Torres - Silver tongue

Merge / Cargo
VÖ: 31.01.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

"Fuck the music industry"

... schrieb sie da, die gute Mackenzie Scott alias Torres. Fast zwei Jahre ist es nun her, seit die Sängerin aus Florida ihre Fans via Twitter darüber unterrichtete, dass ihr bisheriges Label 4AD sie wegen der mauen Verkaufszahlen von "Three futures" und trotz eines bestehenden Drei-Alben-Deals vor die Tür gesetzt habe. Garniert wurde das mit den gar nicht blumig klingenden Worten aus der Überschrift, die wir hier einfach mal als Empfehlung statt als wirkliche Beleidigung ansehen wollen. Nachdem schon Grimes sich nur wenige Wochen vorher ähnlich drastisch zu 4AD geäußert hatte, blieb außer einem Stirnrunzeln nur eines übrig: Abwarten und Tee trinken. Hat sich gelohnt! Torres ist zurück und großartig.

Die 29-Jährige beschreibt "Silver tongue", ihr nunmehr viertes Album insgesamt und das Debüt für ihre neue Heimat bei Merge, selbst als "Gregorian country record", wir hingegen ganz plump als "geilen Scheiß", wenn wir doch eh schon so offen im verbalen Umgang miteinander sind. Nun könnte man etwas von Freiheit erzählen oder einer Trotz-Reaktion und reininterpretieren, dass Torres die Ketten der Industrie endlich abschütteln und ihr eigenes Ding machen durfte. Und vielleicht stimmt das auch ein bisschen. Fakt ist, dass die junge Frau vom ersten Album bis jetzt ohnehin eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht hat und ihr Talent stets weiter auszubauen wusste. Was also, wenn Torres gar nicht anders kann als gut zu sein? Gibt sicher Schlimmeres.

Weg also vom Drama, hin zur Schönheit, die sich hinter den neun neuen Songs verbirgt. Torres wagt auf "Silver tongue" den Spagat zwischen Alt und Neu und vereint ihr frühes Singer-Songwritertum des selbstbetitelten Erstlings von 2013 mit den leichten Indie-Rock-Anleihen, die es auf "Sprinter" zu hören gab, und den feinen Electronica-Spielereien von "Three futures". Herausgekommen ist ein beeindruckend erwachsenes und nach all den Stolpersteinen fabelhaft auf beiden Beinen stehendes Werk, das sich hinter keinen Obszönitäten Richtung Vergangenheit zu verstecken braucht. Der Opener "Good scare" legt in sanfter Neunzigerjahre-College-Rock den idealen Grundstein für seine zwischen Zorn und Zärtlichkeit wandelnden Nachfolger, während es mit "Dressing America" nach drei Stücken bereits nicht nur musikalisch eines der ersten großen Song-Highlights des noch jungen Jahres gibt: "I tend to sleep with my boots on / Should I need to gallop over dark waters."

An anderer Stelle weiß Torres etwas härter anzupacken: "Good grief" zeigt seine Haare auf den Zähnen und versteckt gekonnt das Messer, das im eigenen Rücken steckt. Gleichzeitig gibt es eine der bisher besten stimmlichen Leistungen der Sängerin zu hören, die sich hier insbesondere in der zweiten Hälfte die Seele aus dem Leib fleht. Ebenso eindringlich, wenngleich deutlich zurückhaltender in seiner Darbietung, gibt sich das verletzliche "Gracious day": "Honey I'm, no surprise / Gonna love you all my life / I don't want you going home anymore / I want you coming home." Es ist jene Nahbarkeit, die "Silver tongue" über weite Strecken so tief unter die Haut gehen lässt: Wenn sich der Titeltrack mit Kate Bush und St. Vincent flirtend und einem dichten Klangteppich ausgestattet bis ins Innere des Herzens durchsäuselt, ist das schon großes Tennis. Ebenso der kratzig-krächzende Pop-Charme eines "Two of everything", das man am liebsten auch glatt im Doppelpack bestellen würde. Am Ende bewahrheitet sich dann doch, was Oma schon wusste: Manchmal muss man einen Schritt zurückfallen, um zwei Schritte vorwärts zu kommen. "Fuck the music industry"? Wenn's denn hilft.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Good scare
  • Dressing America
  • Good grief

Tracklist

  1. Good scare
  2. Last forest
  3. Dressing America
  4. Records of your tenderness
  5. Two of everything
  6. Good grief
  7. A few blue flowers
  8. Gracious day
  9. Silver tongue
Gesamtspielzeit: 34:40 min

Im Forum kommentieren

fakeboy

2020-01-31 15:00:48

Das Cover ist so derart hässlich, dass ich mich gar nicht mit der Musik beschäftigen mag. Warum macht man sowas?

Cayit

2020-01-31 14:58:27

Starkes Album !

AndreasM

2020-01-27 08:45:22

Ohne bisher je einen Torres-Song gehört zu haben: Das Cover erinnert doch stark an die Cover früherer Joni-Mitchell-Alben. Zufall oder nicht?

Randwer

2020-01-26 11:12:25

Ein neues Torres-Album ist selbstverständlich für mich ein Pflichtkauf. :D

Armin

2020-01-19 20:47:44- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

"Album der Woche"!

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