Trettmann - Trettmann
Soulforce / BMGVÖ: 13.09.2019
Der Rest-Hype
Seit zwei, drei Jahren Dauerthema im deutschen Pop-Kosmos: Trettmann. Überall las und hörte man die Geschichte des Rappers aus Chemnitz, eingebettet in das hollywoodreife Narrativ des Spätzünders, der nach fast drei Jahrzehnten im Game endlich seinen Sound gefunden hätte, der mit seinem Dancehall-unterfütterten Cloud-Rap einen ungeahnten Konsens innerhalb der Musikhörerschaft erreichte, der HipHop für den Teil der breiten Masse zugänglich machte, welcher nicht auch gleichzeitig Helene Fischer gut findet. Plötzlich war Stefan Richter – so heißt der Rapper im echten Leben – also das Populärmusik-Mastermind schlechthin, Feuilleton-Liebling eh, es flatternden Feature-Anfragen noch und nöcher ins Haus, kaum ein Mainstream-nahes HipHop-Album erschien seither ohne Trettmann-Beitrag. Auf das 2017er "#DIY" folgt jetzt mit "Trettmann" die zweite Platte nach der Neuerfindung und natürlich muss sie sich an ihrem gehypten Vorgänger messen lassen.
Es fällt schnell auf, dass "Trettmann" die absoluten Überhits wie etwa "Knöcheltief" fehlen, welches der Rapper für sein letztes Album gemeinsam mit Gzuz aufnahm. Auch diesmal ist mit "Du weißt" wieder ein Feature mit dem Hamburger dabei – Diskussion inklusive, denn die neuerlichen Anschuldigungen von häuslicher Gewalt gegen den 187-Strassenbande-Rapper wiegen schwer. Trettmann verweist zur Rechtfertigung auf die langjährige Freundschaft der beiden und erklärt im Spex-Interview, es sei "besser, mit den Beschuldigten zu sprechen, als sie einfach abzuschreiben". Ein wenig halbgar wirkt so ein Statement schon, auch wenn der Künstler im gleichen Zug häusliche Gewalt verurteilt. Musikalisch geht der Track schon klar, aber ein Geschmäckle bleibt. Wenn es Trettmann an anderer Stelle, genauer gesagt in "Stolpersteine", so großartig gelingt, furchtbar Schmerzhaftes nachvollziehbar zu machen, darf man sich durchaus fragen, weshalb ihm im Umgang mit dem Gzuz-Thema dann das Fingerspitzengefühl fehlt. Im erwähnten Track bringt der Rapper zu sanftem Pianothema die Geschichte einer im Holocaust Ermordeten in die Gegenwart, setzt sie in einen persönlichen Kontext und transformiert das "sie" zum "Du" – das tut weh und das soll es auch, denn es gibt Dinge, die dürfen nie vergessen werden.
Die Atmosphäre ist insgesamt sehr dicht auf "Trettmann" und so gibt es wenige Titel, die als Einzelsongs auffallen. Aus der Reihe fällt im negativen Sinne "Zeit steht", welches Trettmann mit der Schauspielerin Alli Neumann eingespielt hat. Der Disko-Hit mit Anfang-Nullerjahre-Flair dürfte zwar auf der Tanzfläche entsprechend gut funktionieren, im Albumrahmen aber wirkt er wie ein Fremdkörper. Da fügt sich "Bye bye aka Delicious" trotz seines etwas unruhigen Drum-and-Bass-Beats deutlich besser ein. Auch "Hätten wir sein können" mit dem dezent eingespielten Klavier gefällt. Letzteres klimpert auch ganz angenehm in "Margarete" – ein Track, den Trettmann seiner kleinen Tochter widmet. Fast ein bisschen zu schmalzig, meint der kinderlose Rezensent. Gleiches gilt thematisch für "Wenn Du mich brauchst". Dafür ist das Feature mit der Wiener Rapperin KeKe musikalisch ein super Ding. Mit seinem gesummten Sample und dem hüftschwingenden Rhythmus geht auch "Bleiben wir wach" ganz gut ins Ohr. Der einzige wirkliche Hit ist jedoch "Retro shirt". In muggeliger Dancehall-Atmosphäre schildert der Rapper eine toxische Beziehung und liefert dabei einen saftigen Singalong.
Mit dem selbstbetitelten Nachfolger von "#DIY" entzaubert Trettmann den eigenen, noch so jungen Mythos ein Stück weit – und es ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn hier ein bisschen mehr Realismus einkehrt. Auch wenn sich im Internet – man lese nur einmal die Amazon-Rezensionen zur neuen Platte – die Leute weiterhin immer neue Superlative einfallen lassen, steht der Rest-Hype auf immer wackligeren Beinen. Trotzdem wäre es ein Fehler, den Rapper jetzt einfach so abzuschreiben und zu einer Eintagsfliege zu erklären, schließlich ist "Trettmann" ist immer noch ein gutes Album. Den wenigen Ausfällen stehen dabei zwar auch nur wenige Top-Songs gegenüber, dennoch bereitet die Platte über weite Strecken Spaß und punktet vor allem mit ihrer angenehmen Durchgängigkeit, die sie zu einer gefälligen Fortsetzung macht. Vielleicht ist es jetzt auch einfach wieder an der Zeit, sich mal wieder neu zu erfinden? Dass Trettmann das kann, hat er vielfach bewiesen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Stolpersteine
- Retro shirt
Tracklist
- Intro
- Bye bye aka Delicious
- Stolpersteine
- Retro shirt
- Zeit steht (feat. Alli Neumann)
- Du weißt (feat. Gzuz)
- MDMDF
- Hätten wir sein können
- Wir bleiben wach
- Wenn Du mich brauchst (feat. KeKe)
- Margarete
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Web2.0
2019-10-09 15:41:56
Das eigentliche Problem an Gzus ist doch, dass er rappt, als wäre er behindert oder sehr sehr dumm. Jetzt nichts gegen Behindertenmusik, Station 17 macht das ja schon ewig, aber dann sollte er das doch zumindest zugeben.
