Tarek K.I.Z. - Golem

Eklat / Warner
VÖ: 31.01.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Gute Nachrichten

Es war schon immer klar, dass K.I.Z. vor allem von Ironie und Sarkasmus leben. Doch die Maskerade funktionierte meist so nahtlos, dass man die "guten Typen" hinter der Show nie wirklich kennenlernte, sondern immer nur vermuten konnte, dass sie da sind. Wer erwartet, dass Tarek Ebéné a.k.a. Tarek K.I.Z. auf seinem Solo-Debüt nun in der Manier seiner Crew durch die Landen berserkert und keine noch so gut versteckte Mutter ungefickt zurücklässt, der irrt. "Golem" ist nachdenklich, schwermütig, melancholisch, manchmal auch wütend, aber dann auch schnell wieder müde vom Ärger, dennoch niemals kraftlos. Der Titel des Albums geht dabei auf ein mystisches Wesen der jüdischen Literatur zurück: aus Lehm geschaffen, stumm aber stark, ein Halbmensch, ein Monster. Auf dem Artwork findet unter dem Titel ein Kinderporträt des Rappers Platz. Was ist nur geschehen, was wurde aus diesem kleinen Jungen mit dem skeptischen Blick, das angesprochene Ungeheuer etwa?

Im Opener legt der Rapper bereits die Marschroute für den Rest der Platte fest: "Mein Kollege fragt mich: 'Tarek, na, wie geht's?' / Jede Menge Rechnungen und mein Vater hat Krebs / Doch ich sage: 'Alles okay'", beschreibt der gebürtige Freiburger seine Situation. Er fühlt sich betäubt, sucht zwischen verschwommenen Streichern, selten aufloderndem Beat und sediertem Piano nach einem Ausweg. Nur ein einziger Song könnte sein "Ticket hier raus" sein, lautet seine Hoffnung. Der zweite Titel "Bang bang" hat eine Nase Dancehall genommen und berichtet von einem Anschlag auf den Kanzler. Tarek gerät unschuldig in den Fokus der Polizei, schließlich wird er verrückt und landet er in der Psychiatrie. Dabei beschreibt er nicht weniger als eine reale Angst nicht-biodeutsch-aussehender Bürger und packt zur Bewältigung den Fatalismus aus: "Erhebt das Glas ein letztes Mal / Heute werd' ich abgeknallt vom SEK."

In "Nach wie vor" schildert Tarek die Angst vorm Floppen seines Albums und zieht sich in Münchhausen-Manier selbst wieder aus dem Schlamassel, indem er sein Befinden – vielleicht ein My überkompensierend – von den Umständen abzukoppeln versucht: "Ob Millionär oder obdachlos / Ich bin nach wie vor der Boss." Auch in "Nubischer Prinz" widmet der Künstler sich ganz Rapper-like der Selbstbeweihräucherung und schlüpft dazu in eine Rolle, die er auch in den K.I.Z.-Tracks oft annahm. Mit pushenden Synthies, Vocoder-Samples, Funkgitarren in der Hook und Miss Platnum als Unterstützung verhängt er eine "Atemluftsteuer", Nico K.I.Z. spricht die ihn preisende Bridge. Das macht schon Spaß, weil es so gaga ist und weil die Musik jeden noch so müden Hintern aus dem Sessel zieht. In "Für immer K.I.Z." komplettiert Maxim die Crew. Gemeinsam lackieren sie ihr eigenes Denkmal frisch: "Begrabt mich mit meiner Trophy Wife / Mit Champagner und Kobe-Fleisch / Schreibt mir auf den Totenschein / K.I.Z. für immer."

"Crew love is true love", sagt man ja, aber hin und wieder sucht Tarek doch einen weiblichen Gegenpart, der wohl am besten "Kaputt wie ich" sein sollte. Der Rapper zeigt hier, wie gut er außerdem singen kann, wenn er von einem One-Night-Stand auf Drogen erzählt und mit seinen Zeilen furchtbar Tragisches offenlegt: "Neben mir das Mädchen ohne Namen / Ihr Körper von Mercedes, die Seele von Versace / Das Mondlicht fällt auf ihre Narben / Sie will es nicht erzählen, also werd' ich sie nicht fragen." Schnellen Sex sucht er auch in "Weißer Drache": "Ich bin seit 72 Stunden auf mei'm Drogentrip / Bin ins Bordell und hab kein' hochgekriegt", singt Tarek dem Koks ein fasziniert-angewidertes Ständchen. Doch auch nüchtern läuft's zwischenmenschlich eher unrund: In "Liebe" berichtet er abermals singend von einer "Fernbeziehung auf 50 Quadratmetern", die sich als besonders toxisch herausstellt: "Wir zwei können erst etwas fühlen, wenn / Alles um uns beide niederbrennt." Ähnlich verhält es sich im von akustischen Gitarren und soften Piano-Klängen ummalten "Freak".

