Kummer - Kiox

Kummer / Eklat / Vertigo / Capitol / Universal
VÖ: 11.10.2019
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Warum denn so ernst?

Noch nie war Deutschrap so divers – neben allen Lobhudeleien und Verurteilungen ist das der unbestreitbare Status Quo. Während die zahlenmäßigen Top-Künstler mit einem Mix aus Trap, Dancehall und Balkan-Beats in der "Modus Mio"-Playlist stattfinden, konnte gerade 2019 mit hochkarätigen Releases aus dem alternativen Bereich des mainstream-fähigen HipHops aufwarten: Tua, Dendemann oder Fatoni lieferten alle gute und wichtige Alben ab. Mit "Kiox" erscheint nun ein Debütalbum auf eben dieser Bildfläche, das eigentlich keines ist – vor Felix Kummers ironisch-zeitkritischen Lines in seiner Band Kraftklub konnte man sich in den vergangenen sieben Jahren nur schwer verstecken. Der Startschuss seines Soloprojekts Kummer kam mit großer Marketing-Kampagne um den eigenen Plattenladen sowie einigen doch recht ungewöhnlichen Singles daher. Wie funktioniert dieser Rap ohne Indie-Band?

"Kiox" gleicht der Musik Kraftklubs auf die eine Weise sehr und funktioniert dabei doch völlig anders. Das Album ist eine Ausnahmeerscheinung im Deutschrap-Kosmos und will auch genau so verstanden werden – dafür sprechen zahlreiche Seitenhiebe gegen den durchstandardisierten Mainstream um Boss-Transformation und Oberflächlichkeit. So etwa im Opener "Nicht die Musik", wo eigentlich jede Zeile zitierwürdig ist, wenn man sich auch nur ein bisschen an den präsenten Werten der momentanen Jugendkultur reibt. Wir belassen es bei diesen hier: "Eine Generation an Selbstoptimierern wird modus-mioisiert / Lieder von Siegen über das Siegen / Alles erlaubt, außer verlier'n / Echte Männer sind Gewinner / Echte Männer weinen nicht / Und auf jeden Fall machen sie keine verweichlichte Befindlichkeitsscheiße wie ich." Über einem nicht minder mächtigen Instrumental ruft Kummer einen Richtungswechsel aus: "Ich mach Rap wieder traurig." "Wie viel ist dein Outfit wert" wettert dazu mit hartem Trap-Beat aus dem Lehrbuch über die Omnipräsenz von Modemarken und Konsum: "Falscher Rucksack, falsche Jeans, alle seh'n den Unterschied / 100 Euro liegen zwischen angesehen und unbeliebt." Die obligatorische Globalisierungskritik aus den verworfenen Kraftklub-Texten darf dabei selbstverständlich nicht fehlen: "Life ist supernice, da wo man die Schuhe trägt / Life ist nicht so nice, da wo man die Schuhe näht."

Neben Anklage-Songs praktiziert "Kiox" vor allen Dingen eine gut verträgliche bis manchmal auch tiefergehende Melancholie. "Bei Dir" hat mit seiner kraftvollen Autotune-Hook, dem missverstandenen, selbstzweifelnden Profil des Erzählers und dem ob der glücklichen Beziehung dennoch hoffnungsvollem Einschlag gute Chancen, zu einer modernen Indie-Hymne zu avancieren. "Und Du hast mich scheinbar noch nicht satt / Nur eine Frage der Zeit, bis ich es einmal mehr verkack'." Und einmal alle mitsingen: "Doch bin ich bei Dir /Iist alles anders, alles inklusive mir / Denn bist Du da / Bin ich nicht mehr dieser Wichser, der ich war." "Es tut wieder weh" geht den schwermütigen Weg noch weiter und beschreibt in resigniertem Ton eine handfeste Depression: "Bei mir ist ständig besetzt / Ich drück' die Anrufe weg / Das Licht ist aus, die Fenster sind zu / ich liege im Bett." Als einziger Ausweg bleibt da medikamentöser Eskapismus: "Ich will mich nicht finden / ich will mich verlier'n / Ich will, das alles betäubt ist / Ich will mich nicht spür'n / Denn gerade, wenn ich denke / Dass es langsam wieder geht / Dann tut es wieder weh." Interessanterweise feuert Kummer auf "Aber nein" dennoch mit Battle-Rap gegen talentfreie Rapper und arbeitet dabei sogar mit Cloud-Rap-König LGoony zusammen, den er schon seit längerem unterstützt. Mit traurigem Rap hat das alles aber recht wenig zu tun: "Die Industrie hält dich nicht unten / Bruder, Du hast einfach keine Hits." Was in dieser Kombination zu einem Highlight des Albums hätte werden können, wird leider durch den ungewohnt mäßigen Part von LGoony eingetrübt. Einzig KeKe schafft es noch, dem Track ein wenig Biss abzugewinnen: "Es ist endlich amtlich / Rapper streiten, was ein Mann ist / Wie viel Likes und wie viel Klicks / Werf die Scheine auf die Bitch."

