Pearl Jam - Gigaton
Republic / UniversalVÖ: 27.03.2020
Es werde Licht
Eddie Vedder hat allen Grund zum Schimpfen. Im Weißen Haus sitzt ein narzisstischer Idiot, das amerikanische Jahrhundert ist ein Ding der Vergangenheit. Die Welt befindet sich in einem Wandlungsprozess, der wahrscheinlich keinen Stein auf dem anderen lassen wird. Es ist höchste Zeit für ein Pearl-Jam-Album. Nach der bisher längsten Auszeit der Bandgeschichte erscheint mit "Gigaton" ein bitter nötiges Werk. Nachvollziehbar also, dass Vedder in Pöbelstimmung ist. In "Quick escape" ledert er drauflos, als wäre er in ein Säurebad gefallen. Der von Jeff Ament komponierte Song überzeugt auch musikalisch: Eine unwiderstehliche Basslinie duelliert sich mit einem jener Grooves, die nur Matt Cameron produzieren kann. Und Mike McCready darf endlich mal wieder losnudeln wie früher. Das lässt er sich nicht zweimal sagen. Sein Solo beschwört Hendrix herauf und hievt ihn zielsicher ins 21. Jahrhundert.
Doch nicht immer nennt Vedder die Dinge beim Namen. Wenn er sich ins Ungefähre zurückzieht, verlieren seine Aussagen nicht an Dringlichkeit. Sinnbildlich hierfür steht die erste Single "Dance of the clairvoyants", ein brütender Track, der an Talking Heads erinnert. Zu Drum- und Synthesizerloops raunt der Sänger kryptische Zeilen und transportiert dabei trotzdem eine Botschaft, der man sich nicht entziehen kann. Es soll, es muss nach vorne gehen; nicht nur für Pearl Jam, sondern auch für uns alle. Der Wille zum Experiment muss der Band hoch angerechnet werden, erst recht, wenn das Ergebnis derart beeindruckend ist. In eine ähnliche Kerbe, wenngleich deutlich zurückhaltender, schlägt "Seven o'clock". Eine einprägsame Keyboardlinie dominiert den Song, während die Gesangsmelodie zum Schwelgen einlädt. Im Finale wählt die Band dann die Ausfahrt in Richtung Seligkeit.
"Dadrock" ist ein Buzzword, das in Verbindung mit Pearl Jam gerne in den Raum geworfen wird. Despektierlich vielleicht, aber sicher nicht ganz falsch. Hier musizieren Familienväter jenseits der 50, die Kernzielgruppe ist mit der Band gealtert. Aber ändert das etwas an der Musik? Muss eine Band sich anbiedern, um relevant zu bleiben? Freilich sind Songs wie "Take the long way", "Never destination" und "Superblood wolfmoon" keine Sensationen. Unspektakuläres Gerocke gehört seit jeher dazu wie die Rotweinflasche auf der Bühne. Schlecht sind die Songs deswegen auf keinen Fall. Im Gegenteil: Immer wieder passiert Überraschendes, Paradebeispiel hierfür ist die Steigerung in "Take the long way". Auch der Opener "Who ever said" überzeugt durch grandiose Gitarrenriffs und einen Vokalisten in Bestform.
Verschroben wird es in den ruhigeren Momenten. "Alright" nimmt sich viel Zeit, belohnt den Hörer aber mit einer hübschen melodischen Steigerung. Klanglich stellt "Gigaton" eine klare Verbesserung zu den Vorgängern dar. Ohne Hausproduzent Brendan O'Brien, dafür mit tatkräftiger Unterstützung von Josh Evans entstand ein Sound, der der Band ausgezeichnet steht. Gegen Ende verliert das Album deutlich an Fahrt, der Blick richtet sich vermehrt nach innen. Zentraler Song des letzten Drittels ist der Sechsminüter "Comes then goes", in welchem Vedder den Geschichtenerzähler mit der Akustischen gibt und sich mit dem tragischen Tod Chris Cornells auseinandersetzt. Auch das in Triolen schwimmende "Buckle up" verzichtet auf Lärm und sucht sein Heil in der Schratigkeit. Charmant ist das allemal, ein wenig egal aber leider auch. Glücklicherweise kriegen Pearl Jam am Schluss doch noch einmal die Kurve: "Retrograde" und "River cross" gelingt das Kunststück, gleichzeitig Melancholie und Hoffnung zu verströmen. Denn nur weil man Abgrund steht, muss man nicht springen. Brücken bauen lautet das Motto. Oder um es mit Vedder zu sagen: "Share the light / Won't hold us down." Aber gerne.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Dance of the clairvoyants
- Quick escape
- Seven o'clock
- River cross
Tracklist
- Who ever said
- Superblood wolfmoon
- Dance of the clairvoyants
- Quick escape
- Alright
- Seven o'clock
- Never destination
- Take the long way
- Buckle up
- Comes then goes
- Retrograde
- River cross
Im Forum kommentieren
fuzzmyass
2020-12-28 16:56:36
"Und da wir bei vielen anderen sehr ähnlich liegen, mach ich mir keine Gedanken über meinen Musikgeschmack. :D"
Solltest Du ohnehin nie, aber ja - generell sind wir immer recht nah beieinander, PJ ist halt einfach eine sehr wichtige Band für mich, deswegen ist das normal, dass ich sie generell auch etwas besser sehe/höre...
Christopher
2020-12-28 16:45:17
"Kein überragendes, aber doch ein wirklich gutes Album."
Kommt hin. "Retrograde" und "Quick escape" habe ich dieses Jahr viel gehört.
Given To The Rising
2020-12-28 16:20:07
Mit "Seven O'Clock" und "Retrograde" genau die Ausnahmenummern erwähnt. Die s/t finde ich noch ein bisschen besser, aber auf einer Höhe mit Backspacer ist die Platte schon.
The MACHINA of God
2020-12-28 15:47:31
Ich mag die Rocker bis auf Ausnahmen weniger als die anderen Stücke, speziell die atmosphärischeren (so sind mir PJ am liebsten). Aber sowas wie "Brain of J." find ich trotzdem klasse.
In Sachen Albenbewertung würden "No code", "Yield" und wohl auch "Binaural" schon etwas über 8/10 liegen. Ist aber keine richtige Meisterwerk-Band für mich, liegt aber auch eher daran, dass es nicht vollkommen meine Musik ist. Bin eher starker Sympathisant als wirklicher Fan.
Und da wir bei vielen anderen sehr ähnlich liegen, mach ich mir keine Gedanken über meinen Musikgeschmack. :D
fuzzmyass
2020-12-28 15:25:54
Ich glaube Du meintest mal Du fändest sämtliche Rocker der Band langweilig und soweit ich mich erinnern kann, hattest Du kaum einem Album eine richtig gute Bewertung (9/10) gegeben... fand ich etwas komisch, soll Dir aber natürlich nicht den eigenen Geschmack absprechen :)
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