Smile And Burn - Morgen anders

Oddyssey / Rough Trade
VÖ: 10.01.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Antimanifest

Vorneweg: Smile And Burn singen jetzt auf Deutsch. Wer also will, kann hier direkt zum Einstieg seinen Sellout-Vorwurf oder den Hinweis loswerden, die Band wolle es doch nur den Donots gleichtun. Und im Anschluss für immer schweigen. Weil Smile And Burn mit ihrem launigen, ungeschminkten Punkrock sogar auf den ersten Blick eine Band sind, die kaum weiter entfernt von bloßem Kalkül, Promowahnsinn und Karriereplänen unterwegs sein könnte. Weil Smile And Burn auch auf Englisch Album für Album besser und ein Stück weit größer wurden. Und weil einiges passiert ist: Man hat mit Sasche Nicke und Christoph Brauer zwei Bandmitglieder und Songwriter verloren und zwischenzeitlich vielleicht sogar kurz mit dem Gedanken gespielt, die Sache sein zu lassen.

Hat man aber nicht. Ganz im Gegenteil: Die Band hat sich beim Sprachwechsel so manche Hilfe geholt und letztendlich – wie passend – im Heavy Kranich Studio der Donots zehn Songs aufgenommen, die in Anbetracht ihrer Entstehungsgeschichte Erstaunliches vollbringen. "Morgen anders" bricht nämlich trotz aller Veränderung nicht spürbar mit dem bisherigen Schaffen und braucht genau drei Minuten und zwölf Sekunden, um die etwaige anfängliche Skepsis eindrücklich beiseite zu wischen. Dann nämlich ist die vor Selbstbewusstsein strotzende, beeindruckend konsequent durchgeprügelte Backpfeifen-Armada "Zubetoniert" mitsamt einiger Verachtung für die Promomaschinerie und den Eröffnungsworten "Deutsche Texte find' ich scheiße!" über einen gewalzt. Da geht es ordentlich zur Sache, da hat jemand richtig Bock. Man kann nur den Hut ziehen und sagen: Macht mal so weiter.

Und die Drei lassen sich nicht lange bitten. Das luftige "Mit allem falsch" zeigt dem Selbstoptimierungszeitgeist mitsamt seinen Du-kannst-alles-schaffen-wenn-Du-nur-daran-glaubst-Apologeten nicht stumpf den Mittelfinger, sondern formuliert in wundervoller Schlichtheit eine Ode an das Scheitern und die Einsicht, einfach ans Ende einer Sackgasse gelangt zu sein: "Jeder stirbt allein / Mit dem Fuß am Gaspedal / Und ich gesteh' mir ein / Ich lag mit allem falsch." Ähnlich tickt die verkaterte Stolperballade "Mit den schönsten Bildern", die den Kampf und die Unzufriedenheit mit sich selbst ins Visier nimmt und konstatiert: "Mit den schönsten Bildern / Von Umschwung und Neubeginn / Ziehen wir Kreise / Endlos um uns selbst herum." Überhaupt treiben Geschichten von sozialen Realitäten und Irrwegen, vom eigenen Stolpern und Fallen und deren fehlende Akzeptanz unter den "Das Café am Rande der Welt"-Lesern "Morgen anders" um. Ohne Larmoyanzmarathon, exaltierte Alltagsblödelei oder überflüssige Schnörkel, wohlverstanden.

Hier kann man sich gleichsam hemmungslos scheiße und tröstlich abgeholt fühlen. Und man kann mit dieser Platte trotz emotionaler Schwere gewaltigen Spaß haben. Weil "Nicht da" voller Melancholie Abschied nimmt und sich obendrein zum illustren Kreis der gelungenen Punkrock-Balladen zählen darf. Weil die Band die wilde Melodierutsche zwischendurch auch mal für den brachialen Tobsuchtanfall "Weinschorle" unterbricht und weil sie ganz nebenbei mit "Leben lang" einen waschechten Hit inklusive Refrain in Überlebensgröße spendiert. Dabei meidet das Trio textlich die Kitschgrenze, und sein Punkrock gibt sich bei genauerem Hinsehen ungefähr so ausrechenbar wie ein aufgedrehtes Eichhörnchen. Und ganz am Schluss packt die Band sogar die große Geste aus. Da wird nämlich mit "Fühlt sich das nach Ende an" ein gewaltiger Turm gebaut, prügelt Drummer Fabian Wollert Stockwerk um Stockwerk auf ein atmosphärisches Fundament, bis sich nach all dem Scheitern und Hadern alle Spannung entlädt und die Chose rausgefeiert wird. Ein Finale, zu dem man kleine Clubs abreißen, im Stadion gen Feuerwerk singen, hemmungslos losheulen, sich sofort verlieben will, und das am besten alles zugleich. "Der letzte, der steht, bin ich". Was für ein Strich unter zehn Songs, die en passant zeigen, zu was Punkrock noch immer in der Lage ist. Was für ein beachtliches Album.

(Martin Smeets)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Nicht da
  • Mit allem falsch
  • Leben lang
  • Fühlt sich das nach Ende an

Tracklist

  1. Zubetoniert
  2. Zünde mich an
  3. Nicht da
  4. Mit allem falsch
  5. Leben lang
  6. Morgen anders
  7. Kalendersprüche
  8. Die schönsten Bilder
  9. Weinschorle
  10. Fühlt sich das nach Ende an
Gesamtspielzeit: 33:57 min

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Robert G. Blume

2020-01-16 22:52:31

Ging mir leider ähnlich. "Zubetoniert" ist ein Mördersong, auf Albumlänge klingt das jedoch leider etwas gleichförmig.

kiste

2020-01-11 09:32:48

Oh je, leider konnte mich die Musik auf Albumlänge nicht überzeugen. Es wird nach den ersten 2 Liedern doch recht seicht, die rotzige Attitüde von „Zubetoniert“ geht völlig verloren. Schade.

kiste

2020-01-09 19:56:43

Ich kannte die Band bisher nicht oder ich habe sie einfach ignoriert, keine Ahnung. Jedenfalls gefallen mir die Vorabstücke ausgezeichnet. Ich hörte dann noch in einige alte, englische Lieder rein und diese erzeugten bei mir nicht diese Freude. Nun bin ich auf das ganze Album gespannt und wer weiß, vielleicht freunde ich mich noch mit den alten Veröffentlichungen an.

Robert G. Blume

2020-01-07 09:26:03

Klingt geil. Die brennen live eh alles ab. Deutsch steht ihnen auch gut.

Armin

2020-01-03 21:27:09- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

"Album der Woche"!

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