My Life Story - World citizen
Exilophone / Rough TradeVÖ: 06.09.2019
Weniger Lametta
Manche Dinge sind unerklärlich. Warum fällt das Marmeladenbrot immer auf die bestrichene Seite? Warum wird die Waschmaschine nicht dicker, obwohl sie dauernd Socken frisst? Und vor allem: Warum wurden My Life Story Mitte der neunziger Jahre nicht größer als Suede, Pulp und The Divine Comedy zusammen? Perfekteren und opulenteren Brit-Pop als den amourösen Streicher-Taumel "12 reasons why I love her" oder das bombastische Prachtstück "Sparkle" konnte man seinerzeit vergeblich mit der Lupe suchen. Auch das zugehörige Album "The golden mile" war ein feuchter Traum aus Pailletten-Sakkos, preziöser Man-Ray-Ästhetik und Orchester-Ensemble in Divisionsstärke – bis die Major-Plattenfirma die Band um Mastermind Jake Shillingford wenig später aufgrund vergleichsweise mäßiger Verkaufszahlen fallenließ wie eine heiße Kartoffel.
Zum Glück hatte Shillingford einen Plan B: Nach dem einzigen Album des elektronischeren Nachfolgeprojektes ExileInside gründete der Londoner mit seinem Bandkollegen Nick Evans die Songschmiede Choppersaurus und dozierte am renommierten BIMM-Musikinstitut. Großes Hallo, als My Life Story 2016 bei sporadischen Reunion-Konzerten eine neue Single unters Volk brachten: "24 hour deflowerer" war trotz abgespecktem Studio-Apparat eine glänzende, leicht angedreckte Hymne mit der gleichen listig-frivolen Schlagseite, die der Sänger schon immer gern in seine Texte schmuggelte. In ähnlichem Sinne geht es nun auf dem vierten Longplayer weiter – dem ersten seit 22 Jahren. Und schon beim Klavierauftakt des elegischen Openers "No filter" wird klar, dass Shillingford und Evans ihr Gespür für glamourösen Pop nicht eingebüßt haben.
Denn obwohl die geschrumpfte Band die Symphonik längst nicht mehr so massiv auffährt wie einst, ist "World citizen" verschwenderisch und dabei pointiert genug, um Erinnerungen an den überschäumenden Hedonismus vergangener Großtaten zu wecken. Besonders der Himmelsstürmer "Taking on the world" eilt mit fidelem Piano und vollmundigen Strings vorneweg und verabreicht dem Hörer eine Euphorie-Spritze, deren Wirkung locker bis zum Titelstück samt luftigem Gitarren-Schreng und Ohohoo-Chor anhält. Am Wegesrand warten währenddessen etwas weniger großangelegte Lockerheiten wie der gut gelaunt abzischende Wonnep(r)oppen "Broken" oder das shuffelnde "Sent from Heaven" – nicht nur dem Herrgott, sondern auch all jenen ein Wohlgefallen, die noch die 1995er Single "The king of kissingdom" vor Ohren haben.
Doch auch die seufzende, melancholische Seite von My Life Story kommt auf "World citizen" nicht zu kurz, wobei Shillingford sogar darauf verzichtet, seinen Protagonisten kleine Gemeinheiten wie "If you can't live without me then why aren't you dead yet?" reinzureichen. Stattdessen wirft der Frontmann zu gestopfter Trompete und in maßvollem Uptempo ein gütiges Auge auf den "Telescope moonlight boy" und erliegt ungeachtet seiner Einflüsse nicht der Versuchung, übermäßig die Marc-Almond-Diva oder den Schmalzoni Marke P. J. Proby zu geben – was hier deutlich überdimensioniert wäre. Zwar war auch bei My Life Story früher unüberhörbar mehr Lametta, doch ein formschönes, zuweilen begeisterndes Album wie dieses schütteln die Briten immer noch scheinbar mühelos aus dem Ärmel. Egal, ob Pailletten dran sind oder nicht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Taking on the world
- Sent from Heaven
- World citizen
Tracklist
- No filter
- Taking on the world
- Broken
- Sent from Heaven
- The rose the sun
- The one
- World citizen
- Telescope moonlight boy
- A country with no coastline
- Overwinter
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Armin
2019-08-31 20:48:57- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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