Das Gegenteil von Liebe findet in "Letzte Chance" statt: Tarek beschreibt den Missbrauch seiner Mutter durch seinen Stiefvater. "Bald bin ich groß genug und dann halt ich ihn auf", schildert er kindliche Racheträume. Es läuft einem eiskalt den Rücken runter, wenn man dem Rapper dabei zuhört, wie er nach Auswegen aus dieser ausweglosen Situation sucht, wie er in seiner kindlichen Abhängigkeit immer mehr verzweifelt. Er verrät hier zwar, dass er seine Rachegelüste niemals umsetze, spinnt sie in "Wenn Du stirbst" jedoch weiter. "Ruf den Friedhof an / Die sollen Dir was reservieren / Denn ich bin auf dem Weg zu Dir", keift der Rapper zwischen Piano- und Gitarren-Samples auf trappigem Untergrund dem Peiniger seiner Mutter entgegen. "Ich lebe erst, wenn Du stirbst", lautet die traumatisierte Quintessenz des Tracks. Während Tarek seinem Stiefvater den Tod an den Hals wünscht, trauert er an anderer Stelle um seinen echten Papa: Dass sein Vater an Krebs erkrankte, erwähnte er bereits kurz im Opener, im Closer kann er ihn nur noch vermissen: "Ich wünschte Du wärst hier an diesem Frühlingstag", singt er, denkt daran, wie sein Papa trotz schwerer Krankheit ein K.I.Z.-Konzert in der Wuhlheide besuchte und beiden klar wurde, dass dies das letzte Mal gewesen sein würde.

Tarek erlaubt auf "Golem" einen Blick hinter die Fassade, offenbart sein Gefühlsleben und beschreibt so anschaulich wie nachempfindbar das Hoch und Runter in seinem Leben. Nicht nur der Verlust ihrer Väter, sondern auch die tiefgängige Betrachtung und Reflexion ihres jeweiligen Daseins vereint Tarek auf "Golem" mit Tua auf dem ebenso starken "Tua" von 2019. Nicht unbedingt zwei Künstler, die man sonst in eine Reihe gestellt hätte. Musikalisch auf einem ähnlichen starken und divers aufgestellten Level, ist es bei Tarek vor allem sein Humor, der die Platte so groß macht. Manchmal ist dieser so schwarz, dass er schon wieder weiß wird. So schlägt er echtem Zynismus ein Schnippchen und bewahrt die Hoffnung weiterhin. Ist Tarek ein Monster? Manchmal wäre er wohl gern eines, weil man dem Ding ohne Gefühle eine gottgegebene Resilienz unterstellt. In Wirklichkeit aber ist der Berliner noch immer der Junge auf dem Artwork, der viel Scheiße erlebt hat und sich deswegen manchmal versteckt. Am Ende wird er das Monster besiegen, daran darf man nach "Golem" fest glauben. Und das ist doch eine gute Nachricht.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Bang bang
  • Wenn Du stirbst
  • Nubischer Prinz (feat. Miss Platnum)
  • Weißer Drache

Tracklist

  1. Ticket hier raus
  2. Bang bang
  3. Nach wie vor
  4. Kaputt wie ich
  5. Letzte Chance
  6. Wenn Du stirbst
  7. Liebe
  8. K.I.Z. für immer (feat. Nico K.I.Z. & Maxim K.I.Z.)
  9. Nubischer Prinz (feat. Miss Platnum)
  10. Weißer Drache
  11. Freak
  12. Frühlingstag
Gesamtspielzeit: 42:10 min

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Schwarznick

2020-02-17 19:26:48

yo, ganz ganz schrecklich.

Cayit

2020-02-17 16:09:03

8/10
Ach du scheisse !!! Eher 3/10

Mister X

2020-02-09 01:09:19

Mir fällt auf dass ich dieses Jahr noch kein Album aus 2020 gehört habe. Run Away With Me und Hörspiele halten mich momentan echt gefangen. Golem wird dann aber wohl mein Erstes.

Hallohallo

2020-02-08 17:34:30

Ein Album, das dem deutschen Hip hop ganz neue Facetten der Peinlichkeit hinzufügt, irgendwie auf ne Art schon gut. Andererseits gibt's ja auch schon die schreckliche Antilopen Gang oder Kaas.... Hm.

Eurodance Commando

2020-02-08 12:02:44

Müllplatte, braucht keiner. Trettmann für Arme und der nutzt sich auch schon langsam ab.

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