Rustin Man - Clockdust

Domino / GoodToGo
VÖ: 20.03.2020
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Wer nicht rastet

"Nölend weinerlich", die Musik verderbend oder so klingend, "als würde er die ganze Zeit gähnen". Die Stimme von Paul Webb alias Rustin Man kam in unserem Forum nicht allzu gut weg. Vielleicht lag die Messlatte schlicht zu hoch, schließlich betörten auf den vorigen Werken des einstigen Talk-Talk-Bassisten ein paar ganz besondere Organe der Musikgeschichte die Ohren: Sowohl die erhabene Zerbrechlichkeit eines Mark Hollis, als auch die außerweltliche Anmut von Beth Gibbons auf dem immer noch tollen "Out of season" sind weiterhin völlig einzigartig. Es irritierte dementsprechend, als Webb auf "Drift code" zum ersten Mal selbst sang, doch seine brüchig-müden Seufzer bildeten fix eine Einheit mit der entrückten Melancholie der Musik – und so wunderbar, wie sich die komplexen Arrangements hier zusammenschachtelten, gerieten die Vocals eh zur Nebensache. Kann der gerade einmal 13 Monate später erscheinende Nachfolger "Clockdust" das Niveau halten?

Oben steht natürlich schon der Spoiler, hier die explizite Antwort: Nein, kann er nicht. Die Songs stammen aus denselben Sessions wie "Drift code", passten nach Aussage des Künstlers als straffere, geräumige Kompositionen aber nicht auf jene Platte – böswillige Zungen könnten auch von Ausschussware sprechen. "Carousel days" baut sich nach seinem minimalistischen Beginn elegant auf und unterscheidet sich strukturell nicht stark vom fantastischen "Vanishing heart" des Vorgängers, doch vermag es keine vergleichbare Magie zu entfalten. Webb versammelt immer noch eine sehr versierte Truppe von Musikern um sich, seien es sein früherer Talk-Talk-Kollege Lee Harris an den Drums oder das Ein-Mann-Blasorchester TJ Mackenzie. Gemeinsam erschaffen sie weiterhin eine eigenständige Ästhetik zwischen subtilem Art-Rock, Piano-Folk und Soul- und Jazz-Anleihen, bedeckt vom Staub eines vergangenen Jahrhunderts. Doch so reibungslos wie zuvor wollen die Melodien und Instrumente dieses Mal nicht zusammenpassen.

Im musikalisch gesetzteren Rahmen fällt es schwer, die Geschichte eines alternden Gangsters in "Old flamingo" nicht auf den 58-Jährigen selbst zu beziehen. Webb ist noch immer ein ausgezeichneter Stimmungsfänger, seiner wesentlich älter klingenden Stimme fehlt es aber zuweilen am Gegengewicht spannender Arrangements. Doch nicht alle Akteurinnen und Akteure auf "Clockdust" beugen sich dem Schicksal ihrer Vergänglichkeit. "Jackie's room" erzählt von einer Show-Dame, die im Spiel der Verführung, im ungebrochenen Gefühl des Begehrtwerdens die ewige Jugend findet. Auch der Song selbst tanzt ähnlich besinnlich vor dem Spiegel, weiß mit kerniger Akustikgitarre und Chor einen Zug zu entwickeln, der zur Selbstsicherheit seiner Protagonistin passt. Was Webb weiterhin formidabel gelingt, ist die Homogenität aufrechtzuerhalten zwischen cineastisch ausgearbeiteten Charakteren und den atmosphärischen Verschiebungen seiner Musik.

Auch sonst dominieren die positiven Aspekte. "Love turns her on" hätte selbst auf "Drift code" ein Highlight dargestellt, schwillt vom einsamen Klagelied zum mächtigen Opus mit gespenstischer Orgel, Streichern und wütender Stromgitarre an. Im letzten Drittel gießt sich "Clockdust" nochmal einen ordentlichen Schwung Ambitionssuppe ein. Da flaniert "Kinky living" mit bunter Bläsersektion und Ukulele auf den Straßen des 1940er-Londons, während sich der Siebenminüter "Night in the evening" mit ausgedehntem, psychedelisch-dubbigem Jam ins All schießt. Ganz zum Schluss teilt "Man with a remedy" gegen falsche Versprechungen aus und macht richtig Dampf – eine eigene Punk-Definition fehlte in Webbs Kosmos ja noch. Auch mit einigen Songs auf B-Seiten-Niveau bleibt das Faszinierende an seiner Musik, wie sie sich trotz schweren Nostalgie-Schleiers mit vorwärtsgewandter Individualität jeder zeitlichen Einordnung entzieht. Eingerostet ist dieser Mann noch lange nicht.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Love turns her on
  • Man with a remedy

Tracklist

  1. Carousel days
  2. Gold & tinsel
  3. Jackie's room
  4. Love turns her on
  5. Rubicon song
  6. Old flamingo
  7. Kinky living
  8. Night in the evening
  9. Man with a remedy
Gesamtspielzeit: 39:46 min

Im Forum kommentieren

Armin

2020-03-10 21:32:09- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2020-02-03 19:06:31- Newsbeitrag

NEUES ALBUM 'CLOCKDUST' ERSCHEINT AM 20.03.2020 VIA DOMINO/GOODTOGO
VIDEO ZUM ERSTEN SONG 'JACKIE’S ROOM' HIER ANSEHEN



2002 brachte Paul Webb alias Rustin Man zusammen mit Portishead-Sängerin Beth Gibbons das inzwischen legendäre Album Out of Season heraus. Letztes Jahr erschien dann nach 17 Jahren des Wartens sein Solo-Album Drift Code. Einige mögen sich daher über die Ankündigung des neuen Albums Clockdust wundern. Die Wurzeln dieses Albums aber finden sich in den ausgedehnten Aufnahme-Sessions zu Drift Code.

Paul Webb erklärt: "Schon früh wurde mir klar, dass ich Material im Wert von zwei Alben hatte. Die ersten Stücke, die ich schrieb, basierten auf der E-Gitarre, mit langen Arrangements, die sich in Schichten zu etwas klanglich recht Dichtem aufbauten. Diese landeten zum Großteil auf Drift Code. Als Reaktion darauf schrieb ich eine Reihe von Liedern, die in ihrer Struktur straffer waren, aber mehr Raumgefühl hatten. Sie machen den Großteil von Clockdust aus."


Clockdust stützt sich auf ein Arsenal von Instrumenten, von denen einige, wie das Euphonium, Kokoriko oder auch Okónkolo nur wenigen überhaupt bekannt sind. Jacques Brel, Jet Harris und Kurt Weill dienten als Kulisse für die Aufnahmen. Alte Filme waren eine weitere wichtige Inspiration bei der Arbeit an Clockdust.

Die Lead-Single Jackie's Room ist beeinflusst von dem Film Diva (1981). In ihm geht es um eine dysfunktionale und doch romantische Beziehung, in der die Protagonistin glaubt nicht zu altern, solange sie begehrt wird. Jackie's Room vertont die spezielle Anmut dieser alternden Verführerin.


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