seither rotierte "Mitternach" jedoch immer wieder mal in der Anlage und entpuppte sich als echtes Kleinod. Welches so gut für sich spricht, das man jegliche Erinnerungen an irgendwelchen "Way to Mars"-Schmonz mit alubehütetem Jammerlappen im grausligen Musikprojekt ihres Göttergatten sofort vergisst. Der Nachfolger "Seeheim" behält gottseidank den Kurs von vor vier Jahren bei.
Neu ist, dass Mittermeier öfters nun englische Textzeilen untermischt, sodass man tatsächlich ein paar Lyrics versteht. Die Mehrheit erklingt jedoch weiterhin im Dialekt, der ja einen nicht unwesentlichen Anteil an der Faszination ihrer Musik ausmacht. Wenn sich der Opener "Heaz steht" mit tapsendem Klavier sowie stoischem Uhrwerksklackern anschleicht und Mittermeier "die Liab von Dir" besingt, wirkt das wunderbar organisch. Streicher und Bläser ergänzen den Sound in passenden Momenten. Am besten ist "Seeheim" wie schon "Mitternach" dann, wenn die Atmosphäre düster und kühl ist, die Songs ungreifbarer. Der Chor von "Chaos ahead" scheint am anderen Seeufer zu stehen und nur vom Wind hereingetragen zu werden. Sehr herzlich ist auch die von Niels Frevert hochstselbst abgesegnete rührselige Mundart-Coverversion von "Du kannst mich an der Ecke rauslassen" – oder wie es hier heißt: "An der Eckn rauslassn". Ein hübscher Comedown nach dem sehr passend betitelten "Wuida Ritt", das regelrecht schwindelig macht.
Das soll nicht heißen, dass die extrovertierteren, poppigeren Songs schwach sind. In "Kumm geh doch" giftet Mittermeier halb rappend "Halt doch Du dei Mai / Hey, falscher Freind." Der Beat knirscht dazu angenehm ruppig. "Nix gsogt is gred gnua" mopst sich Melodien von BOY und erinnert in der Phrasierung an Wir Sind Heldens Judith Holofernes, trotz des Reims "Haufenweise Platzverweise / Kiloweise Götterspeise." Doch Mittermeier kreiert einfach die interessanteren Momente mit abseitigen Experimenten wie dem ungewohnt elektronischen "Transformation", das die Platte beschließt. Da gibt sie zu frostigen Beats die Eisprinzessin und deutet an, dass sie sich noch viel mehr entwickeln kann, wenn sie möchte. Wer mit dem Namen Mittermeier noch biedere Comedy- oder Klangkost verbindet, muss endgültig umdenken. "Seeheim" ist einmal mehr ein originelles, ideenreiches Kammerpop-Album. Sauber, sog ma da.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Chaos ahead
- Nix bliat, fix up
- Wuida Ritt
- An der Eckn rauslassn
Tracklist
- Heaz steht
- Chaos ahead
- Heast Du mi
- Kumm geh doch
- Nix bliat, fix up
- Anders
- Nix gsogt is gred gnua
- Far away
- Wuida Ritt
- An der Eckn rauslassn
- De ganze Nocht
- Transformation
Im Forum kommentieren
Arne L.
2024-10-09 12:24:43
Absolut absurd, dass ich immer wieder bei diesem Album lande, aber here we are, haha.
Arne L.
2024-04-04 17:23:12
Werde ich machen, vielen Dank!
Felix H
2024-04-04 16:22:29
Gerne auch den Vorgänger "Mitternach" anhören, den finde ich noch einen Tick besser. Aber beides sehr schöne Alben.
Arne L.
2024-04-04 11:56:26
Wäre ohne die Review nie über diese Frau gestolpert, aber hab das Album dann nach dem Release ein paar mal gehört und bis heute bleibt ein Song: "Kumm geh doch". Den finde ich wirklich ein herausragendes Mundartwerk.
Armin
2020-05-27 19:51:33- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Gudrun Mittermeier - Seeheim (5 Beiträge / Letzter am 09.10.2024 - 12:24 Uhr)