Baxter Dury - The night chancers

Heavenly / Le Label / PIAS / Rough Trade
VÖ: 20.03.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Der beißt nicht

"I'm not your fucking friend." Woah, okay. Würde man Baxter Dury nicht besser kennen, könnte man die eröffnenden Worte von "The night chancers" glatt als Abweisung missdeuten. Doch natürlich ist es nur ein Trick des alten Charmeurs, um den Abstieg in seine vernebelte Unterwelt noch reizvoller erscheinen zu lassen. Der Sohn des britischen New-Wave-Helden Ian Dury hat sich seit fast 20 Jahren als eigenständiger Musiker emanzipiert und spätestens mit dem tollen "Prince of tears" seinen Chic als Geschichtenerzähler und Stimmungsfänger gefunden. Fokussierte er sich zuvor mehr auf sich, entwirft er auf seinem sechsten Album ein romanhaftes Panorama schäbiger Figuren, die mit dem Stolz der Gescheiterten durchs Londoner Nachtleben stolpern. Dury selbst steht mit billigem Anzug und Kippe in der Hand an einer Straßenecke, beobachtet das Geschehen und spielt es grotesk, aber nicht herablassend nach. Sein tiefer Anti-Gesang und die alkoholgetränkte Laszivität seiner Ausstrahlung halten die Assoziationen nicht lange vor. Spätestens, wenn "Samurai" Frauenstöhnen als Teil seines Beats einbaut, gießt sich Serge Gainsbourg im Himmel anerkennend ein Glas Champagner ein.

Als wolle er mit dem Chansonier anstoßen, singt der weibliche Chor um Madeleine Hart, der auf der ganzen Platte als essenzieller melodischer Kontrast zu Durys Spoken-Word-Gegrummel fungiert, im Opener "I'm not your dog" auf Französisch – auch wenn der pumpende Synthpop-Track musikalisch eher Gainsbourgs Tochter Charlotte evoziert. Es ist nicht der einzige moderne Spin auf "The night chancers", in dessen Spiel gekränkter Eitelkeiten und romantischer Enttäuschungen Social Media eine gewichtige Rolle spielt. "Sleep people" verhüllt eine Abrechnung mit Fashion-Bloggern in einlullenden Lounge-Pop samt fiebrigem Saxophon-Solo. In "Carla's got a boyfriend" entdeckt der 48-Jährige den neuen Macker seiner Ex auf Instagram, einen lächerlich wirkenden Typen mit "horrible trousers" und kleinem Auto. Durys oft augenzwinkernde Charakterbeschreibungen füllen seine Welt mit Details und Leben. Bei der Erscheinung des zu Beginn besungenen "Slumlord" weiß man nicht, ob sie albern oder einschüchternd wirken soll: "Charm dripping like fresh honey / I'm the Milky Bar kid / Soiled trousers / Shiny cheekbones / Like graveyards in the sun." In "Saliva hog" stolziert ein "slobby spiv with an open shirt" ins Bild, nur um von den Frauenstimmen mit einem trockenen "Who the fuck are you my friend?" begrüßt zu werden.

In letztgenanntem Track sorgen ein karger, fast Trip-Hop-artiger Beat mit vitalem Bass und Disco-Streichern für eine Sogwirkung, die stellvertretend fürs ganze Album steht. Es geht gar nicht darum, was Dury genau erzählt, sondern wie sein sinnlicher Vortrag zusammen mit der hypnotischen Musik eine atmosphärische Einheit bildet. Die hat auch dann Bestand, wenn es zum Ende hin erzählerisch düsterer wird. Der Protagonist des starken Titeltracks sitzt einsam und gedankenverloren in seinem Hotelzimmer, zerfressen von Reue und Melancholie. Im Kontrast zu seinem erstaunlich offensiven Funk-Pop inszeniert "Hello, I'm sorry" ein Telefongespräch um die vielsagenden Zeilen "I took the pill / Who's laughing now?" Im zärtlichen "Daylight" lässt sich Dury tatsächlich zum Singen hinreißen, weil ihm die Erinnerung an eine vergangene Liebe offenbar sehr am Herzen liegt: "You were so lovely / Standing in the driveway / With your eyes flickering in the wind." Doch das glückliche Ende bleibt ihm verwehrt, "Say nothing" lässt seinen Erzähler am verregneten Straßenrand liegen und vom Suizid träumen. Immerhin haben die Frauenstimmen noch ein paar aufmunternde letzte Worte parat: "Baxter loves you." Ha! Haben wir's doch von Anfang an gewusst.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • I'm not your dog
  • Saliva hog
  • The night chancers

Tracklist

  1. I'm not your dog
  2. Slumlord
  3. Saliva hog
  4. Samurai
  5. Sleep people
  6. Carla's got a boyfriend
  7. The night chancers
  8. Hello, I'm sorry
  9. Daylight
  10. Say nothing
Gesamtspielzeit: 30:34 min

Im Forum kommentieren

Matjes_taet

2020-04-09 13:32:39

Mit Baxter würde ich gern mal saufen gehen.

Schönes Album.

Loketrourak

2020-04-02 00:06:29

Später
Gestern bestellt

Armin

2020-04-01 21:12:12- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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