Bats - Alter nature
Great Old OnesVÖ: 10.10.2019
Is' ja irre
Kurz vor seinem Tod warnte der Physiker Stephen Hawking vor den Folgen des unreflektierten Fortschrittsglaubens. Unter anderem wies er dabei auf die Gefahr hin, die von künstlicher Intelligenz ausgehen könne. Dabei war seine Sorge nicht, dass Tötungsroboter Zeitreisen unternehmen, sondern dass sich unsere Spezies beim Versuch Gott zu spielen schlicht überflüssig macht. Doch neben der Apokalypse durch denkende Maschinen kommen ganz andere Hürden auf den Homo Sapiens zu. Die Frage etwa, wo die ethischen Grenzen der Genforschung liegen. Von den Folgen dessen, was gemeinhin Klimawandel genannt wird, ganz zu schweigen. Nun sind Geschichten vom drohenden Ende der Welt kein Ding der Gegenwart. Schon immer bereitete es Menschen große Freude, den eigenen Untergang herbeizufantasieren. Ganze Religionen basieren auf dem Versprechen, dem Unvermeidlichen ein bisschen Tröstlichkeit abzugewinnen. Die irische Band Bats ist ganz sicher nicht religiös. Wissenschaftsaffin und fantasievoll aber umso mehr. Nach sieben Jahren Pause erscheint mit "Alter nature" ein Album, das die Gedankengänge der Einleitung nicht nur aufgreift, sondern zu zentralen Themen erhebt.
Weshalb es mit der Platte so lang gedauert hat, wird schon nach wenigen Minuten klar. Irre Tempo- und Taktwechsel dominieren die Songs, wobei sie nie ohne Grund geschehen. Vielmehr verfolgen Bats mit ihrem dekonstruktiven Ansatz ein klares Ziel. Es geht darum, den Hörer aus seiner Komfortzone zu reißen. Irritation wird großgeschrieben. Das alles funktioniert deshalb hervorragend, weil die Musiker nicht nur fantastische Riffs, sondern auch griffige Melodien in petto haben. So kommt "In the court of the CRISPR king" fast schon arschwackelnd daher, bevor es in der Bridge stramm in Richtung Epilepsie geht. Nicht minder meschugge ist "The call of Cthulhu", in welchem Gastsängerin Lizzie Fitzpatrick einen Auftritt hinlegt, der über das Jahr 2019 hinaus im Gedächtnis bleiben wird. Auch in "Ergot" strapaziert sie ihre Stimmbänder, bis sie bersten. Bats wissen genau, wann sie prügeln und wann sie streicheln müssen. Der Wechsel zwischen schrill und schön dominiert beispielsweise "Old Hitler", dessen Text unter anderem auf abstruse Verschwörungstheorien anspielt. Muss man wissen.
Gerade weil die Band sich thematisch gerne mit dem Abseitigen auseinandersetzt, bereiten die Songs auf "Alter nature" so viel Freude. Egal, ob es um eine "Dyson sphere" oder um "Christian science" geht, der Tonfall bleibt beißend. Im erstgenannten Song sorgt darüber hinaus ein unfassbares Saxophon-Solo für den nötigen Bruch mit der Realität. In einer Welt, die im Auge mancher Betrachter flach ist, bleibt einem auch nichts anderes übrig. Denn es geht nicht um Unwissenheit, sondern um Ignoranz. Aus den Überresten postmoderner Ironie ist ein Monster entstanden. Es zu zähmen ist wohl eine der großen Aufgaben des 21. Jahrhunderts. Bats kommentieren die Auswüchse zivilisatorischer Errungenschaften auf ihre Weise. In "Family planning" stellen sie die Verse "Take a life" und "Save a life" einander gegenüber und geben der Hauptfigur des Songs ein Skalpell in die Hand. Dürfen die das? Falsche Frage. Dürfen wir das?
Highlights & Tracklist
Highlights
- The call of Cthulhu
- Old Hitler
- Ergot
- Dyson sphere
Tracklist
- Summoning the demon
- Christian science
- The call of Cthulhu
- Old Hitler
- In the court of the CRISPR king
- Ergot
- Dyson sphere
- Family planning
- Current affairs
Im Forum kommentieren
Christopher
2019-11-15 17:05:37
Beim Gesang war mein erster Gedanke "Brian Molko nach 10 Jahren Psychiatrie".
Der Untergeher
2019-11-15 09:45:45
Schöne Rezi! In das Album muss man sich auf jeden Fall erstmal einhören. Strangely catchy ist es aber.
Akim
2019-11-15 06:19:40
Gutes Album. Der Gesang mutet anfangs wirklich etwas seltsam an aber passt perfekt zum Sound. Ich habe hier schon mal auf den Vorgänger aufmerksam gemacht, der für mich noch ne Klasse besser ist. Also unbedingt mal in "The Sleep of Reason" reinhören.
Mayakhedive
2019-11-15 06:03:17
Das Cover ist schon relativ abstossend, muss ich sagen. Aber ich habe gerade mal in “The Call of Cthulhu“ reingehört, fand Sound und Gesang erstmal etwas seltsam, insgesamt war das dann aber irgendwie auch ziemlich catchy. Da werd ich wohl noch etwas mehr testen.
Armin
2019-11-14 21:20:56- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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