Kinderzimmer Productions - Todesverachtung to go
Grönland / Rough TradeVÖ: 17.01.2020
Unzeitgemäße Betrachtungen
Irgendjemand muss doch zu viel Zeit gehabt haben, anders ist "Todesverachtung to go", das erste Kinderzimmer-Productions-Album nach gut zehn Jahren Pause kaum zu erklären. Die Rückkehr der Ulmer wird in der heutigen Rapszene keine großen Wellen schlagen, was eine gute Sache ist. Kommt eh nur Schaum bei rum. Dem Duo geht es ganz sicher nicht ums Geld, sondern um den Spaß am gemeinsamen Musizieren. Und den hört man der Platte an. Quasi Modos Beats klingen wie früher: jazzig, vertrackt und gerne mal sperrig. Kann man sich dran reiben, soll man auch. Reibung erzeugt bekanntlich Wärme. Es ist der Band hoch anzurechnen, sich nicht einmal im Ansatz an gegenwärtige Trends anzubiedern. Damit umgehen sie geschickt jeden "Hello, fellow kids"-Moment.
Alte Fans des Duos werden beispielsweise mit dem fies pumpenden "Boogie down" großen Spaß haben. Interessant ist, wie zeitlos der Kinderzimmer-Sound letztendlich klingt. Was schon vor 10 Jahren neben der Spur war, findet auch im Jahr 2019 im Abseits statt. Großartig ist beispielsweise das Sample-Feuerwerk in "Lecker bleiben", in dessen Verlauf unter anderem Bruce & Bongo zu einem unerwarteten Gastauftritt kommen. Merkwürdig, angenehm, geil. Überhaupt geht es gerne abgedreht zu. Nachzuhören im Titelsong, der einen stolpernden Rhythmus mit jeder Menge dissonanter Soundschnipsel kombiniert. Nicht für jeden, aber die meisten Leute sind eh unwichtig. "Vielleicht ist alles nach der Geburt eine posttraumatische Belastungsstörung", verkündet Textor folgerichtig in "Come on, sign up". In Zeiten des Selbstoptimierungswahns eine gesunde Lebenseinstellung.
Seine Raps haben sich nicht groß verändert. Noch immer formt er Reimketten, die es in sich haben. Gerne lässt er dabei Konventionen hinter sich und assoziiert frei vor sich hin. Wenn er etwa in "Watch me" irgendwo zwischen Gentri- und Glorifizierung herumirrlichtert, verlangt er dem Hörer einiges ab. Rap mag vielleicht kein Abitur brauchen, Kinderzimmer Productions benötigen aber einen wachen Verstand. Das ist bisweilen etwas anstrengend, aber jederzeit unterhaltsam. Und verdammt scharfsinnig. Kostprobe aus "I don't mind": "Manche sagen, es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedengestelltes Schwein / Pork chop und Pornographie / Befriedigung und Nervenkitzel / Ficken und ein Wiener Schnitzel." Grandios.
Den einzigen Stolperstein stellt die Vorabsingle "Es kommt in Wellen" dar. Es gelingt trotz prominenter Unterstützung durch Fettes Brot, Flo Mega und Fantasma Goria nicht, dem cleveren Beat einen spannenden Text zu spendieren. Dies ist jedoch nur ein kleinerer Störfaktor auf einem ansonsten rundum gelungenen Album. Herausragend ist etwa "Oh yeah", in welchem Textor zynische Zeilen zum Stand der Dinge preisgibt und im Vorbeigehen aus Österreich "O-ester-re-ich" macht. Panne? Wahrscheinlich, aber derlei Kategorisierungen sind für Leute, die sich etwas auf ihren Geschmack einbilden. Und Kinderzimmer Productions? Sind wieder da, wo oben ist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Boogie down
- I don't mind
- Todesverachtung to go
- Oh yeah
Tracklist
- Baeng
- Attacke
- Lecker bleiben
- Boogie down
- Watch me
- I don't mind
- Es kommt in Wellen (feat. Fettes Brot, Flo Mega & Fantasma Goria)
- O-Oh double trouble
- Todesverachtung to go
- Oh yeah
- Come on, sign up
Im Forum kommentieren
Watchful_Eye
2020-01-28 19:10:12
1/5 bei laut.de
Und ich verstehe auch, wie man darauf kommt. Das Album wirkt irgendwie schludrig konzipiert, vielleicht noch mehr als andere Releases der Band, und ist entsprechend angreifbar.
Aber: Mir machts Spaß. Mit seinen komprimierten Beats und seinen psychedelisch anmutenden sinnlos verwinkelten Zeilen entwickelt es eine enorme Dichte.
Watchful_Eye
2020-01-13 10:39:07
Wieso Vergessene Perle? VO ist 17.01.2020
Ich werde mir das auf jeden Fall mal anhören. :)
Armin
2020-01-12 22:50:51- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Armin
2019-11-01 19:19:12- Newsbeitrag
Liebe Musiclovers,
bevor sich die Woche ins Wochenende neigt, und Sie mit ihr, gibt es jetzt und hier nach der ersten erfolgreich gerittenen Welle der legendären Kinderzimmer Productions eine zweite Single aus dem kommenden Album Todesverachtung To Go. Und einem obendrauf: Boogie Down heißt die Antwort! Was war die Frage nochmal?
