Joan Shelley - Like the river loves the sea

No Quarter / Cargo
VÖ: 30.08.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Schöner Schwund

Intimität ist in der Musik ein kostbares, nur schwer erreichbares Gut. Man kann natürlich zu gewissen Studio-Tricks greifen, das Knarzen vom Klavier, die Geräusche beim Greifen der Gitarrensaiten und so weiter. Doch wahre Eindringlichkeit, das Gefühl, dass man mit der Musikerin allein in einem Raum ist und diese nur für einen selbst diese Songs vorträgt, liegt wahrscheinlich woanders begründet. Vielleicht liegt es ja an der Gesangstimme? Joan Shelley aus Kentucky hat da ganz besondere Fähigkeiten aufzubieten. Auf ihrem fünften Album "Like the river loves the sea" durchwandert sie in klassisch geprägten Folk-Songs stimmlich gegensätzliche Zonen, die jedoch durch weiche Übergänge miteinander kommunizieren. Im wundervollen "Teal" werden die ersten Schritte des Refrains noch zaghaft gegangen, doch entwickelt Shelley dann eine stimmliche Autorität, die dafür sorgt, dass neben dem Zerbrechlichen auch robuste Gewissheiten stehen, "The fresh air / The wind / The waves."

Begleitet wird Shelley bei ihren Wanderschaften von einem stets gutmütig voranschreitenden Gitarrenspiel, welches die Verlässlichkeit eines alten Ackergauls besitzt, der nach und nach seine Furchen zieht. Da kann es auch mal etwas griffiger zugehen wie in "Coming down for you", aber die instrumentale Ausstattung bleibt immer dezent belebt, ein Vehikel für Shelleys Stimme. Diese kommt übrigens auch ohne Sprachschatz aus: Im eröffnenden "Haven" braucht es keine 90 Sekunden, bis sich Shelley von den Worten befreit und in ein außerweltliches Summen übergeht – universeller geht populäre Musik nicht. Besonders spannend ist, wie die US-Amerikanerin klassische Strukturen als Grundlage benutzt, diese aber aufweicht und verblassen lässt. "The fading" mit seinem munteren Gitarren-Zupfen und der oft wiederholten, melodischen Konklusion ist Folk aus dem Lehrbuch. Doch hat dieser Song nicht umsonst die Schönheit des Verwelkens als Thema: Wenn Shelley den Gesang an seinen glockenhellen Außenbezirken fast auflöst und dazu dezente Streicher Nebel-Schlieren durch den Song ziehen, ist man fast unbemerkt im Unterbewusstsein angekommen.

Auch "Awake" hat einen solchen Moment, wenn sich die etwas engere Taktung in der Strophe in melodische Weite abspaltet. Noch vortrefflicher gelingt dies in "High on the mountain", welches wieder wunderbar leicht in einen langgezogenen Glockenton hineingleitet. Shelley legt hier all ihr Herz, aber eben auch die allerfeinste Zärtlichkeit in dieses "Hiiiiigh", so dass jeder Hörer für sich denken mag: Das ist nur für mich, dieser Song wurde gemacht, dass gerade ich dahin schmelze. Zum Glück gönnt Shelley der Zuhörerschaft noch ein wenig robuste Folkschunkelei zum Abschluss: "Any day now" steht mit den Füßen solide im Dreck, ein wenig Vorbereitung auf den Alltag, in den einen diese Platte sonderbar verzaubert entlässt.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Teal
  • The fading
  • High on the mountain

Tracklist

  1. Haven
  2. Coming down for you
  3. Teal
  4. Cycle
  5. When what it is
  6. The fading
  7. The sway
  8. Awake
  9. Stay all night
  10. Tell me something
  11. High on the mountain
  12. Any day now
Gesamtspielzeit: 38:49 min

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Armin

2019-09-18 15:32:33- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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