
Lightning Bolt - Sonic citadel
Thrill Jockey / Rough TradeVÖ: 11.10.2019
Die Ohrkrepierer
"Ab muss das Ohr!" Irgendwie schmerzte es schon beim Lesen, was Rezensent Beeke zu Lightning Bolts "Fantasy empire" postulierte. Nüchtern betrachtet handelte es sich aber bloß um die logische Konsequenz aus dem freidrehenden Irrsinn, den das Duo aus Providence auf seinem letzten Album entfesselte – Noise-Rock nahm sich dagegen beinahe wie ein Kaffeekränzchen verkrachter Enthaarungsartisten auf Diazepam aus. Um den amputierten Lauscher sollte man sich indes keine Sorgen machen: Brian Chippendale und Brian Gibson stehen sicher bereits mit Elektrotacker und Heißklebepistole parat, um die Sache wieder hinzubiegen. Und sich anschließend mit trümmernden Absichten über das restliche Knöchelverzeichnis herzumachen. Lightning Bolt haben einiges aufzuholen – und das wird jetzt nicht nur ein bisschen wehtun.
Chippendale ist inzwischen nämlich Vater geworden und legte eine Graphic Novel vor, Gibson entwickelte mit seiner Software-Schmiede das rhythmisch-rasante Game "Thumper" inklusive perkussivem elektronischem Soundtrack. Genau in diesem Sinne muss man sich "Sonic citadel" vorstellen: wie einen grellbunten Comic-Strip, in dem man viel rennen und ballern muss, um eine Chance zu haben. Dass die jedoch allenfalls theoretischer Natur ist, liegt auf der Hand, denn der Opener "Blow to the head" funktioniert wie ein ebensolcher. Mit Presslufthammer-Drums und durch sämtliche Effekt-Mangeln gedrehten Stahlsaiten geht es so lange mit dem Kopf gegen die Wand, bis man in all dem Getöse eine Body-Music-Sequenz muskulöser DAF-Prägung auszumachen glaubt. Stimmt so zwar nicht – körperlich spürbar ist dieser Monster-Track trotzdem in jeder Sekunde.
Lediglich der Auftakt zu einem weiteren physisch wie psychisch unfassbaren Longplayer, der nicht viel mehr als Gibsons maximal zweckentfremdeten Bass und Chippendales aus allen Ritzen pumpendes und rollendes Schlagwerk benötigt, um das Lattenmessen des Rock'n'Roll mutwillig zu entstellen. Da platzen Spandexhosen und zerbröseln zur Pommesgabel gereckte Wurstfinger gleich reihenweise, wenn "Air conditioning" in strammem Uptempo eine faulige Brise extremes Riffing in den Raum schickt und "Hüsker dön't" die glühenden Leads von Gibsons Griffbrett Richtung Zombie-Apokalpyse schubst. Oder zumindest in die Spätvorstellung von "Halloween 3", wo Chippendale ähnlich blechern in sein Kehlenmikro japst wie bei seinem Soloprojekt Black Pus. Der äußerste Rand der Musik? Wo denken Sie hin – Speed-Metal ist im Grunde ja auch nur Jazz-Rock.
Es gehört zum perfiden Genius dieser prächtigen Schlachtplatte, dass Chippendale und Gibson ihre Pappenheimer nicht nur kennen, sondern auch referenzieren: "Don Henley in the park" und "Van Halen 2049" nennen einerseits Rock-Götter und fahren andererseits gehörig mit ihnen Schlitten. Was der Eagles-Mann getan haben mag, um zu einem geloopten Psych-Mantra im Schweinsgalopp durch die Grünanlage gehetzt zu werden und warum die AOR-Veteranen um David Lee Roth in einem neunminütigen Gewaltmarsch mit atonalem Gegonge versinken? Tut nichts zur Sache, solange "USA is a psycho" und das bizarr eingängige "All insane" unmissverständlich klarstellen, dass es gewichtigere Probleme auf der Welt gibt als die Dekonstruktion musikalischer Denkmäler. Aurale Verluste? Zahlen wir aus der Distorto-Kasse. Und jetzt das andere Ohr!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Blow to the head
- Air conditioning
- Hüsker dön't
- Don Henley in the park
Tracklist
- Blow to the head
- USA is a psycho
- Air conditioning
- Hüsker dön't
- Big banger
- Halloween 3
- Don Henley in the park
- Tom Thump
- Bouncy house
- All insane
- Van Halen 2049
Im Forum kommentieren
MasterOfDisaster69
2020-01-14 13:21:08
gerade erst entdeckt. die Platte ist gut !
Danke.
8/10
Armin
2019-11-08 11:30:05- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Underground
2019-10-08 13:22:49
06.11. im gebäude9, köln
Juhu
2019-08-15 19:10:03
Juhu
Underground
2019-08-15 19:07:17
der vorabsong klingt schon einmal spannend...
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