One Sentence. Supervisor - Acedia
Irascible / CargoVÖ: 13.09.2019
Fort Focus
Wie weiter nach dem Meisterwerk? Diese Frage mussten sich One Sentence. Supervisor nach "Temporär Musik 1-13" stellen. Denn das zweite Album der Schweizer bot alles auf, was man sich von alternativer Gitarrenmusik wünschen kann. Auf der einen Seite war es komplex, verheiratete scheinbar Artfremdes zu äußerst gelungenen Songs, andererseits besaß es eine unmittelbare Eingängigkeit, die sofort anfixte, bot den direkten Zugang genauso wie das lohnende Futter für Monate. Anstatt jetzt jedoch etwas ohnehin Vollkommenes noch zu verfeinern, wagt der Fünfer den Bruch, die Irritation. Passend betitelt mit "Acedia", einem Begriff aus dem Mittelalter für das Schwanken zwischen Glaube und Zweifel, vertont das dritte Werk von One Sentence. Supervisor die Zerrissenheit und Unvereinbarkeit rivalisierender Überzeugungen und Lebenswahrheiten.
Da darf der Titelsong zunächst einen mit kühlem Hauch versehenen Flow entwickeln, eine Büffelherde aus dem nahen Osten trampelt dennoch rockig in die mühsam erarbeitete Stabilität, sprich Rhythmik, hinein. Und dieses mal werden mehrere Hördurchgänge diesen Affront nicht einebnen, sie führen aber dazu, in diesem Widerspruch einen ganz eigenen, existenzialistischen Wert zu erkennen. Smooth und geschmeidig sind zunächst auch der Groove von "Double you part 1", welcher funkelnde Gitarrensätze als dramaturgischen Motivator vor sich her trägt. Doch das eigentlich Folgerichtige, ein kraftvoller Höhepunkt, wird vom mäandrierenden, man will sagen, leiernden Gesang verweigert. Nicht zum letzten Mal hat man das Gefühl, dass One Sentence. Supervisor hier bewusst an der Schönheit oder den Konventionen vorbei musizieren. Der zweite Teil von "Double you" geht den Weg weiter, führt diese Abfahrt in eine Manege, aus der der mit kalter Nervosität vorgetragene Indie von Clinic tönt. Trotz ausgeprägter Beweglichkeit in den musikalischen Strukturen, die meisten Songs gleiten an einem verlässlichen Rhythmus entlang, herrscht oft eine Ermattung, eine ungeschönte Erschöpfung, die den Fortgang der Songs wie im entseelten Autopiloten erscheinen lassen.
"...And the rat feels nirvana" wird durch ein weiches Schlagzeug-Stakkato und ständig neu Anlauf nehmende Gitarren zwar belebt, nur handelt es sich dabei um eine ungesunde Nervosität aus den Hamsterrädern klinischer Tierversuchslabore. Wenn dann jedoch eine erhabene Melodik hinter den Wolken hervorkommt, wirkt das fast wie Hohn. One Sentence. Supervisor scheinen es dem Hörer schwer machen zu wollen, dieses Album ans Herz zu drücken. Das fängt beim verwaschenen Gesang von Donat Kaufmann an, geht über enervierend wiederholte Melodiefiguren und perkussive Blutgrätschen, die in Mark und Bein fahren. Und dennoch oder gerade deswegen: Ein Song wie das mit "Wipe out"-Gitarre und streitsüchtiger Oud versehene "Seems less seamless" erzeugt einen hypnotischen Sog wie im Madchester der späten Achtziger.
