As I Lay Dying - Shaped by fire

Nuclear Blast / Warner
VÖ: 20.09.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Schuld und Sühne

Nein, dies kann keine normale Rezension sein. So wie es wohl lange dauern wird, bis As I Lay Dying wieder eine normale Band und ihr Frontmann Tim Lambesis ein normaler Bürger sein können. Nur noch einmal zur Rekapitulation, was in der Metalszene wohl so ziemlich jeder weiß: Am 7. Mai 2013 wurde Lambesis in San Diego unter dem Verdacht verhaftet, einen Auftragsmörder auf seine Frau angesetzt zu haben. Der Haken an der Sache war, dass sich der vermeintliche Killer als verdeckt ermittelnder Polizist entpuppte, und so wurde Lambesis 2014 wegen Anstiftung zum Mord zu sechs Jahren Haft verurteilt und bereits nach zwei Jahren auf Bewährung entlassen, nachdem er sich in Haft als reumütig und geläutert gegeben hatte. Darf man also eine Platte einer Band rezensieren, deren Sänger ein rechtskräftig verurteilter Verbrecher ist? Man darf. Denn zum einen zeigte Lambesis in diversen Interviews ernsthafte und glaubwürdige Reue, zum anderen gilt zumindest hierzulande, dass jeder, der eine Strafe verbüßt hat, die Chance auf einen Neubeginn bekommen sollte.

Also nun "Shaped by fire", die erste Platte der Kalifornier seit dieser unfassbaren Geschichte. Nun versucht die Band dankenswerterweise zu keiner Zeit, Kapital daraus zu schlagen, doch es dürfte schon vor dem ersten Riff klar sein, dass dies kein normales Album ist, nicht sein kann. Ebenso verzichtet Lambesis als Haupttexter auf larmoyantes Geschwafel, sondert lässt zunächst die Musik für sich sprechen. Und das bedeutet nach kurzem Intro direkt einen vehementen Schlag in die Fresse. "Blinded" tritt dahin, wo es wehtut, versprüht eine unfassbare Energie, ist ein brachialer Headbanger – und zeigt, dass Metalcore nicht notwendigerweise ein Schimpfwort sein muss. Die übliche Floskel, dass andere Bands für so einen Song töten würden, verbietet sich aus naheliegenden Gründen, aber so mancher Genrevertreter dürfte in Ehrfurcht erstarren.

Sollte es doch noch Trümmer geben, werden diese im Anschluss durch den Titeltrack säuberlich zermalmt. Lambesis brüllt sich die Seele aus dem Leib, und der vom Bassisten Josh Gilbert klar gesungene Refrain versprüht pure Energie. Bei manch anderer Band wirkt dieses Wechselspiel aufgesetzt und mehr gewollt als gekonnt, As I Lay Dying präsentieren sich hingegen wie aus einem Guss, nahe der Perfektion. Nun gilt das stilistisch relativ eng gefasste Genre nicht eben als progressiv, und auch "Shaped by fire" macht hier keine Ausnahme, wenn "Gatekeeper" oder "Her wreckage" zwar nach wie vor stark, aber eher routiniert vor sich hin ballern. Doch natürlich ist da noch das bereits vorab veröffentlichte "My own grave", bei dem der Frontmann mit sich und seiner Vergangenheit abrechnet. Keine weinerliche Ballade, sondern ein düsteres Bekenntnis zum früheren Ich, das vor Arroganz und Selbstüberschätzung strotzte, bis es zur furchtbaren Eskalation kam. "I thought I was an architect but I was just moving dirt / Stacking mud over malice covered-up forming nothing but a pile of hurt."

Wenn man diese Platte also so betrachtet, wie es angemessen ist – nämlich zunächst ausschließlich unter künstlerischen Aspekten –, ist "Shaped by fire" zunächst einmal verdammt stark. Mag sein, dass vor allem gegen Ende ein, zwei Songs nicht sofort zünden, aber angesichts der Vorgeschichte ist es schon fast unverschämt, wie sehr aus einem Guss As I Lay Dying wieder klingen. Es gelingt den Kaliforniern tatsächlich, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein Metalcore-Album der Spitzenklasse abzuliefern, ganz ohne Verklärung des Frontmanns. Es ist Tim Lambesis zu wünschen, dass er diese kriminelle Vergangenheit hinter sich lassen und hinter sich abgebrochene Brücken vielleicht wieder aufbauen kann, damit man ihn und seine Band wieder unvoreingenommen als die Genre-Spitzen wahrnehmen kann, die sie einst waren. Dennoch ist "Shaped by fire" mehr als nur eine starke Platte. Für die Band und speziell ihren Frontmann ist sie pure Katharsis. Möge ihn die Zeit im Gefängnis tatsächlich und nachhaltig geläutert haben.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Blinded
  • Shaped by fire
  • My own grave