Musikalisch bewegt sich "Kiox" mit seinen 808-Beats und dem intensiven Einsatz von Autotune auf Kummers Stimme weiter im aktuellen Mainstream, als es Kummer angesichts der textlichen Inhalte lieb sein sollte. Die Instrumentals schaffen es mit den melodischen, sentimentalen und oft grimmigen Einschlägen aber dennoch, eine eigene Note zu erzeugen. Kummers Performance fällt aus wie gewohnt – man kennt ihn schließlich schon aus drei Kraftklub-Alben. Doch obwohl seine Parts im Vergleich zu vereinzelten Feature-Ausflügen (man denke an die Beatsteaks-B-Seite "Make a wish") sich fast schon besorgniserregend verbessert haben, werden ihm die durchgetaktet digitalen Beats zum Verhängnis. Den inhaltlich über weite Strecken sehr gelungenen Texten fehlt es oft an Sprachgefühl und Kummer selbst an Flow, der über Schulhofniveau hinausgeht. Starke Lyrics verkommen daher manchmal leider zu unbeholfen aufgesagten Rap-Zeilen, manchmal hörbar neben dem Beat. "Kiox" will aber ja ohnehin nicht im hiesigen Deutschrap-Kosmos mitmachen, und als HipHop-Platte mit Indie-Einschlag und edgy Attitüde funktioniert das Album die meiste Zeit über wunderbar. Dass es das Niveau von "Tua" oder Dendemanns "Da nich für!" selten erreicht, dürfte Felix Kummer spätestens mit den ersten Headliner-Festivalshows mit Kraftklub wieder egal sein.

(Julius Krämer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Bei Dir
  • Es tut wieder weh
  • Okay

Tracklist

  1. Nicht die Musik
  2. 9010
  3. Bei Dir
  4. Schiff
  5. Der Rest meines Lebens (feat. Max Raabe)
  6. 26
  7. Es tut wieder weh
  8. Wie viel ist dein Outfit wert
  9. Aber nein (feat. LGoony & Keke)
  10. Alle Jahre wieder
  11. Okay
  12. Ganz genau jetzt
Gesamtspielzeit: 37:07 min

Im Forum kommentieren

fakeboy

2023-12-24 12:22:46

Noch nicht geschaut, aber werd ich noch nachholen: https://www.rbb-online.de/doku/b/bye--bye-kummer/staffel-1/bye-bye-kummer-bonus-das-letzte-konzert.html

The MACHINA of God

2023-12-24 11:53:30

Find es krass (und gut), dass er echt die Waldbühne vollgemacht hat zum Abschiedskonzert. Mag das Album weiterhin. Und allein schon für die ganzen Anti-Alpha und Anti-Blingbling-Songs hat er jeden Erfolg verdient.

BibaButzemann

2023-12-21 22:47:21

So ein Quark. Das ist Deutschrap wie er sein sollte.
Auf alle Fälle eine 8/10. Würde mich freuen ihn wieder Solo zu hören, Kraftklub ist mir irgendwie zu bedeutungslos.

AliBlaBla

2023-12-21 14:48:49

Ja, wenn Vergnügen, direkt Selbtgeißelung, liegt am Calvinismus (ich scherze nur halb..)

Z4

2023-12-21 14:43:40

In Deutschland alles Guilty Pleasure.

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