Jonathan Wilson - Dixie blur

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 06.03.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Wurzelbehandlung

Im Kontext der bisherigen Alben von Jonathan Wilson wirkt "Dixie blur", seine vierte Platte, ja schon fast wie eine EP: 14 Songs in, erstmals, unter einer Stunde Spielzeit hat der Künstler hier versammelt. Da reißt sich jemand offensichtlich mächtig am Riemen. Sonst machte es der kalifornische Singer/Songwriter ja nicht unter 78 Minuten. Doch nicht nur Umfang und Ausmaß der Stücke haben sich verändert, auch stilistisch richtet sich Wilson auf "Dixie blur" sachte neu aus. Der in Spurenelementen ohnehin schon immer präsente Country steht nun mehr im Fokus. "Dixie blur" ist also genau das Album, das man prima beim Sonnenuntergang auf der Veranda hören könnte, hätte man nur eine Veranda. Es gibt jedoch auch Konstanten: Wilsons Stimme, die wie dickflüssiger Karamell auf den Kompositionen liegt, die Sehnsucht nach Weite, die durch sämtliche Songs weht, die Wuchtigkeit, mit der die Stücke allesamt arrangiert sind. Seine neue Platte macht in dieser Hinsicht keine halben Sachen.

Der schwermütige Opener "Just for love" schält sich gleich zu Beginn aus seinem bluesig-jazzigem Kokon, ein Barpiano deutet Dramatik an, einsame Bläser ziehen am Horizont Kreise. Wilsons Musik ist von einer musikhistorischen Informiertheit durchwirkt, die sich in solchen Nummern offenbart: Die Referenzkästen müssten streng genommen bersten, denn einmal mehr versammelt der Singer/Songwriter ein Potpurri an Einflüssen, angefangen bei den unausweichlichen Klassikern, The Beatles, Elton John, vielleicht sogar Pink Floyd, bis hin zu aktuellen Größen wie Father John Misty und Wilco. Und doch wirken seine Nummern zu keinem Zeitpunkt wie willkürlich zusammengeschustertes Flickwerk. Auch "Dixie blur" lebt von seiner Kohärenz. Was im Vergleich zum phänomenalen Vorgänger "Rare birds" hier vielleicht ein wenig abgeht, ist die süße Portion Wahnsinn, die sich durch Songs wie "Loving you" oder "Over the midnight" zog. Das Gros der neuen Stücke bleibt etwas mehr den Konventionen verpflichtet.

"In Heaven making love" fidelt sich tatsächlich in den siebten Country-Himmel, wirkt dabei aber fast schon wie eine Parodie. Auf der anderen Seite findet Wilson im melancholisch gefärbten "New home" die richtige Balance zwischen traditionellem Songwriting und seinem charakteristischen Sounddesign. Auch "So alive" malt ein farbenfrohes Bild von Sonne und Prärie und vor allem von endloser Weite, nur hier und dort steht mal eine einsame Kaktee und grüßt freundlich die vorbeiwehenden Steppenläufer. Man muss schon ein Herz für diese Art amerikanischer Liedkunst haben, um "Dixie blur" vollumfänglich würdigen zu können. Hier gibt es keine Beats oder Breaks: Alles ist geerdet. "Platform" zum Beispiel erinnert in seiner zarten Feingliedrigkeit an die eingängigsten Stücke Harry Nilssons. Und so kommt man irgendwann schon zu dem Schluss, dass diese Platte vor allem auch eine Ehrerbietung ist. Eine Verneigung vor der Vergangenheit. Ein musikalischer Baum, der sich seiner Wurzeln bewusst ist, während er stolz im Sonnenlicht steht und fleißig photosynthetisiert. Losgelöst von jedem Zeitgefühl.

(Kevin Holtmann)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Just for love
  • 69 Corvette
  • New home

Tracklist

  1. Just for love
  2. 69 Corvette
  3. New home
  4. So alive
  5. In Heaven making love
  6. Oh girl
  7. Pirate
  8. Enemies
  9. Fun for the masses
  10. Platform
  11. Riding the blinds
  12. El camino real
  13. Golden apples
  14. Korean tea
Gesamtspielzeit: 55:04 min

Im Forum kommentieren

kingbritt

2020-03-10 19:31:34


"The Gunman and Other Stories" von Prefab Sprout war auch sehr schön . . .

kingbritt

2020-03-10 19:25:35


"Oh Girl" ist klasse!

kingbritt

2020-03-10 19:24:02


. . . sehr sehr schön ruhig. Der entschleunigte Countryman und Trapper Jonathan reitet in den Feierabend. Vom Hippie zum Cowboy. Ich sehe sie alle in einer Blockhütte dazu tanzen. Ist schon ganz schön Dicke aufgetragen.

dreckskerl

2020-03-08 18:05:16

Einige absolut wunderbare Songs auf dem Album, braucht noch etwas...für meinen Geschmack eindeutig zu viel pedal steel im Arrangement, es gibt aber auch einige absolut wundervolle Passagen.

Dass Herr Wilson fast das Gegenteil im Bereich Sound und Arrangement zum letzten Album wählt, finde ich sehr gut.
Ich weiß viele fanden Rare Birds klasse, ich nicht.
Das hier ist besser, Songtechnisch, zum Teil wundervoll zärtlichePassagen, nah am Kitsch aber eben meisterhaft nah.

kingbritt

2020-03-03 16:27:40


ja ok, aus gegebenen Anlaß höre ich sie alle noch mal durch.

Zur Einstimmung schon mal ein Klassiker:

Jonathan Wilson - US Social Club Session (Live on KEXP)
https://www.youtube.com/watch?v=1Ghow9gOYec

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum