The Big Moon - Walking like we do

Fiction / Caroline / Universal
VÖ: 10.01.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

England's dancing days are done?

Auf nichts in der Welt kann man sich mehr verlassen. Das vergangene Jahrzehnt der 2010er-Jahre – krass, oder? – war geprägt von einer globalen Untergangsstimmung, die auch in der Musik Einzug hielt. Wer auf sich aufmerksam machen wollte, kam oft nicht ohne berechtigte Gesellschaftskritik aus und bediente nicht selten eine introvertierte, sperrige und gitarrenlose Ästhetik. Doch dann tauchten The Big Moon auf, sicher nicht die einzige, aber eine der versiertesten Fackelhalter-Bands für den hedonistischen, hymnenhaften, simpel drauflos zockenden Indie-Rock der Nuller. Und jetzt? Keine drei Jahre später werden die Verstärker runter gedreht, das Feuer ist erloschen, die Party vorbei. Die vier Londonerinnen kapitulieren vor dem Verfall und sind furchtbar schnell erwachsen geworden. 2020 beginnt mit dem ersten schweren Schlag in die schon so oft gescholtene Magengrube der Erwartungshaltung.

Man könnte argumentieren, dass gerade in England mit dem (immer noch) drohenden Brexit und einem nicht nur optischen Trump-Imitator als Premier eine andere Haltung kaum noch möglich ist. "Dog eat dog", der beste Song dieses Albums, wurde von der Grenfell-Tower-Tragödie inspiriert, deren 72 Brandopfer eine weniger ignorante Politik womöglich hätte verhindern können. "You only felt the fire when you felt the heat", klagt Juliette Jackson, und die Begleitung dieses erhabenen Piano-Stücks ist dem Thema tatsächlich angemessener, als es bratzige Gitarrenriffs wären. Doch "Walking like we do" ist mitnichten ein Downer, die Melancholie seiner Pop-Entwürfe schwingt meistens nur subtil mit. The Big Moon haben schlicht die zwölftägige Aufnahmezeit ihres Debüts "Love in the 4th dimension" hörbar verdoppelt, sie arrangieren aufwändiger, komponieren durchdachter, texten reifer.

Der Sound, den das Quartett gemeinsam mit Produzent Ben Allen (Animal Collective, Gnarls Barkley) austariert hat, irritiert natürlich zunächst: Es gibt keinen Gitarrenkrach mehr, organische wie elektronische Tasteninstrumente dominieren, und das Tempo wurde merklich reduziert. The Big Moon entwickeln sich interessanterweise im Gleichschritt mit ihrer Kumpanin Marika Hackman weiter, die auf "Any human friend" dem Grunge fast zeitgleich den Rücken kehrte. Doch spätestens nach wiederholten Durchgängen erschließt sich offenen Ohren die Grazie von "Walking like we do", seine im Zurücklehnen versteckte Dynamik, seine wunderbar zusammenfließenden Melodien. Am allerbesten macht es der wavige Hit "Your light", der nicht nur in einem dringlichen Synth-Finale kulminiert, sondern sich auch um eine Relativierung des Fatalismus bemüht: "Maybe it's an end 'cause this don't feel like a start / But every generation probably thought they were the last."

Die neue Ausrichtung sorgt für viele launige Überraschungen. Eine einsame Trompete ertönt im Opener "It's easy then", Flöten tänzeln in "Barcelona", und ein mächtiger Bläser-Groove rollt über das späte Highlight "A hundred ways to land". Das intensive Ende von "Don't think" bringt die Gitarren zurück, und auch die balladesken "Waves" und "ADHD" erhalten durch Jacksons tiefe, charismatische Stimme viel Ausdruckskraft. Wenn sich sogar Sleater-Kinney mittlerweile die Kanten abgeschliffen haben, kann man The Big Moon wahrlich keine großen Vorwürfe machen, doch solche wären eh unberechtigt. Sie haben nicht nur das bessere Album als die einstigen Riot-Grrrl-Ikonen gemacht, sie haben mit "Walking like we do" die politische Bissigkeit überhaupt erst für sich entdeckt. The Big Moon machen keine Soundtracks fürs bedenkenlose Feiern mehr, beweisen damit aber nur, dass sich Bewusstsein und tanzbarer, erbaulicher Pop nicht ausschließen müssen. Auf die vier Damen ist doch Verlass – wenn auch anders als gedacht.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Your light
  • Dog eat dog
  • Don't think
  • A hundred ways to land

Tracklist

  1. It's easy then
  2. Your light
  3. Dog eat dog
  4. Why
  5. Don't think
  6. Waves
  7. Holy roller
  8. Take a piece
  9. Barcelona
  10. A hundred ways to land
  11. ADHD
Gesamtspielzeit: 42:15 min

Im Forum kommentieren

jo

2020-01-11 11:48:25

:D
Aber vorher schon bewusst ausgewählt?

cargo

2020-01-11 10:24:09

Ich war am Möbel zusammenbauen und hatte schlichtweg keine Hand frei zum Wechseln der Musik :D

jo

2020-01-11 10:16:33

Warum dann durchgequält? Singles waren nicht bekannt?

cargo

2020-01-11 10:12:34

Gestern durch das Album gequält. Unglaublich langweilige Musik ohne jeglichen Wiedererkennungswert.

jo

2020-01-07 22:14:54

Freue mich auch. Super Band - Vorabsongs klingen wirklich gut, auch die "neue" Richtung gefällt.

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