Faber - I fucking love my life

Universal
VÖ: 01.11.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Faber unser

Wer würde das nicht gerne behaupten können: Verdammt, ich liebe mein Leben! Nur ist diese Aussage mit Vorsicht zu genießen, wenn sie in großen Lettern auf Fabers zweitem Album prangt, während der Sänger selbst mit einem Seidenmantel als Mann von königlichem Kaliber porträtiert ist. Was meint der Schweizer mit dem bübischen Charme tatsächlich so – und wann schlüpft er nur in die Rolle eines abgehalfterten Hallodri? Weil das wirklich schwer zu ermitteln ist, polarisiert Faber, auch hier bei Plattentests.de. Gerade mal vier Punkte gab Kollege Heinecker dem Debüt "Sei ein Faber im Wind" vor drei Jahren, dabei war auch das schon eine beachtenswerte Abwechslung im Deutsch-Pop. Aber wer mit Zeilen wie "Du bist zwar erst 16 / Ach, komm wir drehen Sex-Szenen" feuert, muss sich nicht wundern, wenn die Kritik zurück schießt. Tut Faber wahrscheinlich auch nicht.

Nun sind ein paar Jahre ins Land gegangen und neue Probleme kamen beziehungsweise alte Probleme wurden endlich mal angesprochen: weiterer Rechtsruck, Sexismus und Misogynie, gesellschaftliche Verrohung. Es ist derzeit schwer, sich nicht in irgendeiner Form politisieren zu lassen. Faber machte das schon mit der erste Single dieses zweiten Albums klar. "Das Boot ist voll" ist eine politische Selbstbekenntnis, ein mutiges Stück, ein nicht immer ganz eindeutiger Song. In der ursprünglich hochgeladenen Version gab es im Refrain noch Vergewaltigungsphantasien – die Faber so dann doch nicht veröffentlicht haben wollte. Also bekamen Fans nur zwei Tage später die Alternativversion, die kritischen Zeilen waren ersetzt worden. Es ist eine schwere, eindringliche Klavierballade, die den Verblendeten gehörig den Spiegel vorhalten will – und gleichzeitig das Hadern mit der neuen Rechten spiegelt. Wie geht man mit Reichsbürgern, Hitler-Verehrern und Holocaustleugnern um? Zwingt man sie zum Oralsex, wie Faber im Ursprungs-Refrain? Nein, lautet die Antwort, die der Schweizer mit der Korrektur selber gegeben hat.

"Ich stehe für Nichts und für gar nichts stehe ich ein" heißt es in "Top", einem Track, der mit spielerischen Bilderbuch-Reimen kokettiert, in seiner zweiten Hälfte aber einen sehr ernsten Kern enthüllt. Er schlüpft in die Rolle eines Frauenschlägers, der sich lieber am Aussehen einer Frau aufgeilt, als sich mit der in ihm aufkeimenden Wut zu beschäftigen. Nicht immer weiß man sofort, worauf Faber hinaus will, aber vielleicht ist genau das eine seiner größten Stärken: sich gleichzeitig pointiert und vage genug zu äußern, um Raum für Interpretationen zu lassen. Ganz häufig jedenfalls erzählt er von Menschen, die mit der Welt, der Liebe und vor allem sich selbst hadern, etwa auch in "Jung und dumm", das die großartige Zeile "Lieber jung und dumm als nur noch dumm", enthält. Über einfallsreiche Wortspiele und gewitzte Reime stolpert man allerorten. In "Das Boot ist voll" bringt er etwa den modernen Nachrichtenkonsum auf den Punkt: "Wer schneller glaubt, wird schwerer klug", in "Highlight" beschreibt er die traurige Realität seiner erlangten Berühmtheit: "Ich hab mehr Highlight im Gesicht als im Leben."

Musikalisch bleibt meist alles beim Alten. Fabers Begleitband, die Goran Koč y Vocalist Orkestar Band, verleiht dem Folk-Pop-Balkan-Chanson den nötigen Druck, um dem Hörer Fabers Auslassungen und Phantasmagorien regelrecht aufzudrängen. Wie schon auf "Sei ein Faber im Wind" begeistern vor allem die Bläser-Einwürfe und treibenden Stücke ("Vivaldi"), während es dem Sänger mit seiner bassigen, kratzigen Stimme in den ruhigen Songs wie "Sag mir wie du heisst (Pt. 2)" gelingt, den Hörer zur Aufmerksamkeit zu disziplinieren. Der vermeintliche Pomp und die scheinbare Arroganz, der die Aufmachung des Albums durchzieht, blitzt auch in der Trackliste durch. Ganz wie bei einer Oper gönnt sich Faber eine Ouvertüre, ein Intermezzo und eine Coda. Und ganz wie bei einer Oper ist die Musik nur eine Komponente des Gesamtkunstwerkes. Wer sich bisher von Zeilen wie "Wem du's heute kannst besorgen, dem besorgst du's morgen auch" hat abschrecken lassen, dem sei noch mal in aller Deutlichkeit gesagt: Der Mann hat viel zu sagen – und Zuhören lohnt sich.

(Simon Conrads)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Jung und dumm
  • Top
  • Sag mir wie du heisst (Pt.1)
  • Das Boot ist voll

Tracklist

  1. Ouverture
  2. Highlight
  3. Jung und dumm
  4. Top
  5. Das Leben sei nur eine Zahl
  6. Sag mir wie du heisst (Pt.1)
  7. Sag mir wie du heisst (Pt.2)
  8. Ihr habt meinen Segen
  9. Intermezzo
  10. Das Boot ist voll
  11. Generation YouPorn
  12. Vivaldi
  13. Nie wieder
  14. Coda
  15. Komm her
  16. Heiligabig ich bin bsoffe
Gesamtspielzeit: 50:32 min

Im Forum kommentieren

Mister X

2019-11-07 02:38:05

Gefällt mir noch besser als das Debüt.

KermitdF

2019-11-01 14:35:27

Wow, hat was. Von "Nie wieder" gabs ein Video vom Hurricane, aber die Albumversion ist mindestens genauso gut.

Armin

2019-10-23 21:41:22- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

MartinS

2019-09-27 19:20:25

Vermutlich tut man sich mit deiner Reihenfolge leichter.
In Verbindung mit der Erklärung er habe das Original Freitags veröffentlicht und sich Samstag morgens gedacht "das kannst du doch besser" (als ob er den Text nie schreiben und den Song nie aufnehmen/einsingen/mischen lassen hätte müssen...) pack ich weder den Song noch den Typen wirklich.

Fand aber auch das erste Album schon eher peinlich, auch wenn ich durchaus sehe, warum man das mögen könnte. Aber ich muss die Chose ja auch nicht rezensieren :D

Felix H

2019-09-27 08:55:57

Ich finde ja nicht unbedingt, dass Fabers verquere Vergewaltigungsphantasien "was Tolles" sind. Und seine lasche Textänderung auch nicht.

Ich hatte die "ursprüngliche" Version als zweites gehört, die ist lkeider wirklich Murks. Finde die Änderung hat schon sehr viel gebracht.

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