Leprous - Pitfalls

InsideOut / Sony
VÖ: 25.10.2019
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Ist das noch Metal?

Die Wege des Metals sind unergründlich. Das Genre mit den unübersichtlich mannigfaltigen Sub-Spielweisen, stets zwischen konservativen Tendenzen, progressiven Ambitionen und peinlichen Ausflügen in den elektronischen Bereich hin- und hergerissen, hat in den letzten Jahren viele ihrer Vertreter dazu gebracht, sich vom harten, gitarrenlastigen Sound abzuwenden. Bring Me The Horizon etwa sind endgültig im Pop-Zirkus angekommen, und die ehemalige Metal-Instanz Northlane experimentiert erfolgreich mit Drum'n'Bass. Mit Leprous vollzieht nun eine weitere Szene-Größe einen nicht zu verachtenden Stilwechsel: Die Norweger kehren ihrem Modern-Progressive-Outfit den Rücken und machen auf "Pitfalls" Platz frei für – was denn eigentlich?

Leprous' sechstes Studioalbum verfolgt einen neuen Minimalismus. Künstlerische Progression durch Reduktion haben nicht nur Alt-J und Efterklang verstanden, anscheinend macht das Motto "weniger ist mehr" nun auch im Metal halt. Schon der Opener "Below" schleppt sich mit dickem Halftime-Schlagzeug, tonnenschweren Gitarrenakkorden und einer wie gewohnt ausufernden Gesangsmelodie in die Verarbeitung von Anxiety und Depression: "Every single fear I'm hiding / Every single childhood memory I bury." Neben sorgfältig und geschmackvoll ausgewählten Synthesizern dominieren vor allem fast schon filmische Streicher das klangliche Geschehen.

Wer jetzt denkt, bei "Below" handelt es sich um den typischen, in andere Genres transzendierenden Aufhänger als Ausnahme vom eigentlichen Metal-Geschehen, wird vom kommenden Album eines Besseren belehrt. Rock-Ansätze bleiben hier nämlich in der Unterzahl. Stattdessen liefern Leprous ihre bekannten, schwebenden Akkorde und süßlichen Melodien, jedoch in unverkennbar reduziertem, elektronischem und doch organischem Sound. "By my throne" beginnt zwar mit rhythmisch vertracktem Gitarrenriff, bietet damit jedoch nur die Grundlage für die basslastigen Post-Dubstep-Experimente des Quintetts. Kleine, wiederkehrende Motive und kompositorische Ruhe erhalten mehr Gewicht, während sich unterschwellig ein großer Spannungsbogen durch den gesamten Song zieht – in diesem Falle praktiziert von vielschichtig arrangierten, mysteriösen Streichern und dem stimmungsvollen Einsatz des Schlagzeugs. Der mehrstimmige Refrain erinnert da fast schon an Muse.

Den Höhepunkt von "Pitfalls" bildet das über siebenminütige Epos "Distant bells". Angefangen mit ruhigen, spannungsvollen Klavierakkorden und dem wie immer fantastischen Falsett-Gesang von Sänger Einar Solberg, bilden Leprous durch Einsatz von Ambient, Sound-Design und ungewöhnlichen Gitarrenklängen ein Intro, das sich in seiner Intensität wohl an Pink Floyd orientiert – ohne dabei stark abzufallen. Jedes Element bietet eine Fülle an Detailverliebtheit, vom klagenden Cello bis zum vertrackten wie zurückhaltendem Schlagzeug. Wenn im letzten Drittel des Songs Synthie-Arpeggios doch noch eine Prog-Metal-Hymne zum Niederknien einleiten, erinnern eher an die Songaufbauten der modernen Foxing oder Biffy Clyro als an Periphery. Leprous schaffen mit "Pitfalls" das, was wahrlich nicht vielen Metal-Bands vergönnt ist: Eine nachzuvollziehende Entwicklung zu einem charakteristischen Sound, ohne seine Wurzeln zu verleugnen, mit Blick auf die Zukunft und doch einem Verzicht auf aktuelle Pop-Entwicklungen. Auf ein Album wie dieses hat man lange gewartet.

(Julius Krämer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • By my throne
  • Alleviate
  • Distant bells

Tracklist

  1. Below
  2. I lose hope
  3. Observe the rain
  4. By my throne
  5. Alleviate
  6. At the bottom
  7. Distant bells
  8. Foreigner
  9. The sky is red
Gesamtspielzeit: 55:04 min

Im Forum kommentieren

nörtz

2020-04-29 19:30:16

Wenn nur der Rest der Songs das Niveau hätte.

Schwarznick

2020-04-29 18:32:56

was für ein tier. hammer!

Der Wanderjunge Fridolin

2020-04-29 17:10:26

Wahnsinn ab ca. 02:50. Man könnte echt den Eindruck gewinnen, sein Ziel sei es, "seine" Songs komplett uncoverbar zu gestalten. Was ist bloß los mit dem Kerl :D

Der Wanderjunge Fridolin

2020-04-29 17:05:46

Ja, die Performance ist tatsächlich genauso unfassbar. Kannte ich noch nicht, danke fürs Verlinken. Vermutlich haben wir es hier mit einem der talentiertesten Schlagzeuger der Neuzeit zu tun. Der Kerl ist noch nicht mal 30.

manfredson

2020-04-27 22:33:08

Ja, ich bin schon seit dieser Aufnahme von "Bonneville" überzeugt, dass Baard Kolstad unmöglich ein Mensch sein kann.

https://www.youtube.com/watch?v=gx_VUb9Bd5c

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