Jedenfalls: Ein Brett, zusammenlaminiert aus First Generation Drumcomputerbeat, Washington Go Go Percussion, Sägezahn-Synthbass und vocalen Assoziationsflows. Es leuchtet im Dunkeln, wurde ja auch Zeit.
Armin
2019-09-17 13:41:29- Newsbeitrag
Kinderzimmer Productions - “Todesverachtung To Go”
VÖ: 17.01.2020
(Grönland/RTD)
Vorabstück "Es kommt in Wellen" (Feat. Fettes Brot, Flo Mega und Fantasma Goria) hier sehen und teilen
Das Sample läuft in die falsche Richtung, der Drum-Loop geht gegen sich an, das Klavier tritt auf der Stelle, Textor betritt den Raum mit einer Kopfnicker-Line. Kann das funktionieren, hier, heute? Bevor man sich diesen Fragen ernsthaft widmen kann, ist man schon wieder ganz woanders, beim menschlichen Körper, dem Ausrufen einer Unmittelbarkeit, und all das fühlt sich noch irritierender an, weil der Beat darunter so artig in Schleife schlingert, sich also alles und nichts geändert hat, nach zehn Sekunden im Song, nach zehn Jahren in der Wirklichkeit.
Um diesen Dreh spielten Kinderzimmer Productions ihre letzten Konzerte, (ziemlich) unplugged in Dortmund und orchestriert in Wien, eine experimentelle, aber versöhnliche Geste zum Abschied nach rund zwanzig Jahren HipHop, verbracht immer leicht neben der Spur. Von den Anfängen als Trio unter dem bereits sehr kinderzimmertauglichen Namen „Die 3 Rüben“ über die Zeit als Duo, dessen Name sich der Kompromisslosigkeit der Crew Boogie Down Productions verpflichtet, sich im gleichen Atemzug aber auch der Differenz zwischen Ulm und Bronx bewusst ist, bis hin zu Erfolgen in Feuilletons und auf Festivalbühnen. Sechs Studioalben lang biss sich die Zähne aus, wer die Musik einordnen wollte – für die Charts war der Sound zu rumpelig, die Texte pöbelten zu sehr, ohne von der Straße zu kommen, die Songs drifteten in Jazz-Gefilde ab, ohne HipHop zu verlassen. Als deutschsprachiger Rap dann zum zweiten Mal nach dem Boom und der anschließenden Flaute um die Jahrtausendwende eine kleine Pause wollte, willigten Henrik von Holtum (alias Textor) und Sascha Klammt (alias Quasi Modo) ein. Die Ära Aggro ging zu Ende und das Kinderzimmer stellte die Produktion ein.
Wenn dieser Tage mit Todesverachtung To Go also doch noch ein siebtes Album erscheint, darf man durchaus eine kurze Unsicherheit spüren ob der vergangenen Zeit, doch wie vorweggenommen: Die Musik löst jeden Zweifel in kürzester Zeit auf, gerade weil Kinderzimmer Productions so früh einen eigenständigen Ansatz entwickelt haben, den sie auch 2019 problemlos verfolgen können. Gerade nach manchem Comeback, das zwischen Zeitgeist und Tradition eher ratlos wirkte, ist diese Gewissheit eine Wohltat, ohne dass die Platte langweilt. Im Gegenteil, Teil des Plans ist es ja, planlos schier endlose Räume zu bauen, in denen sich Bassläufe verirren können, durch die Orgeln spuken, Stimmen abheben und Drums wie Heuballen rollen. Nur hier hat Textor genügend Platz, sich durch ein Niemandsland zwischen Gymnasiastensprech und Battle-Rap zu assoziieren. Zur üblichen Rückmelderhetorik gibt es keinen Anlass, an solchem „Galavorgehen“ besteht kein Bedarf, es braucht auch keine persönlichen Reflektionen oder Blicke auf das bereits gelebte Leben, schließlich handelt es sich nicht um den „Versuch, eine Midlife-Crisis zu bewältigen.“
Niemand will es hier nochmal wissen, Textor und Quasi Modo wissen schon Bescheid. An Weihnachten vor zwei Jahren haben sich die beiden als Freunde zusammengesetzt, einfach ein paar Ideen ausgetauscht, sich in die Vorschläge des anderen eingemischt, und schon war das Team wieder eingespielt. Eine Aufwärmphase mit Livekonzerten und erstmal Austesten, ob es überhaupt noch einen Markt für diese Band gibt, war nicht vonnöten. Überhaupt, den „flavour of the month“ galt es zu vermeiden, so Textor, stattdessen eine „Kraft in HipHop, die viele nicht gegriffen kriegen“ zu kanalisieren. Es geht um Mehrdimensionalität in Text und Musik, also nicht zwingend, was man sagt, sondern „die Art, in der man Scheiße labert“. Das erinnert, um diese Assoziation nochmal zu bemühen, freilich schon an Jazz, gerade wenn so eine schöne Film-Noir-Atmosphäre aufkommt wie in Watch Me. Am Ende ist das hier aber Rap, wie es immer schon Rap war, mit einer Attitüde, die Textor „Bravado“ nennt – also Aufschneiderei, „mit einem Taschenmesser gegen die Armee der Finsternis antreten“. Obwohl das als Bild fast schon wieder zu konkret ist für eine Gruppe, die am Besten im Vagen, in der Abstraktion funktioniert – nachzuhören auf Todesverachtung To Go.
Sebastian Berlich
Die Pressemitteilung landet hier mit Verspätung, ich war ein paar Tage offline.
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Referenzen
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