Tracklist

  1. Burn to emerge
  2. Blinded
  3. Shaped by fire
  4. Undertow
  5. Torn between
  6. Gatekeeper
  7. Her wreckage
  8. My own grave
  9. Take what's left
  10. Redefined
  11. Only after we've fallen
  12. The toll it takes
Gesamtspielzeit: 44:04 min

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Jack the real Wiesel

2019-10-30 12:52:02

Stinklangweiliger 0815-Kinder-Metalcore von der Stange.

Am schlimmsten sind eigentlich auch immer diese absolut unsympathischen Bandmitglieder, die es in solchen Kapellen gibt. Die vorne den lächelnden und lieben Frontmann mimen und im Hintergrund dann plötzlich ihr wahres Gesicht zeigen.

Tim Lambesis ist da ein gutes Beispiel. Das Trauerspiel fing ja schon vor dem versuchten Mord an: "ööÖh, ich bin so dünn, aber ein richtiger Mann muss total breit und muskulös sein! Ich habe ein Problem mit meinem Selbstwertgefühl! Richtiges Training dauert so lang und erfordert Disziplin, also nehme ich einfach Steroide."
Dann wollte er ja auch den Knast noch verklagen, weil er dort mit den Entzugserscheinungen zu kämpfen hatte und Männerbrüste bekommen hat. Auf. 35. verdammte. Millionen. US-Dollar. "Weil ihn die Brüste beim Gitarrespielen hindern und er vor dem Publikum seinen visuellen Reiz verloren hätte". Aha.
Der Mann hat sich sicher nicht geändert und wird weiterhin vorne lächeln und hintenrum wieder wie ein Schwein agieren.
Aber die jüngerhaften Fans verzeihen einem ja alles und der Rest der Band will weiter in Ruhe mit ihm Geld verdienen (obwohl sie sich damals von ihm distanziert und gegen ihn ausgesprochen haben). Ganz ekelhaft.

Affengitarre

2019-10-28 21:37:34

Ne, genauso öde wie erwartet. Weder innerhalb der eigenen Diskographie noch innerhalb des Genres irgendwie interessant. Klebrige cleane Vocals und sonst einfach nur Standard.

Affengitarre

2019-10-25 19:34:27

Vielleicht gebe ich dem doch mal eine Chance.

boneless

2019-10-25 18:50:34

Obwohl ich im Metalcore so um 2005 rum alles abgegrast habe, was so vor sich hin bollerte, wurden AILD stets stiefmütterlich behandelt und ich weiß nicht mal recht, warum. Jetzt, 14 Jahre später, höre ich die neue Platte und bin ziemlich beeindruckt. Ich kann Markus nur zustimmen (sehr gelungene Rezi übrigens), dass es schon erstaunlich ist, wie aus einem Guss Shaped By Fate rüberkommt. Obwohl sich alle Songs den gängigen Genrestandards bedienen und wirklich gar nichts innovativ ist bzw. über den Tellerrand hinausschaut, haben alle Hand und Fuß, unglaublich viel Power, herrlich pathetische Refrains und schlussendlich genau das, was sich man sich von einer Metalcore-Platte erhofft. Da können sich Killswitch und Architects eine gewaltige Scheibe von abschneiden...

Affengitarre

2019-10-23 22:34:20

Die übliche Floskel, dass andere Bands für so einen Song töten würden, verbietet sich aus naheliegenden Gründen, aber so mancher Genrevertreter dürfte in Ehrfurcht erstarren.

Haha, klasse. Auch sehr schöne Rezension. Die Band fand ich immer höchstens okay, und auch die einzelnen Alben hörten sich doch immer extrem ähnlich an, auch wenn der Vorgänger einen stärkeren Fokus auf cleane Vocals legte. Durch die Geschichte um den Frontmann sind die mir dann noch unsympathischer geworden.

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