Nazar - Guerrilla

Hyperdub / Cargo
VÖ: 13.03.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Bürger im Bürgerkrieg

Die böse Fratze des Krieges hat das Land Angola fast dreißig Jahre im Griff gehabt. Ganze Generationen kannten nur den Alltag bewaffneter Auseinandersetzungen. Und so ist der Künstler Nazar im belgischen Exil aufgewachsen, konnte erst nach 2002 in sein Mutterland zurückkehren, welches ihm die Wunden und Versehrungen des ewig langen Bürgerkrieges offen zeigte. Immer noch schwelende regionale Kämpfe, Korruption, Verrohung im ganz Alltäglichen. In seiner neuen Wahlheimat England fügte Nazar, dessen Vater im Krieg als Rebellengeneral unmittelbar beteiligt war und dessen Geschichten Nazar tief beeinflussten, die Geschichte seines Landes per nativen Gesängen, Sprachfetzen und rhythmischen Erzählschnipseln mit elektronischer Musik zusammen. Letztere wiederum bedient sich in ihrer rhythmischen Gangart stark dem angolanischen Kuduro. Mit "Guerrilla" veröffentlicht Nazar nun erstmals auf Albumlänge seine Mixtur, die vor allem die lebhaften Musiken Afrikas vor einen Zerrspiegel aus bedrohlicher Electronica stellt, unbehaglich, kühl, manchmal regelrecht schrecklich. Doch egal wie bedrohlich manches Szenario auch gerät, oft klöppelt es zwischen den Zeilen auch lebhaft und vital, so mancher Sonnenstrahl kommt durch.

Aber das eröffnende "Retaliation" beeindruckt vor allem durch seine schneidenden Synths, die kalt und kantig im diffusen Nebel stehen. Hartnäckig, enervierend, bilden diese den Vorbau zu einem angolanischen Chorgesang, der in seiner Einfachheit und mit der Milde seiner weiblichen Stimmen inmitten der metallischen Kälte so etwas wie familiäre Geborgenheit und kulturelle Tradition einsetzt. Doch schon das mechanische Pumpen und Schnaufen in "Diverted" kündet von Unwirtlichkeit, die folgende, vertrackte Rhythmik scheint eher eine entmenschlichte Machinerie in Bewegung zu setzen, als einen Haufen vergnügungswilliger Menschen zum Tanzen zu bringen. "UN sanctions" scheint mit den aggressiven, wie durch eine Gefängnistür dringenden Vocal-Parts auch nicht friedlicher, Sound-Brüchstücke werden zu Machetenhieben verformt, der Rhythmus gibt sich nervös und aufgeputscht, ja, hier lässt man sich nicht freiwillig nieder, eine eindringliche Erfahrung, die wichtig ist, macht man hier aber ohne Frage.

Da ist man ob der hellen Percussion in "Fim-92 Stinger" fast schon beruhigt, auch ein paar rhythmisch aufelegte Melodiefolgen sind dem Licht näher als der Dunkelheit, und trotzdem bleibt auch hier eine Beunruhigung jenseits gesicherter Planmäßigkeit. Doch auch das Warme, Zutrauliche arbeitet mit Nachdruck. In "Mother" erzählt eine altere Frau beruhigend und lebensweise mit melodischem Schwung, es dringen in Schleifen gewundene Flötentöne wie Sonnenstrahlen zum Ohr, ein kleines Idyll in den Wirrnissen der militärischen Regellosigkeit.

Bei dem warmen Pulsieren der Percussion in "Intercept" ist man sich hingegen mal wieder gar nicht sicher, ob aufgrund der eingestreuten Breaks und dem abgetönten Säbelrasseln hier dem Frieden oder der kaltblütigen Konfrontation das Wort geredet wird. Es ist eben die Mischung aus beidem, welche Nazar so gut beherrscht. Er fängt die musikalische Reichhaltigkeit seiner Heimat ein, lässt diese jedoch durch Schreckenszenarien wandern, die den Schönklang biegen, zerren und manchmal fast erdrosseln. Es entsteht ein nervöser Fiebertarum, angetrieben durch mechanisches Pumpen und Stampfen, dem man sich nur schwer entziehen kann. Doch ein Bestandteil scheint halt auch oft durch, nämlich das Licht, die Milde und die Möglichkeit, auch einmal ohne Angst entspannt auszuatmen.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Retaliation
  • Fim-92 Stinger
  • Mother

Tracklist

  1. Retaliation
  2. Diverted
  3. Bunker (feat. Shannen SP)
  4. UN sanctions
  5. Fim-92 Stinger
  6. Immortal
  7. Mother
  8. Arms deal
  9. Why
  10. Intercept
  11. End of Guerrilla
Gesamtspielzeit: 45:44 min

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Armin

2020-03-10 21:31:21- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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