Dass die Eidgenossen aber auch auf "Acedia" groß angelegte Songkonstruktionen beherrschen, zeigen dann gegen Ende die beiden Sieben-Minüter "***" und "Sadah". Ersters geht erneut mit der Oud von Bahur Ghazi einen fatalistischen Weg in die Schattenzonen, wo sich Umnachtung in sonderbar weichgezeichneten Melodiefiguren spiegelt. Dabei werden erlösende Ausbrüche nur kurz als Möglichkeit in Betracht gezogen, bevor es weitergeht in der sedierenden Knochenmühle. Gitarrenfiguren aus dem Classic-Rock gibt es dann noch als irritierende Dreingabe. "Sadah" wühlt und wälzt hingegen in den Gebirgsausläufern Nordafrikas, beunruhigende Percussion wummern dumpf aus dem Unterbewusstsein, Kaufmanns Gesang treibt leblos, nur mit milden Zuckungen an einer Wasseroberfläche, die durch einige markante Gitarren-Licks kurz aufgeschreckt wird. Alles bleibt lose auf diesem Album, fragiles Gleichgewicht, das häufig genug aufgebrochen wird. Nach selbstbewusster Könnerschaft folgt nun also das Eingestehen einer nur mühsam zusammengehaltenen Struktur von Welt und Person. Und auf diesem Gebiet ist "Acedia" dann eben doch wieder ein Meisterwerk.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Acedia
- Double you part 2
- ***
- Sadah
Tracklist
- Tuning
- Acedia
- Double you part 1
- Double you part 2
- ...And the rat feels nirvana
- Seems less seamless
- Don't be alarmed
- ***
- Who's whose (feat. Jeans For Jesus)
- Sadah
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ExplodingHead
2019-10-22 16:54:02
Wieder ein toller Wurf der Schweizer - und live sind sie noch besser! Die hinzugekommene Oud ist das Tüpfelchen auf dem i...
myx
2019-09-19 08:25:41
Habe das Album zwar erst einmal gehört, aber ich fürchte schon jetzt, dass es mir bei bei Weitem nicht so gut gefallen wird wie dem Rezensenten oder Fakeboy ... Ich erkenne natürlich die schöne Übereinstimmung zwischen theoretischem Ansatz und musikalischer Umsetzung, aber das hilft mir leider nicht dabei, die Musik wirklich richtig zu mögen.
Vielleicht ist es aber wirklich einfach ein Album, das sich nicht auf Anhieb erschliesst. Werde es selbstverständlich nochmals versuchen, ist ja schliesslich eine meiner Lieblingsbands.
Dass es sich beim Vorgänger um ein Meisterwerk handelt, da gebe ich dem Rezensenten aber schon mal recht. Wird bei mir weit vorne stehen auf der 2010er-Bestenliste. Ob "Acedia" sich für mich ebenfalls zu einem Meisterwerk entwickelt, bezweifle ich, wie schon gesagt, sehr.
fakeboy
2019-09-18 23:14:52
Oh, Rezi erst jetzt gelesen. Deckt sich sehr mit meinem Empfinden. Ein besonders schöner und treffender Satz aus der Rezi ist dieser hier: "Nach selbstbewusster Könnerschaft folgt nun also das Eingestehen einer nur mühsam zusammengehaltenen Struktur von Welt und Person."
fakeboy
2019-09-18 23:12:23
Das Album ist deutlich schwieriger zugänglich als das letzte und es ist etwas mager ausgefallen - abzüglich der 2 Geräusch-Tracks leider nur 8 Songs. Aber es lohnt sich, dran zu bleiben. Der Titelsong ist stark, Double You Part 1 auch. Part 2 zunächst komisch, aber irgendwann auch stimmig. And The Rats... ein weiteres Highlight, v.a. der hymnische Schlussteil. Seems Less lebt das orientalische Element stark aus. Mit *** schliesslich das Highlight: ein 7-minütiger Song, der alles zusammenfasst, das OSS ausmacht. Dann ein eher missglückter Feature-Track mit Jeans For Jesus (eigentlich tolle Band, aber die Kombination ist, naja...). Zuletzt ein eher meditatives Stück, wiederum 7-minütiges Lied, schöner Abschluss. Insgesamt: deutlich verspultere Platte als die letzte. Weniger Indie-Hits, mehr jammiger Kraut-Pop-Charakter. Keine Platte die auf Nummer sicher geht - das darf man ruhig als Kompliment lesen.
maxlivno
2019-09-18 16:48:52
Die Band sagt mir überhaupt nichts, aber das Album gefällt mir aufs erste hören ganz gut
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