Esoteric - A pyrrhic existence
Seasons Of Mist / SoulfoodVÖ: 08.11.2019
The fun in funeral
Im Forum von Plattentests.de gibt es den mal informativen, mal lustigen Thread "Bands, die ihr lange Zeit vollkommen falsch eingeordnet habt". Lange Zeit, das können durchaus fünfzehn Jahre sein, denn so lange ist in etwa der erste lesbare Kontakt des Rezensenten mit Esoteric her. Damals aufgeschnappt im Kontext mehrerer (psychedelischer) Progressive-Rock-Gniedel-Acts, landeten Esoteric auch schnell in der Ecke. Die jeweils im zweistelligen Minutenbereich liegenden Songlängen schienen dies noch zu bestärken. Ungehört abgestempelt, liegen gelassen – die musikalische Entsprechung von "Nur die (falsche) Überschrift gelesen", der Sinn stand mehr nach anderem. Viele Jahre später erscheinen nun Esoteric erneut auf der musikalischen Bildfläche. Dieses Mal in Nennung des Genres "Funeral Doom". Erste Zweifel, denn gegniedelt wird auf Beerdigungen eher selten.
Nur sechs Songs weist die Tracklist von "A pyrrhic existence" aus. Auf den ersten Blick also würde es nicht lange dauern, das Missverständnis aufzulösen. Alles auf Start, "Descent" laufen lassen und: Uff. Was ist das denn? 27 Minuten? Eine knappe halbe Stunde mit Gekeife, Gedonner, zähen Riffs, wilden Ausbrüchen, Soundwänden und einer atmosphärischen Kunstpause mittendrin später muss die Kinnlade erst einmal wieder langsam hochfahren. Kann man schon einmal so machen, Material, Ideen und Länge eines ganzen Albums in einen Track zu packen. Nur sind wir hier nicht am Ende, sondern haben noch fünf weitere Stücke vor uns, restliche Gesamtspieldauer: eine Stunde.
"Rotting in dereliction" zieht in puncto Düsternis noch einmal an, die Growls von Greg Chandler wirken noch tiefer und böser, die Riffe noch schneller in den Abwärtsstrudel reißender. Nach etwa sechs Minuten wandelt sich der Song für kurze Zeit in ein fieses Death-Metal-Geballer, nur um dann wieder den Schleppriffs Platz zu machen. Knapp die 16 steht auf der Uhr, ehe "Rotting in dereliction" den Hörenden aus seinen Fesseln entlässt. Zur Entspannung trägt "Antim yatra" bei, welches eine Art Interlude ist, gehüllt in eine atmosphärisch düstere, elektronisch anmutende Soundlandschaft. Spannungsaufbau, nachdem entweder ein weiteres Gemetzel folgen kann, oder – und diesen Weg wählen Esoteric – erst einmal Ruhe einkehrt.
Eine einzelne, fast schüchterne Gitarrenspur ist der Fixpunkt der ersten – langen – Takte von "Consuming lies", ehe Chandler zum tiefen Growlen einsteigt. Mehrmals wechseln Tempo, Schwere und Aufbauten, zwischendrin finden sich etwa mehrere Minuten Drone neben schon erwähntem Deathgeballer, und statt Growls wird auch mal fies gekeift. Mit "Culmination" zeigen sich Esoteric dann wieder einmal von einer neuen, zumindest auf "A pyrrhic existence" bislang ungehörten Seite. Zunächst referenziell an den progressive Death der Opeth vom "Deliverance" herum erinnernd, driftet man gen Ende in das ab, was aktuell gern als "Blackgaze" bezeichnet wird. "Sick and tired" beendet dann diesen Wahnsinn von Album. Der Titel könnte an dieser Stelle nicht falscher sein. Nach diesen 90 Minuten (plus Nachspielzeit) ist der Zustand zwar einerseits stehend K.o., andererseits entsteht daraus die pure Gier nach mehr. Gemäß eines abgewandelten Spruchs "'Wann wurdest Du ein Experte für Esoteric?' – 'Letzte Nacht!'" warten noch fünf weitere Alben darauf, erschlossen zu werden. Einige Durchgänge später zeigt sich: Die spontane Begeisterung hätte sich schon vor 15 Jahren einstellen können, Esoteric liefern bei jeder Veröffentlichung ab. "A pyrrhic existence" jedoch, so wirkt es, ist der Gipfel des bisherigen Schaffens. Trotz all der vertonten Schwere, dem Setting, sich hier mit den dunklen Seiten des menschlichen Wesens, der Psyche und der harten Realität auseinander zu setzen, liegt ein in seiner Spielfreude so überzeugendes Album vor, dass es ein Genuss ist, dieses zu hören.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Descent
- Culmination
Tracklist
- Descent
- Rotting in dereliction
- Antim yatra
- Consuming lies
- Culmination
- Sick and tired
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Corristo
2020-01-27 22:40:23
Ja, ist ein Meisterwerk.
The MACHINA of God
2020-01-27 22:34:16
Jetzt erst die Rezi gelesen und den Thread-Link entdeckt. :D
Aber ansonsten ist das derzeit mein liebstes "Heavy"-Album. Läuft trotz der extremen Länge gern am Stück durch. Toll.
The MACHINA of God
2020-01-25 01:22:31
Und gerade zu "Dracula" passt es auch super. :D
The MACHINA of God
2019-12-03 23:27:59
Bei jedem Durchgang schaff ich ein wenig mehr dieses Monstrums. Gerade habe ich das Buch "World War Z" begonnen und dazu passt es perfekt. :)
Corristo
2019-11-23 22:48:56
Ich schätze die Band generell sehr, war bisher leider jedoch zu selten in der Stimmung dafür. Doch die neue könnte nun vielleicht ein echter Türöffner sein. Der genannte Lavastrom, das Inferno, alles wieder da, was auch sonst? Man scheint sich oftmals direkt im Herzen der Hölle zu befinden und Szenarien wie bei Dantes Göttlicher Komödie (unbedingt mal lesen btw.) scheinen sich abzuspielen, aber eben nicht immer (im Gegensatz zu früher vielleicht).
Aber dazwischen eben auch die minutenlangen Ambientpassagen, die jedes Mal anders ausfallen, die mir als Ambient-Fan gut gefallen. Diese Musik scheint ihre eigenen Gezeiten zu haben. Man hat immer wieder das Anfluten und das Abbebben. Und diese Zustände dauern natürlich immer minutenlang an. Tatsächlich sehr organisch wirkend.
Wie das Riff bei "Consuming Lies" irgendwann in den Song hineinexplodiert, meine Herren. Usw. Und es passiert nach den Maßstäben dieses Genres eigentlich auch recht viel auf diesem Album, sie experimentieren mitunter wohl auch mit ihren Möglichkeiten. Sie klingen insgesamt weniger monoton als früher, was nicht heißen soll, dass es weniger beklemmend ist.
Und diese unverhoffte Schönheit halt auch immer wieder. Am exemplarischsten zeigt sich das für mich immer noch am Gitarrensolo ab ca. 5 Minuten bei Circle auf "Maniacal Vale". Als ob da so eine Art dämonischer David Gilmour am Werk wäre. Und auf der Neuen gibts glaube ich auch wieder einige solcher Momente und Phasen.
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