Shirley Holmes - Die Krone der Erschöpfung

Rookie / Indigo / The Orchard
VÖ: 24.04.2020
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Lass ma' machen

Man darf zum Glück feststellen, dass nicht alle mit Perwoll gewaschen sind. Dass nicht alle aufgrund verunsichernder Begleitumstände wie Terrorismus, Flüchtlingsströme und wachsender sozialer Kälte zu konservativen Ja-und-Amen-Sagern, zu gesellschaftlichen Mir-Egalos mutiert sind, solang die Netflix-App funktioniert. Der Vorwurf, junge Menschen mögen es bloß nur noch harmonisch, weniger aneckend, fußt im musikalischen Spektrum auf dem unangenehmen Faktum, dass Schablonen-Musik von Mark Forster, Wincent Weiss oder Max Giesinger im Lande en vogue ist. Gewiss haben jene Burschen auch reifere Abnehmer*innen ihres gepflegten Radio-Breis zum Publikum. Dennoch repräsentieren sie die 2010er-Jahre wohl mehr als umtriebige Bands wie Shirley Holmes, das Frei-Schnauze-Trio aus Berlin, welches bisher durch seine "Lass' ma machen"-Attitüde und schweißtreibende Slapstik-Shows aufgefallen ist.

Dass die zwei Damen und der eine Herr auch ernst können, zeigen klare Worte im Post-Punk-Verschnitt "Der alte Krieg" oder Tracks zum psychologischen Befinden im schnelllebigen Alltag der Gegenwart, wie beim Dance-Punk-Smasher "Das Licht". Obwohl ihr dritter Release "Die Krone der Erschöpfung" nun beim Punk-Label Rookie erscheint, sollte man die Musik des Trios aus dem dicken B nicht zwingend unter Punkrock einsortieren. Das Album liefert eine recht wilde Mixtour aus Gitarrenriffs und pumpenden Drums, mäandert sich durch mehrere Genres der Rockmusik, packt zeitweise gar grenzwertigen Crossover der Neunziger aus und ist garniert mit üppigen Synthies, Sprechgesang und anderen halbschrägen Ideen. "Lass ma' machen" heißt das Motto, und das geht über weite Strecken der Platte auf. "Wieder sehen" macht als Indie-Hymne verdammt viel Spaß und tanzt in der langen Album-Version auf einem coolen Elektro-Beat in die Abendsonne des nahenden Sommers.

Der Opener "Binichbinich" hingegen lässt auch die Mienen derjenigen zucken, die erst nach dem zweiten Kaffee über das erste Grinsen des Tages nachdenken. Auch "Schallfront, Baby" ist ein verdammter Hit, und der "Wolf von Brandenburg" etwa kann musikalisch gar nicht schräg genug sein, führt man sich den AfD-Stimmenfang auf dem Brandenburger Land und damit den aktuellen Hintergrund des Beitrags zu Gemüte. "Die Krone der Erschöpfung" hat natürlich kein Konzept, füllt genau damit aber eine unterhaltsame halbe Stunde. Was unterm Strich und ohne Füller aber kaum mehr als eine (üppige) EP an guten Song-Ideen bietet. Doch wenn die unangepassten jungen Menschen in der Hauptstadt bald alle dieses "Wieder sehen" zu ihrem Sommerhit küren und nach "mehr" schreien, dann sind auch Shirley Holmes in der lästigen Leistungsgesellschaft angekommen, die da sagt: Potenzial verpflichtet.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Der alte Krieg
  • Wieder sehen
  • Schallfront, Baby

Tracklist

  1. Binichbinich
  2. Das Licht
  3. Auszeit
  4. Der alte Krieg
  5. Wieder sehen
  6. Wolf von Brandenburg
  7. Schallfront, Baby
  8. Oh oh
  9. Konzoom
  10. Geleitete Meditation
Gesamtspielzeit: 31:56 min

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Armin

2020-05-20 22:31:29- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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