Pascal
2019-09-26 09:52:08
Ich kann mich wiederum fürs Verständnis bedanken. ;)
Ich finde das große Problem bei der Gzuz-Thematik ist, dass die Vorwürfe einfach dauerhaft unkommentiert im Raum stehen. Gzuz hat sich nicht geäußert und gleichzeitig seine Anwälte vorgeschickt, um die Berichterstattung lahmzulegen. Ersteres ist grundsätzlich sein Recht, nur vllt. nicht die klügste Taktik, zweiteres ist schon sehr schwierig, finde ich. Wenn dann Trettmann sagt "ich hab mit ihm geredet, wir sind ja alte Kumpels, ist schon okay", dann finde ich das nicht ausreichend. Trettmann mag ein guter Kerl sein, aber er ist keine Instanz, die stellvertretend für die Gesellschaft Recht und Unrecht unterscheiden soll. Weil er es trotzdem tut, bagatellisiert er für mich den Vorwurf auf Kosten des mutmaßlichen Opfers, das ist 'ne Schweinerei. Natürlich gilt grundsätzlich mal die Unschuldsvermutung (und ich finde, oftmals wird das im gesellschaftlichen Diskurs und in den Medien übergangen), aber Trettmann könnte auch sagen "solange das nicht abschließend geklärt ist, lassen wir das mal ruhen, Diggi" und Gzuz auffordern, die Sache in der Öffentlichkeit klarzurücken. Kumpel bleiben könnten sie ja trotzdem. Und ein Trettmann-Album bekäme 2019 auch ohne Gzuz-Feature genug Aufmerksamkeit, dafür aber auf jeden Fall weniger negative.
Gzuz soll so viel er will an Gerichtsgebäude pissen, find ich gut, aber seine Freundin hauen ist so asi und so dumm, da sollte er schleunigst schauen, dass er das Image wieder los wird und falls er es getan hat, sollte er Wiedergutmachung leisten, bzw. auch bestraft werden.
captain kidd
2019-09-26 07:47:32
Alles klar. Finde Deine offenen Worte echt super. Mit Kritik geht nicht jeder so konstruktiv um - echt Respekt. Über die GZUZ-Sache kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Ich finde, man kann so eine Feature bringen, wenn man sie Verbindung von Trettmann und GZUZ betrachtet. Außerdem war das sicherlich auch eine bewusster Move, um ein wenig ins Gespräch zu kommen. Nachvollziehbar.
Pascal
2019-09-26 02:05:25
Du stellst da eine berechtigte Frage :) Ich empfand mich eigentlich auch nicht als den passendsten Rezensenten dafür. Am besten wäre jemand gewesen, der Trettmann genauso toll findet, wie viele das hier tun, denn ich glaub euch das ja, das da was dran ist, auch wenn es bei mir nicht zündet. Also wäre es schön gewesen, das hätte einer gemacht, der da auch mitgehen kann. Die "#DIY" hatte Michael rezensiert, der ist leider nicht mehr an Bord. Felix hätte Bock gehabt, hatte aber noch zu viel anderes auf dem Tisch. Ich hab das Album eh gerade gehört und hatte Zeit. Nicht optimal, aber es schneidet ein allgemeines Problem von uns an: Wir haben viel zu wenig Leute im Team, die Lust auf HipHop-Themen haben. Ich kann da nur animieren: Überlegt euch doch, euch zu bewerben, wir brauchen gerade da Leute mit Ahnung!
Ich kann dir noch nicht mal dabei widersprechen, was du über meine Rezi sagst. Einzig die Gzuz-Sache muss diesen Platz bekommen, finde ich. Aber ansonsten ja: Was ich erkläre, ist relativ oberflächlich. Ich finde zwar, es ist argumentativ schon schlüssig, aber ich bin mir sehr sicher, andere Leute mit einem besseren Draht zu Trettmann hätten auch die bessere Rezension geschrieben.
captain kidd
2019-09-25 23:50:41
Warum hast du denn dann die Platte besprochen? Leider verliert sich die Rezi völlig in der Hype- und GZUZ-Sache. Das hat doch mit der Musik nichts zu tun. Hätte mir da mehr Worte über die Musik gewünscht. So bleibt das alles sehr nichtssagend. Aber für mich war halt #DIY auch ne 10 und das beste deutschsprachige Album seit Old Nobody.
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Referenzen
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