FKA Twigs - Magdalene

Young Turks / XL / Beggars / Indigo
VÖ: 08.11.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Creature of the night

Tahliah Barnett ist eine Meisterin der Dekonstruktion. Unter ihrem Künstlernamen FKA Twigs schreibt und veröffentlicht sie Musik, die nur allzu gerne in ihre Einzelteile zerfällt, ja, die nahezu zerbröselt, sobald sie die umgebende Luft zum Klingen bringt. Auch den Vorstellungen einer klassischen Pop-Karriere entsprach FKA Twigs nicht: Auf das von den Feuilletons gefeierte Debütalbum "LP1" folgte erst einmal ... herzlich wenig. Statt also den Hype und schnellen Ruhm zu nutzen und sich weiter in der ersten Reihe des Rampenlichts zu sonnen, ließ sich die Britin extraviel Zeit. Fünfeinhalb Jahre sind seit ihrem Erstling vergangen, wobei man durchaus behaupten darf, dass sie mit ihrem ursprünglichen Sound einen wesentlichen Einfluss auf die elektronische Popmusik der Jetztzeit genommen hat. Weil man es sich und dem Publikum als unberechenbare Künstlerin nun aber natürlich nicht zu einfach machen möchte, folgt nach der langen Abstinenz ein zweites Album, das sich aufs erste Ohr möglichst sperrig und abstrakt gibt. Sagt "Hallo" zu "Magdalene".

Okay, so ganz raus aus dem medialen Leben war FKA Twigs natürlich nicht: Ihre mittlerweile in die Brüche gegangene Beziehung zu Schauspieler Robert Pattinson war oft und gerne Gegenstand boulevardesker Berichterstattung. "Magdalene" geriet in der Folge zu einer schweren Herzschmerzgeburt, lange konnte sich die Künstlerin auf nichts anderes als ihr Innen- und Seelenleben konzentrieren. An Kunst war erstmal nicht zu denken. Doch irgendwann überwand sie den Schmerz und schrieb neue Musik. Wie gewohnt sucht Barnett nie den direkten Weg, ihre Songs holpern und stolpern durch karge Post-R'n'B-Kulissen, knabbern sich selbst das spärliche Fleisch von den Knochen und tanzen auf diese Weise skelettiert auf mehreren Hochzeiten. Das ist dann freilich kein Sound mehr, den man im Formatradio an den Mann bzw. die Frau bringen kann, dafür aber lohnt sich das Hinhören: Ihre Songs pendeln soundtechnisch zwischen Pop-Queen Beyoncé, den vertrackteren Arrangements Thom Yorkes und dem visionären Electro-Gefummel einer Holly Herndon. Darauf muss man freilich erstmal klarkommen.

Den Start in "Magdalene" gestaltet FKA Twigs nämlich schon äußerst schwerverdaulich: Der Opener "Thousand eyes" beginnt als reduzierter Acapella-Vortrag, schwillt dann zum postmodernen Sakralchor an, während spärlich gesetzte Beats ein unheilvolles Echo verursachen . FKA Twigs gibt hier die Beschwörerin, die zerbrechliche Sirene, einsam und verlassen, ihre Stimme eine Waffe gegen das Vergessen und Vergessenwerden. In der ebenfalls sinistren Pianoballade "Home with you" verzerrt sich die Stimme zusehends, aus dem anfangs noch fragilen Vortrag wird ein bedrohliches, kehliges Schwadronieren, bis FKA Twigs wieder in den sensiblen Flüstermodus switcht. Barnett setzt ihre Vocals als Instrument ein und schafft damit Stimmungen, die in Windeseile ins Gegenteil kippen können. "Sad day" ist dann der erste wirklich zugängliche Song, eine Insel der vermeintlichen Ruhe in einem unbehaglichen Meer voller schwarzer Wellen. Reduzierte Beats grundieren den Track, pulsieren dunkel.

"Holy terrain" reduziert seine zunächst offenkundige HipHop-Affinität im Verlauf der vier Minuten auf ein Mindestmaß, FKA Twigs sehnt, der Gast-Rapper Future fügt dem Song seine glucksenden Verse hinzu. Stärker ist da schon der Quasi-Titelsong "Mary Magdalene": Abstrakt schält sich diese Nummer aus ihrem Wachs-Kokon, die Arrangements könnten auch aus einem Björk-Song stammen. Auch sie ist logischerweise ein großer Einflussfaktor auf FKA Twigs: Beide spielen "am Ende des Tages" Pop-Musik, die sich aber nicht den gängigen Strukturen unterordnen möchte, sondern wild und frei und unkontrolliert nur der eigenen Intuition und Schaffenskraft zu folgen gedenkt. "Fallen alien" startet dann wie ein Appendix aus Radioheads Experimentalphase, circa "Kid A", verzerrte Kinderstimmen kritzeln unheimliche Verzierungen in die Spiegeloberfläche des Tracks, FKA Twigs selbst klingt exaltiert, variiert mal wieder ihre Stimme, die Beats im Hintergrund fiepen wie kurz vor dem Kurzschluss. Gegen Ende fällt das Stück komplett in sich zusammen. "Magdalene" funktioniert letztlich wie ein Puzzle mit umgekehrtem Vorzeichen: Am Ende sitzt man vor einem wilden Haufen verstreuter Teile und kratzt sich verdutzt am Kopf.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sad day
  • Mary Magdalene

Tracklist

  1. Thousand eyes
  2. Home with you
  3. Sad day
  4. Holy terrain (feat. Future)
  5. Mary Magdalene
  6. Fallen alien
  7. Mirrored heart
  8. Day bed
  9. Cellophane
Gesamtspielzeit: 38:57 min

Im Forum kommentieren

Jennifer

2020-08-28 19:47:26- Newsbeitrag

Grandioses Video zum stärksten Song des Albums.

Orph

2019-11-17 06:40:24

Das wäre meine erste Promo-CD.

Letzte Woche war die CD jedenfalls auf völlig normalem Wege beim Bezos zu finden.

Edrol

2019-11-16 22:59:26

Oh, danke. Scheinbar ist es essentiell, im Suchbegriff "CD" dazuzuschreiben, denn ohne findet es nix (war bis jetzt noch nie so). Schön, gleich mal bestellen.

Web2.0

2019-11-16 22:21:13

Aber da ist sie doch: https://www.amazon.de/Magdalene-Fka-Twigs/dp/B07XPPV55S/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&keywords=FKA+Twigs+Magdalene+cd&qid=1573939248&sr=8-1

Web2.0

2019-11-16 22:19:06

Promo-CDs gibts immer, heißt nicht, dass man die auch kaufen kann.

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