Iggy Pop - Free

Caroline / Universal
VÖ: 06.09.2019
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

The dead don't die

Alles hat ein Ende, nur Iggy Pop hat zwei. "Post pop depression" sollte eigentlich die Karriere des einstigen Stooges-Frontmanns beschließen und hätte auch ein finales Monument sondergleichen dargestellt: eins seiner besten Alben, das Pops End-Siebziger-Art-Rock-Phase ins Jetzt transferierte, beflügelt von Josh Homme als kreativen Sparringspartner im Geiste des kurz vor Release verstorbenen David Bowie. Vielleicht war es auch dieser Tod des langjährigen Freundes, der indirekt zu "Free" führte. Erschöpft vom exzessiven Touren beschreibt der mittlerweile 72-Jährige, wie sein 18. Solo-Album wie von selbst entstand, als hätte der blackstar eines Nachts besonders hell auf ihn geschienen. Mit Bowies Schluss-Monolithen teilt sich "Free" auch so einiges, seien es der existenzialistische Grundton oder die ins Jazzige schielende Ästhetik. Ein zweites "Post pop depression" ist das wahrlich nicht. Ein zweites "Préliminaires" aber zum Glück auch nicht.

In seinen besten Momenten verhält sich "Free" so zu seinem Vorgänger wie "The idiot" zu dessen Nachfolger "Lust for life": gewagter, stilistisch diffuser, aber ähnlich geschmackssicher und versiert. Anstatt Homme hat Pop dieses Mal die experimentelle Gitarristin Sarah Lipstate alias Noveller sowie den Jazz-Trompeter Leron Thomas rekrutiert, die gleich im eröffnenden Titeltrack die Stimmung des grandiosen Coverfotos einfangen. Der alte Mann wiederholt sein Mantra "I want to be free" und steigt ins Meer einsam-poetischer Ambient-Wellen. Im späten Highlight "Page" ändert Noveller den Aggregatzustand, schockfrostet ihr Instrument, über das Pop seine Selbstreflexionen croont. Zuvor hat das ebenfalls tolle "Sonali" kryptische Fragmente seiner Titelheldin preisgegeben und mit einem Beat gekreuzt, der auch auf einem Radiohead-Album nicht negativ aufgefallen wäre. "Free" bildet den Kulminationspunkt einer Entwicklung, die im Grunde schon dann begann, als die Stooges zum ersten Mal das Saxophon ins Studio holten.

Leider hält die Platte ihre Atmosphäre nicht aufrecht. "James Bond" ist für sich genommen nicht übel, passt als trockener Sixties-Pop-Schleicher aber so gar nicht zum Rest. Schlimmer macht es "Dirty Sanchez" – der extrovertierte Gestus samt Call-and-response-Shouts nervt geradezu und die von Thomas geschriebenen, dämlich-trashigen Lyrics zeigen, dass dieser zumindest hier lieber nur bei seiner Trompete geblieben wäre. Die Songs sind doppelt ärgerlich, weil Pop an anderen Stellen auch stilvoll aus seiner Meditation ausbrechen kann. Der Art-Post-Punk des Über-Highlights "Loves missing" treibt fiebrig nach vorne, bewahrt im Angesicht von Liebes-Sehnsucht und Vergänglichkeit aber stets Haltung: "She's thinking about something we all need / Clock's ticking, not giving her room to breathe." Auch "Glow in the dark" vollzieht seine Entwicklung vom minimalistischen Bass-Beginn zum fast schon Free-Jazz-artigen Finale so natürlich, dass sie nie deplatziert wirkt.

Am Schluss lässt "Free" allerdings jede musikalische Ambition fallen und rundet sich mit gleich drei aufeinanderfolgenden Spoken-Word-Tracks ab. Trotz ihres charismatischen Vortrags sind diese etwas dröge, treffen inhaltlich wie stimmungstechnisch aber voll den Kern des Albums. "We are the people" rezitiert ein erst posthum veröffentlichtes Gedicht von Lou Reed, dessen Worte aus dem Jenseits erschreckend gut den aktuellen Zustand der Vereinigten Staaten treffen. Sowohl Dylan Thomas' "Do not go gentle into that good night" als auch das selbst geschriebene "The dawn" setzen sich explizit mit der eigenen Sterblichkeit auseinander, auch wenn letzteres nicht im Geringsten ans baldige Abdanken denkt: "To just lay down is to give up." Pop, der trotz körperlicher Vollverausgabung fast alle seine Weggefährten überlebt hat, wirkt zu diesem Zeitpunkt sowieso längst unsterblich – vielleicht ist er auch schon zu dem Zombie geworden, den er im jüngsten Jim Jarmusch verkörpert. Alles hat ein Ende, nur Iggy Pop hat keins? Sollte es doch irgendwann kommen, werden wir ihn gerade wegen so eigenwillig unperfekter Alben wie "Free" schmerzlich vermissen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Loves missing
  • Sonali
  • Page

Tracklist

  1. Free
  2. Loves missing
  3. Sonali
  4. James Bond
  5. Dirty Sanchez
  6. Glow in the dark
  7. Page
  8. We are the people
  9. Don't go gentle into that good night
  10. The dawn
Gesamtspielzeit: 33:43 min

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Zu faul zum einloggen

2019-10-15 17:49:09

https://www.arte.tv/de/videos/090953-002-A/iggy-pop-beim-arte-concert-festival/

Im August versetzte ein Ereignis die Rockwelt in Aufregung: Post Pop Depression sollte nicht das letzte Werk von Iggy Pop bleiben. Mit Free kündigte der Rock Iguana eine neue CD mit jazzigen Einflüssen an. Nomen est omen: Das achtzehnte Album ist geprägt von einer außergewöhnlichen musikalischen Freiheit, die auch beim ARTE Concert Festival zu erleben ist.

Beim ARTE Concert spielt Iggy Pop die jazzigen Balladen aus Free in einem besonderen Rahmen: im historischen Foyer der Gaîté Lyrique. Eine seltene Gelegenheit, den Musiker in einem intimen Ambiente zu erleben, das gar nichts mit den Stadien- und Festivalbühnen zu tun hat, auf denen er ansonsten auftritt.

Plattenbeau

2019-09-08 21:39:32

"Loves Missing" hat einen angenehm dumpf treibenden Sound. Ansonsten ist mir auf diesem Album etwas zu viel Jazz-Trompete. Klingt ein wenig so, als wollte er seinem Freund Bowie nacheifern, wenn auch auf eine weniger dringliche Art.

fuzzmyass

2019-09-08 20:28:40

Die Rezension ist recht gut, auch wenn die Entwertung IMO zu nkedrig ausfällt und ich nicht finde, dass James Bond und Dirty Sanchez nicht reinpassen.

fuzzmyass

2019-09-08 20:23:47

Wäre als Karriereabschluss noch perfekter als PPD. Vielleicht hat er aber noch mehr im Ärmel. Free ist ein fantastisch atmosphärisches Album. Gut instrumentiert, etwas Jazz, Spoken Word, gute Soundscapes von Noveller wie immer. Gefällt mir sehr gut.

Armin

2019-09-08 19:45:25- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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