Mayhem - Daemon
Century Media / SonyVÖ: 25.10.2019
Mord und Totschlag
Klar, Vorreiter wollen sie alle immer irgendwie sein. Zumindest mal ein Genre prägen oder so. Aber gibt es ernsthaft jemanden, der die herausragende Rolle von Mayhem für den Black Metal in Abrede stellen möchte? Das betrifft zunächst einmal – es muss der Chronistenpflicht halber zwingend erwähnt werden – eine dunkle Seite. Denn immer dann, wenn die Genre-Protagonisten ihre finstere Fratze zeigten, waren Mitglieder von Mayhem mit im Spiel. Was im Film "Lords of chaos" nicht immer sattelfest dokumentiert wurde, beginnt mit dem Suizid des damaligen Frontmanns Per Yngve Ohlin, genannt "Dead" im Jahr 1991, der vom Bandkollegen Øystein "Euronymous" Aarseth auf groteske Manier ausgeschlachtet wurde, geht weiter über die hinlänglich bekannten Kirchenbrände und endet mit dem Mord an eben jenem Euronymous, verübt von einem gewissen Varg Vikernes, der mit seiner Band Burzum irgendwann in die braunmüffeligen Niederungen des NSBM abstieg. Da wirkte es nicht nur äußerst bizarr, dass Mayhems Album "De mysteriis dom sathanas", zweifelsohne DAS Referenzwerk des norwegischen Black Metal, just in dem Monat veröffentlicht wurde, als das Urteil über Vikernes gesprochen wurde, sondern auch, dass dort Opfer und Täter gemeinsam zu hören waren, nämlich an Gitarre und Bass.
Nun, glücklicherweise – "gottlob" wäre wohl nicht der passende Begriff – begann sich die Szene irgendwann zu bereinigen, und das beinhaltet nicht nur, dass Vikernes nach widerlichen Nazi-Parolen endgültig geächtet wurde. Denn die Mitstreiter wurden schillernder – so verdingte sich Gaahl von Gorgoroth nach seinem Coming-Out zeitweise als Modedesigner, und Fenriz von Darkthrone entwickelte sich zu einem zwar kauzigen, aber hochkompetenten Musikkenner und Lokalpolitiker. Und Mayhem? Haben es irgendwie auch geschafft, sich von dieser düsteren Vergangenheit zu lösen, auch wenn Jørn "Necrobutcher" Stubberud erst unlängst erklärte, dass er ebenfalls Mordgelüste gegen Euronymous hegte. Zumindest besteht um jenen Necrobutcher, dem charismatischen Frontmann Attila Csihar, der auch schon "De mysteriis dom sathanas" einkeifte, und Drummer Jan Axel Blomberg, genannt "Hellhammer", ein stabiles Line-Up, was in schöner Regelmäßigkeit hochklassige Alben veröffentlicht.
Und damit soll diese verstörende Geschichte um Mord und seltsame Rituale auch ein Ende haben, denn zum einen haben die Beteiligten ihre gerechte Strafe erhalten, zum anderen liefern Mayhem mit "Daemon" nichts anderes als herausragenden Black Metal ab. Nicht den sauberen, epischen Black Metal von Borknagar, nicht die epischen Sagen von Enslaved. Sondern räudig, schmutzig und gemein. Schon der Opener "The dying false king" prügelt ohne Geplänkel direkt los, überzeugt mit flirrenden Riffs, wahrer Raserei, über der Csihar nicht etwa singt, sondern wahrhaft thront. Was für ein unfassbar variabler Sänger der Ungar ist, verdichtet sich hier in nur einem Song, wenn der Frontmann schreit, keift, flüstert, nur um plötzlich in Operngesang zu klagen. Hieß es nicht einmal, für Black Metal brauche man kein herausragendes Können? Nun, insbesondere "Bad blood" widerspricht hier vehement, denn hier feuern die Norweger aus ihrem fast schon grotesken Arsenal von Riffs und Blastbeats, immer gut für überraschende Tempowechsel, ohne auch nur im Ansatz Konfusion zu verbreiten.
Wer nun immer noch meint, Black Metal bestünde lediglich aus Lo-Fi-Raserei, dem sei zweierlei auf den Weg gegeben. Zum einen das fulminante "Daemon spawn" als Anschauungsmaterial dafür, mit welchen Mitteln eigentlich unterschiedliche Stimmungen erzeugt werden, und das in nur einem einzigen Song. Zum anderen, dass es schon lange nicht mehr wie in den frühen Neunzigern tabu ist, gut zu klingen. Ganz im Gegenteil, holt die herausragende Produktion doch Details hervor, die so in der Vergangenheit nur selten erkennbar waren. Klar, man wusste durchaus, welch großartiger Bassist Necrobutcher ist. Nur gehört hat man es viel zu selten. Wenn es denn überhaupt einen Kritikpunkt gibt, dann den, dass "Daemon" schlicht einen Tacken zu lang ist. Nicht, weil es langweilig wird. Sondern weil irgendwann eine Übersättigung eintritt, man diesem kreativen Feuerwerk schlicht kaum noch folgen kann. Momentan scheinen die alten Recken der so genannten Zweiten Welle des Black Metal eine Art Renaissance zu erleben, wohlgemerkt in musikalischer Hinsicht. Auch wenn nichts Geheimnisumwittertes mehr hinter den düsteren Pseudonymen und dem Corpsepaint mehr steckt, die Teenager von damals, deren überwiegende Mehrheit einfach nur neue Grenzen der Musik und der Rebellion ausloten wollte, sind zu den geachteten Künstlern geworden, die sie eigentlich nie werden wollten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The dying false king
- Bad blood
- Daemon spawn
Tracklist
- The dying false king
- Agenda ignis
- Bad blood
- Malum
- Falsified and hated
- Aeon daemonium
- Worthless abominations destroyed
- Daemon spawn
- Of worms and ruins
- Invoke the oath
- Everlasting dying frame (Bonus track)
- Black glass communion (Bonus track)
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Dumbsick
2019-11-29 20:11:12
das meint transcended music blog:
https://www.transcendedmusic.de/2019/11/mayhem-daemon-authors-choice/
hos
2019-11-01 00:15:09
abgesehen von "Necrobutcher ist ein grossartiger Bassist" kann ich die Rezi unterschreiben.
Die Band ist schon irgendwie eine Wundertüte - selbst wenn der obligatorische Höllensoundtrack wie erwartet aus den Boxen schallt, schafft es die Band doch immer wieder, neue Einflüsse einzubringen und zuweilen auch zu überraschen oder vor den Kopf zu stossen.
Mehr Melodie und besserer Sound sind bei den Genrepuristen ja eher verpöhnt und die werden sich wohl am ehesten an dem Album reiben (natürlich abgesehen von denen, die mit dem kompletten Genre per se nix anfangen können oder wollen) - doch diejenigen, die die BM-Ästhetik von Enslaved oder Akercoke zu schätzen wissen, bei den früheren Mayhem-Scheiben aber eher das Weite suchten, sollten hier nochmal ein Ohr riskieren.
https://www.youtube.com/watch?v=8q47Cpwt4Sg
Armin
2019-10-30 20:26:31- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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