Rauchen - Gartenzwerge unter die Erde

Zeitstrafe / Indigo
VÖ: 13.09.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Im Rausch

"Wo ist die Woche bloß schon wieder hin?!", oder "Die Tage rasen vorbei." Überall lauern sie, die Floskeln mit dem gewissen Körnchen Wahrheit. Dabei läge es bei aktuer Monotonie des Alltags meist an einem selbst, mehr Action in die lähmende Routine zu bekommen. Innerhalb von 24 Stunden könnten Sie, werte Leserinnen und Leser, zum Beispiel sechs Mal den Feldberg im Schwarzwald hinauf- und wieder hinuterwandern, für frische Luft und klare Aussicht. Oder mit dem Wohnmobil von Hamburg nach Lissabon fahren, für den Mobilitätsdrang. Sie könnten drei komplette Staffeln "The Simpsons" am Stück glotzen zum Zwecke der ultimativen Flucht aus der Realität. Oder sich einfach ca. 111 Mal das Debüt der Gruppe Rauchen geben. Für die Volldröhnung, versteht sich.

"Gartenzwerge unter die Erde" hat bloß zehn Songs, die das Hamburger Punk-Quartett in nicht einmal 13 Minuten in unsere Gehörgänge prügeln. An dieser Stelle sei der sympathische Promoter erwähnt, der bei der Bemusterung lapidar meinte: "Gut aufpassen, sonst ist das Album vorbei, wenn Du hinhörst." Der Rezensent dankt. Denn trotz der wahnwitzigen Spielzeit ist das Ergebnis bemerkenswert. Weil Rauchen passend zu ihrem höchst ungesunden Bandnamen an den Instrumenten einen rauschmittelähnlichen Sog der Dekonstruktion entfachen. Tief gestimmte Gitarren, Rumpelbass, keifende Frontfrau und ein Schlagtakt gemäß der guten Stube des Hardcore-Punk der Achtziger. Wäre man auf der Suche nach hochtrabenden, überhaupt nicht zu dieser Band passenden Worten, dann könnte man gar von zelebrierter Destruktivität sprechen.

Aber nein, dierse Herangehensweise ist Rauchen wahrlich nicht zu verdenken. Thematisch bekommen ziemlich viele Unsympathen unserer Zeit ihr Fett weg. Hippe Großstädter, die bloß neoliberale Konsumopfer sind, überholte deutschtümelige Bräuche und Sitten, die ewig meckernden Spießer in der Nachnachbarschaft. Und so weiter, und so fort. Und wenn Sängerin Nadine sich die Stimmbänder aus dem Hals schimpft, dann ist das aufs zwölfte Hören beinahe unterhaltsam. Auch die in Deutschland ebensowenig gern thematisierte Polizeigewalt lassen Rauchen nicht aus. Im Gegenteil, sie destillieren das Problem im tadellosen "Jobcentermaßnahme" auf gerade einmal sechs Worte herunter: "Hirn aus, Helm drauf, Knüppel raus." 2010 wäre dieser Faustschlag von Album kaum vorstellbar gewesen. In seinem resoluten, dialogfernen und radikalpuristischen Ansatz jedoch ist "Gartenzwerge unter die Erde" fast typisch für diese Zeit.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Gartenzwerge unter die Erde
  • Jobcentermaßnahme
  • Gorillas

Tracklist

  1. Gartenzwerge unter die Erde
  2. Schwengelstrand Nordostdeutschland
  3. Klatsche
  4. Beschwerde von Klaus
  5. Jobcentermaßnahme
  6. Kassenkampf
  7. Kartoffelstampf à la Mäusle
  8. Bier ist ok, aber nicht im Bierzelt
  9. Work-high-balance
  10. Gorillas
Gesamtspielzeit: 12:47 min

Im Forum kommentieren

Libidodadidum

2020-05-01 18:28:45

Also ich habe sie mir genau wegen Bandname und Albumtitel angehört :D
Texte und Musik haben mir, aufgrund der Schnörkellosigkeit, direkt zugesagt, aber aus selbigem Grund ist das ganze leider auch schnell wieder vergessen.
Trotzdem ist das live sicher toll und hat dann bestimmt auch eine nachhaltigere Wirkung.

Given To The Rising

2019-11-25 13:42:14

Warum sagt keiner dieser Band, dass keiner sie hören wird, wenn sie solche Bandnamen und Albentitel auswählen?

MasterOfDisaster69

2019-11-25 13:40:26

Herrlich dieser Schreigesang; und diese vorzueglichen Texte erst, leider nicht immer zu verstehen...

aus Beschwerde von Klaus:
"Sag mal ist das etwa ein Haar in deiner Kartoffelsuppe?
Norbert ist schon wieder zu spät.
Los geh petzen beim Chef."

7/10

Armin

2019-09-25 20:44:48- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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