
Anna Ternheim - A space for lost time
BMG / WarnerVÖ: 20.09.2019
Against all odds
Ich gebe zu, ich habe ein seltsames Verhältnis zu Anna Ternheim und ihrer Musik. Alles fing damals an, als ich in den Jahrespoll-Ergebnissen von 2006 stöberte und auf Platz 134 einen Song namens "Shoreline" von ihrem Debüt "Somebody outside" erblickte. Ich hörte ihn mir an. Und konnte gar nicht begreifen, was ich gerade vernommen hatte. Bis heute kann ich das karge Stück nicht einfach so auflegen – es bedrückt mich, es ergreift mich, es braucht besondere Momente. Dabei ist es nur ein Cover der Rockband Broder Daniel, deren Original nicht im mindesten so berührend ist. Eine seltsame Konstellation, bei der viele Variablen zusammenfallen. Für mich ist es der beste Song, der überhaupt existiert. Keine Übertreibung. "A space for lost time" ist wiederum mittlerweile Ternheims siebtes Album und immer noch hängt der Schatten von "Shoreline" darüber. Das ist mein persönliches Problem, nicht das der Platte – und auch nicht das anderer Hörer. Leider ist es dennoch nicht das einzige.
Nicht nur irritiert im Nachhinein Ternheims frühere Aussage, trotz der Aufnahmen in Los Angeles klinge das Album nach einem ruhigen, schwedischen See. Das tut es nämlich – leider – nicht. "A space for lost time" dürfte außerdem eine kleine Enttäuschung für all jene sein, welche die unwirkliche Düsternis und Psychedelik des tollen Vorgängers "All the way to Rio" so schätzten. Die zehn neuen Songs sind durchweg poppiger und glatter, sowohl im Songwriting als auch in der Produktion. Das muss keinesfalls etwas Schlechtes heißen: "Everytime we fall" ist ein schmissiger, streicherverzierter Hit, der sogar im Radio laufen könnte und sich das trotzdem nicht zum Nachteil gereichen lässt. Nicht weniger schön ist "You belong with me" geraten. Ternheim fährt im Auto des Liebsten, aus den Boxen tönt Neil Youngs "Heart of gold", sie ist glücklich "sleeping on my baby's arm". Hach. Ein kleines Folkpop-Schmuckstück.
Die Abseitigkeit des Vorgängers blinzelt nur in wenigen Momenten durch. "When you were mine" übt sich erfolgreich an etwas Ungreifbarkeit und der spärliche Closer "Oh Mary" warnt nicht nur: "She fucks with your mind." Er braucht auch lediglich Ternheims Stimme und Gitarre und diese herrliche Melodie. Derweil fragt sich "Lost times", was denn nach Haus, Kind und Kegel noch kommen soll. "You did what everyone told you to do / Now what? / There's got to be more." Das große Aber: Bei manchen Songs sucht man selbst ergebnislos nach diesem "Mehr" und findet bestenfalls nur Standard. "Remember this" fehlt im Refrain der letzte Schliff und "Walk your own way" fällt bis zum zum schön ausperlenden Outro nicht wirklich auf. "All because of you" gerät sogar zum regelrecht belanglosen Happy-Hippo-Song, dem jegliche Tiefe fehlt.
"A space for lost time" zählt sicher nicht zu den besten Alben der Schwedin. Es hat jedoch schlichtweg arg viele Hindernisse zu überwinden, seien sie nun in der Diskografie oder meiner persönlichen Prägung verwurzelt. Daher die Abstraktion, die Loslösung von Befindlichkeiten: Die neuen Songs sind größtenteils schwer in Ordnung. Die meisten Musiker können sich solche Melodien bestenfalls nur wünschen und ein paar Songs bekommt man völlig zurecht nicht aus dem Ohr. Und es ist selbstverständlich unangemessen, ein zweites Debüt oder gar "Shoreline" zu verlangen. Freuen wir uns, dass wir sie haben: die Anna – und diese Platte. Das nächste Mal dann aber wirklich wieder am See mitten in Schweden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- You belong with me
- Everytime we fall
- Oh Mary
Tracklist
- This is the one
- You belong with me
- Everytime we fall
- When you were mine
- Remember this
- Lost times
- Stars
- Walk your own way
- All because of you
- Oh Mary
Im Forum kommentieren
Mr Oh so
2019-11-30 14:22:31
Grandiose Show auf der diesjährigen Tour. Die etwas rockigere Seite, die sie da gezeigt hat, würde ihr auf den Alben auch gut tun.
AVMsterdam
2019-09-20 13:52:47
06. Nov DE-Munich, Technikum
yay
doept
2019-09-20 13:48:34
Mal sehen, werde am Wochenende mal in das Album reinhören.
Aber bin gerade hierüber gestolpert, das gibt es schon heute (Freitag) Abend live und das hört sich doch sehr vielversprechend an:
https://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/neo/Anna-Ternheim-im-Livestream-aus-der-Elbphilharmonie,ternheim100.html
musie
2019-09-20 10:07:44
das Album wie befürchtet. der Tiefpunkt das überzuckerte Stars. und plötzlich klingt Anna Ternheim beliebig. ein paar schöne Lieder hats trotzdem.
Obrac
2019-09-20 08:01:51
Die Naked Versions waren super und vor allem auch die unveröffentlichten Songs wie "Black Widow", "Lovekeeper", "Nights in Goodville" etc. Leider gibts die Version nicht mehr auf Spotify, aber bei Amazon bestellbar oder als MP3s:
https://www.amazon.de/Separation-Road-Limited-Anna-Ternheim/dp/B001SVIE44/ref=sr_1_14?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&keywords=anna+ternheim&qid=1568959237&s=dmusic&sr=1-14
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